Glück für Wiedereinsteiger von Carla Berling

Was, wenn ein Paar nach vierzigjähriger Ehe feststellt, dass jeder von ihnen noch einen Traum hat, der aber nicht kompatibel mit dem des Partners ist? Genau das geschieht den Protagonisten in dem Roman Glück für Wiedereinsteiger* von Carla Berling: Thea Schmidt ist wie Ronny am ersten Januar geboren und hat dieselbe Schule wie er besucht. Beide haben bei der Sparkasse eine Ausbildung gemacht, in der sie nunmehr halbtags arbeitet und ihr Ehemann Filialleiter ist. Sie sind glückliche Eltern von drei Töchtern, haben zwei Schwiegersöhne sowie fünf Enkelkinder. Ihren vierzigsten Hochzeitstag, der gleichzeitig ihr sechzigster Geburtstag sein wird, wollen sie groß im Rheinhotel feiern. Sie planen eine Mottoparty rund ums Kino und wollen neben ihren Verwandten auch die alten Freunde einladen, die schon zu ihrer Hochzeit dabei waren.

Doch die Besuche bei den ehemaligen Freunden geben dem Paar zu denken. Oberflächlich wollen diese den Schein wahren, in Wirklichkeit aber belügen sie sich und machen sich gegenseitig etwas vor. Thea fragt sich nach den Gesprächen, was sie überhaupt noch vom Leben erwartet. Sie müsste doch dankbar dafür sein, dass es ihr so gut geht. Dennoch ist sie zunehmend „neugierig und voller Sehnsucht“. In einer lauen Sommernacht kommt es im August bei einem Glas Wein mit ihrem Ehemann zu einer Aussprache, wobei Ronny ruhig darum bittet, dass beide ehrlich miteinander umgehen sollen. Er möchte von ihr wissen, was ihr Traum wäre, wenn sie auf niemanden Rücksicht nehmen müsste. Ohne zu zögern antwortet Thea, gerne nach Neuseeland reisen zu wollen, woraufhin Ronny zugibt, seinen Traum in Paris verwirklicht zu sehen. Während er für nichts in der Welt in die Abgeschiedenheit nach Neuseeland reisen möchte, sind für Thea Großstädte und ganz besonders Paris ein Gräuel.

In den Armen des jeweils anderen liegend entschließt sich das Paar einvernehmlich für eine Trennung ab dem neuen Jahr, wobei sie natürlich weiterhin an der bis ins Detail geplanten Mottoparty festhalten, auf der sie ihren Entschluss bekannt geben wollen. Daneben müssen sie auch Entscheidungen bezüglich des Hauses und ihrer Arbeitsstellen treffen. Noch bevor die ersten Gäste erscheinen, genießen sie die „intime Stille“ und stoßen mit einem Glas Champagner auf ihr neues Leben an, dem sie hoffnungsvoll entgegenblicken. Nach dem Eröffnungstanz geben sie zur Überraschung aller Anwesenden ihre Pläne bekannt und sehen sich unvermittelt mit unerwarteten Reaktionen seitens ihrer Töchter konfrontiert.

Thea ist in dem Roman Glück für Wiedereinsteiger* von Carla Berling sehr darauf bedacht, die Umwelt zu schützen. Sie sorgt sich um die Folgen des Klimawandels und den Plastikmüll, der die Meere belastet, weshalb sie in ihrem Alltag viele Veränderungen vorgenommen hat und auf einiges verzichtet. Der Plot nimmt den Leser mit auf eine abenteuerliche Fahrradreise von Neu-Isenburg über Lausanne, Avignon und Marseille bis nach Nizza und macht die Unterschiede deutlich, die Thea und Ronny bei den Besuchen ihrer alten Freunde aufgefallen sind, wenn einer der beiden Gesprächspartner nicht anwesend war. Denn plötzlich gibt jeder hinter vorgehaltener Hand eine eigene Version zum Besten.

Die Autorin hat mit dem Roman ein Thema angesprochen, das sich zumindest in ähnlicher Form schon in vielen Beziehungen zugetragen haben dürfte. Leser im Alter der Protagonisten können vielleicht am besten deren Gedanken verstehen, weil sie ihnen nämlich aus der Seele sprechen und sie sich wie diese fragen, was aus ihren eigenen Träumen geworden ist. Während die Ereignisse der ersten Seiten sie dank der ausgefallenen Ideen von Carla Berling häufig zum Lachen bringen, nähert sich der Plot allmählich dem eigentlichen emotionalen Kern. Philosophische Gedanken über die Bedeutung von Glück und Zufriedenheit fließen ein und eine überraschende Wende folgt der nächsten. Die Autorin hat es verstanden, in ihrer – im positiven Sinn – wahnsinnigen Geschichte, die den Leser neugierig auf ihren Fortgang macht, Amüsantes und zutiefst Bewegendes in Einklang zu bringen, was lange in Erinnerung bleibt.