Apfelmädchen von Tina N. Martin

ApfelmädchenKurz nach Mitternacht bietet sich Kommissarin Idun Lind und ihrem von allen nur Calle genannten Kollegen ein entsetzliches Bild: Eva, die Ehefrau von Vidar Vendel, hängt tot an der Decke im Eingangsbereich ihres Hauses Nähe der schwedischen Stadt Boden. Die Spurentechniker finden keine Einbruchspuren, so dass die Ermittler von Mord ausgehen. Während Eva selbst kinderlos war, hat Vidar Tochter Nadja, die Jura studiert, aus erster Ehe mitgebracht. Vor dem Haus fällt Idun und Calle ein Beobachter auf, der ihnen allerdings keinerlei ermittlungsrelevante Hinweise liefern kann. So befragen sie zunächst die Nachbarin Caroline Hofverts, die von einem Suizid aufgrund der zahlreichen Affären ihrer Nachbarin ausgeht. Die ganze Nachbarschaft hätte Bescheid gewusst, was Eva sicher nicht aushalten konnte. Zudem beschreibt sie die Tote als deprimiert und traurig wirkende Frau.

Vidar, der einen Nervenzusammenbruch erlitten hat, besuchen Idun und Calle in der Psychiatrie, wo auch Nadja zugegen ist. Wegen einer Panikattacke von Vidar muss das Gespräch frühzeitig abgebrochen werden, doch wird Calle den Verdacht nicht los, dass mit Nadja etwas nicht stimmt. Sie scheint mehr zu wissen, als sie zugibt. Inzwischen teilt die Rechtsmedizinerin mit, dass Eva vor dem Aufknüpfen erdrosselt worden ist und keinerlei Spuren von Abwehrhandlungen zu finden sind, was vermuten lässt, dass sie zuvor betäubt wurde. Idun ist derweil über die Abwechslung froh, dass sie ihre neue Nachbarin Marie zum Essen einlädt.

Idun und Calle statten Jan-Olov, kurz Olle genannten, dem vor zehn Jahren geschiedenen Mann von Eva, einen Besuch ab. Wenig später erhalten sie einen Anruf seiner zweiten Ehefrau Lovis, die behauptet, anhand der Adresseneingabe in seinem Leasingauto eindeutig den Nachweis zu liefern, dass er an dem Tatabend in Evas Wohnung gewesen ist. Über ihren Vorgesetzten Anders Eriksson erwirken die Ermittler die Beschlagnahme seines Autos, mit dem er die Tote transportiert haben könnte. Doch während Olle ein zweites Mal verhört wird, wirft seine neue Aussage ein völlig neues Licht auf die weiteren Ermittlungen. Dann erhält Evas Vater Åke einen Brief mit einem Bibelzitat. Ob da ein Zusammenhang mit den gefalteten Händen der toten Eva besteht? Doch Idun und Calle haben es nicht nur mit diesem einen Brief zu tun und obendrein auch noch mit einer Kindesentführung aus einer Kita.

Tina N. Martin, die wie die ermordete Eva als Lehrerin in Boden arbeitet, schreibt ihren spannenden und mit überraschenden Wendungen aufwartenden Debütthriller „Apfelmädchen“ in mehreren Handlungssträngen. So ist immer wieder vom Ehepaar Bohm und ihrer an Diabetes erkrankten kleinen Tochter Ellen zu lesen, die häufig von ihrer Großmutter betreut und letztendlich entführt wird. Zudem finden sich in dem Plot verstreut Rückblicke bis ins Jahr 1975, in denen von Viola und ihrem tyrannischen Mann die Rede ist, der nicht nur sie, sondern auch die Kinder Tommy und Ingrid, Violas „Apfelmädchen“, züchtigt. Erst, nachdem die Misshandlungen aktenkundig werden, kommen sie auf richterliche Anordnung im Paradieshof unter. Der Haupterzählstrang gibt die Ereignisse um den ersten Fall der Kriminalkommissarin Idun Lind wieder, deren Schwester Mika als Religionswissenschaftlerin arbeitet und Vater Per ein Psychologe im Ruhestand ist, was für den Handlungsverlauf von Bedeutung ist. Mit ihrem eigensinnigen Partner Calle Brandt verständigt sie sich ohne Worte und kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Eine nicht zu unterschätzende Hilfe ist die Zivilangestellte Siv Liv, die im Hintergrund die Fäden zieht und vorausschauend mitdenkt.

Anders als in Kriminalromanen üblich ist das Verhältnis von Idun und Calle zu ihrem Vorgesetzten Anders Eriksson von Vertrauen und Einvernehmen geprägt. Die Autorin verzichtet auf Beschreibungen der Schusswaffen sowie auf Zusammenkünfte der Ermittler auf der Wache, in denen die Sachlage immer wieder aufs Neue dargestellt wird, was mitunter lediglich Buchseiten füllen kann und die Handlung nicht vorantreibt. Tina N. Martin gönnt dagegen dem Leser von der ersten Seite an, in der Vidar von der Arbeit heimkehrend seine Ehefrau Eva tot vorfindet, keine Atempause. Ähnlich einem verknoteten Garnknäuel, das sich zunächst keinen Millimeter bewegt, um schließlich nach ersten Lockerungsversuchen zunehmend nachzugeben, führt die Autorin geschickt ihre Handlungsstränge zusammen und löst alle Fragen auf, wobei sich bedrohliche Situationen zuspitzen, die dem Leser Gänsehaut und Schnappatmung garantieren.

Apfelmädchen von Tina N. Martin

Apfelmädchen
Übersetzung von Leena Flegler
Blanvalet Verlag 2023
Klappenbroschur
512 Seiten
ISBN 978-3-7341-1165-5

Bildquelle: Blanvalet Verlag


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