Während einer Taxifahrt hört die Architektin Isabelle aus den Nachrichten, dass ihre Tante Corinna Waldeck, die sich zurzeit auf ihrer Mawingu-Farm in Tansania aufhält, bei einem Autounfall tödlich verunglückt ist. Sofort fährt sie zu ihrer Mutter Doris, eine Zwillingsschwester von Corinna. Kaum haben die beiden die schockierende Nachricht verarbeitet, erreicht sie ein Anruf des Konsulats mit der Mitteilung, dass Corinnas Tochter Hannah bereits in Frankfurt ist und direkt einen Anschlussflug nach München hat, von wo aus sie abgeholt werden sollte. Isabelle und Doris sind völlig perplex, denn sie können nicht glauben, dass ihnen Corinna über Jahre ein Kind verheimlicht haben soll. Immerhin war Isabelle des Öfteren auf der Kaffeeplantage zu Besuch und hat dort nie von einem Kind ihrer Tante gehört. Zudem fragen sich beide, ob Corinna vor vierzehn Jahren, so alt ist Hannah inzwischen, im Alter von vierundfünfzig Jahren überhaupt noch Mutter werden konnte. Doch ein erstes Zusammentreffen mit dem Mädchen beseitigt aufgrund der frappierenden Ähnlichkeit alle Zweifel.
Im Beisein aller Erben verliest Notar Dr. Jörg Mettmann das Testament der vermögenden Corinna, das zumindest für Isabells Neffen Moritz unbefriedigend ausfällt. Doris zeigt sich überrascht und erfreut, weil sie in der Villa Waldeck, in die ihre Schwester während ihrer Aufenthalte in München eingekehrt ist, wohnen bleiben darf. Für Isabelle hat Corinna verfügt, dass sie die Mawingu-Farm erben soll. Dem letzten Willen ihrer Tante entsprechend bucht sie einen Flug nach Tansania, obwohl sie eigentlich in ihrem Architekturbüro gebraucht würde. Für einige Wochen verabschiedet sie sich von ihrem Ehemann Christoph, der als Konzertviolinist nicht abkömmlich ist, und dem studierenden Sohn Alexander, ohne zu ahnen, wie sich ihr Leben in den nächsten Wochen und Monaten verändern wird, denn spätestens mit der Bekanntschaft des Piloten Frank, der eine Propellermaschine fliegt, muss sie eine weitreichende Entscheidung treffen.
Bereits mit der Ankunft von Hannah in München ahnt der Leser des Romans Das Flüstern des Lebens*, dass es um die Vierzehnjährige ein noch zu lüftendes Geheimnis geben muss, was ihn natürlich auf den weiteren Handlungsverlauf neugierig macht. Katharina Fuchs gibt das Geschehen in der Form wieder, dass sie im Wechsel Isabelle in der Ich-Form berichten lässt, alle anderen Begebenheiten aber im Erzählstil, wobei immer wieder auch Erinnerungen vergangener Zeiten einfließen. In Nebenschauplätzen geht die Autorin detailliert auf die Arbeit von Isabelle als Architektin ein oder die Bebauung einschließlich der horrenden Preise in Monte Carlo.
Das Hauptaugenmerk liegt auf den Unterschieden der im Plot aufeinandertreffenden Kulturen: Auf den Kaffeeplantagen schleppen schon kleine Kinder die viel zu schweren Säcke mit Kaffeekirschen, um ihre Familien zu ernähren. Die Indigenen selbst stecken in einem Teufelskreis und können ihre Kinder im Überlebenskampf nicht auf eine Schule schicken. Die Autorin informiert über die Verarbeitung der Kaffeekirschen, die Pflanzen- und Tierwelt in Tansania und vor allem über die Gewohnheiten der Massai und ihre Sprachen Maa und Swahili sowie die mehr als fünfhundert zählenden Bantusprachen. Ob die Massai tatsächlich die Aktivitäten der Ameisen für die Regenvorhersage nutzen, wie im Buch zu lesen ist, sei dahingestellt. Nachdenklich stimmt auf jeden Fall die Unterhaltung von Isabelle mit dem weisen Olaigwenani in der Boma, einem Gebäude der Massai, der ihr erklärt: „Das moderne Leben und die modernen Sachen, um die man sich kümmern muss, bringen oft mehr Sorgen als Nutzen“.
Obwohl das Korrektorat nur unzureichend ausgefallen ist, erwartet den Leser ansonsten ein in jeder Hinsicht beeindruckender Roman. Nicht zuletzt wegen der realitätsnahen Ausarbeitung des notariellen Vertrages und der für Überraschung sorgenden Gerichtsverhandlung, für die Katharina Fuchs, die sich als Juristin im Vertragsrecht bestens auskennt, auf eigene Sachkenntnisse zurückgreifen konnte. Mit Das Flüstern des Lebens* hat die begnadete Erzählerin einen informativen und spannenden, mit einer Intrige gepushten Roman geschaffen, der mit interessanten Ausschmückungen ein Leseerlebnis der besonderen Art darstellt.
Das Flüstern des Lebens von Katharina Fuchs
Droemer Verlag 2024
Hardcover mit Schutzumschlag
480 Seiten
ISBN 978-3-426-28395-0