Mike Steinhausen wurde 1969 in Essen geboren. Er ist Polizeibeamter und war mehrere Jahre als Zivilfahnder im Bereich der Drogenbekämpfung tätig. Heute lebt er in Hattingen.
Guten Tag Herr Steinhausen, nachdem ich mit großem Interesse Ihren ersten Roman Operation Villa Hügel gelesen habe, in dem Sie unter anderem die massiven Luftangriffe von 1943 auf das Ruhrgebiet thematisieren, hat mich Ihr neuester Roman Schlagwetter bereits durch das Cover angesprochen, das den Förderturm der Zeche Zollverein ziert. Da Sie in Essen geboren wurden, in beiden Romanen die Stadt Essen Ort des Geschehens ist und Sie in Schlagwetter über den Bergbau geschrieben haben, mutmaße ich, dass Sie einer Bergmannsfamilie entstammen. Sehe ich das richtig?
- Guten Tag, Frau Petrikowski.
Zunächst vielen Dank für die Einladung zu diesem virtuellen Interview und für die Mühe, die Sie sich im Vorfeld durch die Rezension meines Romans gemacht haben. Nun zu Ihrer Frage. Nein. In unserer Familie gab es keinen Bergmann. Nicht mal einen Handwerker. Wir haben über Generationen zwei linke Hände, die zuverlässig weitervererbt wurden. Ein Regionalkrimi sollte einen Bezug zur Region aufweisen und sich nicht nur über eine bloße Aufzählung von Straßennamen definieren. Also galt es, einen Plot um etwas Ruhrgebietstypisches aufzubauen. Was die Sache – das muss ich zugeben – nicht einfacher gemacht hat.
Dann ist es nur zu verständlich, dass Sie davon ausgehen, die durch den Kohleabbau entstandenen Hohlräume würden auch heute noch verfüllt. Tatsächlich ist das durch die heutige Technik des fortschreitenden Schildausbaus gar nicht mehr möglich. Aber darum ging es in Ihrem Roman ja auch nicht.
- Bei meinen Recherchen wurde diese Sicherungsmaßnahme immer wieder bis zuletzt als gängige und gegenwärtig praktizierte Technik aufgeführt. Ich verweise hier nur auf einige Beispiele der jüngsten Vergangenheit. So zum Beispiel auf die Berichterstattung aus dem Juli 2014, in dem die Verfüllung eines Bergwerkstollens in Essen- Rüttenscheid beschrieben wird. 2012 hat die Bezirksregierung in Hörde die Verfüllung eines Flözes der Zeche Clarenberg übernommen. 2011 in Bochum an der Wittenbergstraße. Ein einziger Klick im Net bringt unzählige solcher Maßnahmen auf den Schirm, die Stollensicherungsmaßnahmen explizit als Verfüllung bezeichnen. Inwieweit es sich hier um Falschmeldungen handelt, oder ob in Ermangelung ausreichender Fachkenntnisse nur falsche Begrifflichkeiten verwendet wurden, vermag ich nicht zu beurteilen. Da ich kein Fachbuch über den Bergwerk schreiben, sondern lediglich eine Grundlage schaffen wollte, auf der ich die Romanhandlung aufbauen konnte, scheint mir eine Auseinandersetzung mit solchen Details ohnehin nur auf theoretischer Grundlage interessant. Wenngleich ich auch um korrekte Darstellungen bemüht bin. Darüber hinaus ist es bei der Fertigung eines Romans manchmal notwendig, gewisse Gegebenheiten der Handlung anzupassen. Das wird sogar in Bestsellern regelmäßig so gehandhabt. Und dort auf einer deutlich anderen Art. Ich denke nicht, dass ein Leser bei Dan Browns Roman „Illuminati“ ernsthaft glaubt, dass man mit einem Tuch als Fallschirmersatz aus einem Hubschrauber springen und gemütlich Richtung Boden segeln kann.
Im letzten Fall muss ich Ihnen natürlich Recht geben! Und Ihr Einwand, dass Sie kein Fachbuch geschrieben haben, ist ebenfalls völlig korrekt! Da Sie aber nun schon einmal Beispiele Ihrer Recherchen aus der jüngsten Vergangenheit in aller Ausführlichkeit angeführt haben, in denen es um die Verfüllung geht, möchte ich an diesem Punkt zur Klärung noch folgendes anmerken: In der frühen Vergangenheit des Steinkohlebergbaus wurden Stollen ins Erdreich getrieben, die weder auf einer Karte verzeichnet wurden, noch hat man sie verfüllt. Das Problem daran ist, dass diese Stollen nicht in großer Tiefe angelegt waren und diese Hohlräume das Ruhrgebiet wie einen Schweizer Käse durchlöchern. Wo sie aufgespürt werden, muss heutzutage mit enormem Kostenaufwand mit Beton verfüllt werden und dazu werden sogar Autobahnen oder Bahnstrecken gesperrt, weil ein Einbruch verheerende Folgen haben könnte. Erst später wurde alles ordnungsgemäß vermerkt und die Hohlräume nach dem Ausrauben der Stempel mit einem Blasversatz verfüllt. Bei dem heute angewandten Ausbau rücken die hydraulisch betriebenen Schilder automatisch vor und der Raum hinter den Schildern fällt durch die enorme Kraft der Deckgebirge einfach zusammen, was eine Absenkung der geologischen Formation über Tage zur Folge hat. Da, wo heute Zechen geschlossen werden, wird der einstige Schacht von über 1000 Metern ebenfalls mit einem Betongemisch verfüllt, aber eben nur der Schacht und nicht die Strecken.
Aber genug vom Bergbau! Sie lassen durch Hauptkommissar Welke den Leser wissen, dass die „Fernsehscheiße“ die Leute glauben lässt, alles über die Polizeiarbeit zu wissen. Wird Ihrer Meinung die Arbeit der Polizei in den Fernsehsendungen tatsächlich so falsch dargestellt?
- Generell wird Polizeiarbeit recht realitätsfremd dargestellt. Das mag nicht unbedingt daran liegen, dass die Verantwortlichen nicht richtig recherchiert haben. Aber gerade kriminalpolizeiliche Arbeit ähnelt in gewisser Weise einer journalistischen Tätigkeit. Man verbringt viel Zeit am Schreibtisch, telefoniert, schreibt sich die Finger wund, wälzt Akten… Ich denke, es ist schwierig, diese Büroarbeit so darzustellen, dass sie nicht langweilt. Darüber hinaus unterliegen Sender einem immensen Druck. Und der nennt sich Einschaltquote. In einer Welt, in der man visuell von schlimmen Ereignissen und brutalen Szenen geradezu übersättigt ist, lockt man mit unblutigen, dafür aber realitätsnäheren Krimis niemanden mehr vor die Glotze. Schlimm wird es nur, wenn durch diese Art der Unterhaltung die Polizeibeamten in ein Licht gerückt werden, welches auf sie nicht zutrifft und ihnen Unrecht tut.
Das scheint in der Tat ein generelles Problem zu sein: Nicht nur im Film, auch in Romanen muss alles noch dramatischer und noch brutaler dargestellt werden. Um bei diesem Stichwort zu bleiben: Wie sieht es bezüglich anderer Kriminalromane aus? Ich unterstelle einmal, dass Sie gelegentlich zum Zeitvertreib oder aus Neugier in anderen Krimis blättern. Welches falsche Bild wird da Ihrer Meinung nach vermittelt? Zumindest fällt mir auf, dass häufig sehr detailliert die Schusswaffen Erwähnung finden, worauf Sie verzichten.
- Natürlich lese ich viel. Ich bin der Meinung, man kann nur Bücher schreiben, wenn man selbst liest. Aber es stimmt schon. Ich lese selektiv. In zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil man automatisch darauf achtet, wie die Autorenkolleginnen und Kollegen mit dem Handwerkszeug Sprache umgehen. Zum anderen werte ich natürlich die Schilderung der Polizeiarbeit. Leider habe ich noch nicht viele Bücher in der Hand gehabt, die von mir in dieser Hinsicht ein „Okay“ erhalten hätten. Das gilt auch für die Bücher unserer deutschen und internationalen Krimielite. Man muss in diesem Zusammenhang aber bedenken, dass ein Leser mit einem doch sehr großen Wissensfundament gesegnet sein müsste, damit ihm diese Dinge auffallen oder er sie sogar als störend empfinden würde. Ich habe versucht, die polizeiliche Arbeit weitestgehend so zu beschreiben, wie sie stattfindet. Allerdings auf ein verständliches Niveau heruntergebrochen.
Entschuldigen Sie, wenn ich kurz unterbreche: Mit Ihrem Roman haben Sie den Beweis angetreten, dass sich eine realistische Darstellung Ihrer Arbeit und ein äußerst spannend geschriebener Krimi nicht ausschließen!
- Und was die Schusswaffen betrifft… in Deutschland haben wir die Waffe Wort. Wir sind kein Haufen schießwütiger Cowboys. Wir handeln rechtsstaatlich und sind bemüht, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren. Und das nicht aus Furcht vor rechtlichen Konsequenzen, sondern aus persönlicher Überzeugung.
Ich schätze mal, dass alle Krimiautoren, die nicht wie Sie vom Fach sind, Ihre Recherchen überwiegend aus dem Internet beziehen, so wie Sie es im Fall der Kenntnisse über den Bergbau auch getan haben. Dann verwundert es nicht, dass sie zwar eingehend beschreiben, mit wie vielen Messerstichen eine Leiche aufgefunden wird und wie sich das Blut ausgebreitet hat. Aber bei der Beschreibung Ihrer Leiche, bei der sich die dem Boden zugewandte Gesichtshälfte aufgrund der Absetzung der roten Blutkörperchen dunkler verfärbt hat, während die obere Gesichtshälfte im Gegensatz dazu farblos wirkt, sofort auffällt, dass dieses Wissen nur jemand haben kann, der dies schon einmal gesehen hat oder die Informationen aus erster Hand haben muss. Wie wird ein Kriminalbeamter eigentlich im Vorfeld geschult und auf solche Dinge psychologisch vorbereitet? Von Medizinern ist immerhin bekannt, dass einige für den Beruf nicht geeignet sind, weil sie bereits beim Sezieren in der Pathologie versagen und vor Übelkeit flüchten.
- Die Polizei bietet für viele Bereiche sehr gute Seminare und Fortbildungsmaßnahmen an, die von engagierten Kolleginnen und Kollegen, bzw. Referenten durchgeführt werden. Leider sind viele dieser Seminarplätze ausgebucht, oder es besteht aufgrund der katastrophalen Personalsituation bei der Polizei einfach nicht die Möglichkeit, dies in einem notwendigen Umfang zu nutzen. Von daher gilt bei uns immer noch der Grundsatz „Learning by doing“. Ich habe in anderen Interviews schon mal angeführt, dass ich an einem Tag manchmal mehr erlebe, als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben. Und in der Tat fängt unsere Realität oftmals da an, wo die Fantasie anderer aufhört. Die letzten sechs Jahre verbrachte ich auf der Kriminalwache. Durchschnittlich bearbeitet jeder Beamte auf dieser Dienststelle pro Jahr 80 bis 100 Leichensachen. An manchen Tagen fährst du bis zu drei Leichen. Und der Tod zeigt sich nahezu immer pietätlos. Dazu unzählige Vergewaltigungen, auch an Kindern, Raubdelikte, Todesbenachrichtigungen und viele andere Dinge, welche deine Psyche auf eine harte Probe stellen. Und wenn du als Vater zu einem toten Kind fährst, bekommt der Begriff Demut für dich eine ganz andere Bedeutung. Damit muss man klarkommen. Ich für mich halte es so, dass ich mir sage, wenn ich beginne, davon zu träumen, muss ich was tun. Bisher war das noch nicht der Fall. Aber ich habe schon viele große Jungs von uns psychisch einbrechen sehen.
Jetzt muss ich auch erst einmal tief durchatmen. Es ist ein Unterschied, ob ich einen fiktiven Roman lese, oder ob mir, wie in diesem Fall, jemand aus seinem Leben davon berichtet. Ich glaube, den meisten Menschen ist nicht bewusst, wie knallhart der Alltag eines Kriminalbeamten sein kann.
Polizeibeamte werden im Allgemeinen so dargestellt, dass sie durch die vielen abzuleistenden Überstunden keine Zeit mehr zur Pflege von Kontakten finden. Sie müssen sich regelmäßig die Wochenenden um die Ohren schlagen und kommen häufig nur zum Schlafen nach Hause. Was die Mahlzeiten anbelangt, kenne ich aus der Vielzahl der Romane, die ich gelesen habe, meistens nur die Extreme, dass die Person sich entweder durch nichts und niemanden von einer ausgiebigen Mahlzeit abhalten lässt oder allenfalls im Laufschritt einen Happen zu sich nehmen kann und notgedrungen zu Fertiggerichten greift.
Wie gelingt es Ihnen vor diesem Hintergrund, in relativ rascher Folge zwei Kriminalromane zu schreiben, für die Sie immerhin einige Recherchen betreiben und so ganz nebenbei noch einen raffiniert ausgeklügelten Plot spinnen mussten, der dem Leser oftmals nicht einmal Zeit zum ruhigen Durchatmen lässt?
- Ich hatte zuletzt eine Siebentagewoche. Nur Spät- und Nachtschicht. Danach im Wechsel zwei und dann drei Tage frei. Wenn du das einige Jahre machst, bist du platt. Die daraus resultierende Erschöpfung können die freien Tage nicht wettmachen. Jeder, der im Schichtdienst arbeitet weiß, was ich damit meine. Von daher hinkt der beschriebene Lebensstil in keiner Weise. Und ja, Sozialkontakte sinken auf ein Minimum.
Wenn man ernsthaft vorhat ein Buch zu schreiben, so muss man sich im Klaren darüber sein, dass man den Bereich des Hobbys verlässt. Ein Buch schreiben bedeutet Disziplin, wie ich sie zuvor noch nicht erlebt habe. Es beinhaltet durch unzählige Täler des Zweifelns zu schreiten, sich selbst infrage zu stellen, Schreibblockaden zu überwinden und sein Werk unzählige Male zu überarbeiten. Und das über viele Monate.
Vor dem Hintergrund meines Berufes und meiner Familie war es das Härteste, was ich je gemacht habe. Es ist ein Kampf gegen dich selbst. Rückwirkend betrachtet frage ich mich jedes Mal, wie ich das durchgestanden habe. Insbesondere, da ich für mein erstes Buch als absoluter Anfänger insgesamt 5 Monate Zeit hatte. Mir ist aber auch bewusst, wenn man in der hart umkämpften Bücherbranche Fuß fassen will, so muss man jedes Jahr einen Roman bringen.
Ja, hart umkämpft ist die Bücherbranche und so manch fähiger Autor mag dabei auf der Strecke bleiben. Könnte es Ihnen passieren – jetzt, wo Sie sich als Autor einen Namen gemacht haben – während Ihrer polizeilichen Ermittlungsarbeit als Autor erkannt zu werden? Wenn Sie beispielsweise auf einen Klingelknopf drücken und sich als Polizeibeamter Mike Steinhausen vorstellen, der um Einlass bittet, weil er einige Fragen hat?
- Generell sehe ich es nicht als erstrebenswertes Ziel an, berühmt zu werden. Ich glaube, dass die allermeisten Schriftsteller oder Autoren ähnlich empfinden. Unsere Arbeit findet im stillen Kämmerlein statt. Hat man das Bedürfnis, um seiner Person willen in die Öffentlichkeit zu gelangen, dann ist das Schreiben sicher der denkbar falsche Weg.
Und Hand aufs Herz… selbst die erfolgreichsten Schriftsteller sind maximal C- Prominenz. Und davon bin ich ja noch Lichtjahre entfernt.
Die Wahrscheinlichkeit, dass man als Buchautor auf der Straße erkannt wird, tendiert gegen Null. Bisher bin ich noch nicht in die Situation gekommen, dass man mich beruflich als Buchautor erkannt hat. Ich bin zuversichtlich, dass sich das zukünftig auch nicht großartig ändern wird.
Na ja, man weiß nie – Sie sollten Ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen.
Dient Ihnen das Schreiben als Ausgleich zum Beruf oder ist es mehr eine Aufarbeitung, um besser mit dem Erlebten fertig zu werden?
- Ich bin auf einem recht ungewöhnlichen Weg zum Schreiben gekommen. Ich war weder auf der Suche nach einem neuen Hobby, noch hatte ich das Bedürfnis, etwas aufzuarbeiten. Ich habe gern gelesen und bei einigen Büchern hatte ich das Gefühl, dass sie mit meiner Sprache geschrieben wurden. So habe ich mich irgendwann in einer grenzenlosen Naivität hingesetzt und angefangen. Diese Naivität hat mich wahrscheinlich geschützt. Hätte ich im Vorfeld gewusst, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass jemals aus dem eigenen Manuskript ein Buch wird, ich hätte nie ernsthaft begonnen, es zumindest wohl nie zu Ende gebracht. Der Vergleich mit einem großen Lottogewinn ist realistisch. Das bereits der zweite Verlag Interesse hatte, war sicher ein Glücksfall, der in dieser Form nicht allzu oft vorkommt. Dass dieser Verlag mich dann fragte, ob ich nicht ein anderes Buch als das von mir eingereichte für sie schreiben könnte, war schon eine recht abgefahrene Nummer.
In der Tat ist das kaum zu fassen und ich kann nur sagen, dass Ihr Manuskript einfach überzeugt haben muss! Bei so viel Talent machen Sie sicher weiter. Worüber dürfen sich Ihre Leser als nächstes freuen?
- Der Gmeiner Verlag bat mich, mir Gedanken über eine serientaugliche Figur zu machen. Insoweit sind die Protagonisten von Schlagwetter auch in meinem nächsten Buch vertreten, welches 2015 herauskommen wird. Ich kann natürlich nicht auf den Inhalt eingehen. So viel sei aber verraten: Der nächste Roman wird einen noch tieferen Einblick in die Materie geben. Und wer weiß. Wenn die Leser Steiger & Co annehmen, ist es durchaus denkbar, dass er zukünftig noch einige Abenteuer bestehen darf.
Das ist ein gutes Schlusswort und ich bin davon überzeugt, dass die Protagonisten von Ihnen so gut herausgearbeitet wurden, dass sie die Leser überzeugen. Ich darf mich bei Ihnen ganz herzlich für das Interview bedanken und Ihnen sowohl für Ihre berufliche, als auch schriftstellerische Karriere alles Gute wünschen!