Im zweiten Teil der Familiensaga, die mit dem Jahr 1924 eine Fortsetzung findet, wachsen Henriette Graffs Zwillingstöchter Julia und Christine wohlbehütet nach den Entbehrungen des ersten Weltkrieges in der Villa Sommerwind am Timmendorfer Strand auf. Die ungestüme und vorlaute Julia geht mit Vorliebe in der Küche dem stellvertretenden Küchenchef Johannes Grünblatt zur Hand, was weder ihrer Mutter, noch ihrem Ziehvater Ole Bergmann gefällt. Dagegen respektieren diese Christines Wunsch, die als Krankenschwester in der Praxis bei Herrn Marks arbeitet, später einmal Ärztin zu werden. Nachdem Julia sich durchgesetzt und unter Beweis gestellt hat, dass sie für das Winterbankett 1925 die Verantwortung übernehmen konnte, darf sie endlich eine Lehre machen, bevor sie eine Hotelfachschule besucht und ihren Johannes heiraten darf.
Unterdessen hat sich die besonnene Christine in den Politikstudenten Maximilian Grabens verliebt, der allerdings auch für die KPD arbeitet und das soziale Elend bekämpfen will. Nach einem Medizinstudium läuten für sie ebenfalls die Hochzeitsglocken. So sehr sie auch Maximilian in seinem Wunsch, Menschen zu helfen, unterstützt hat, so hatte sie doch gehofft, dass er zumindest nach der Geburt von Tochter Gerda die unerlaubte und gefahrvolle Teilnahme an Demonstrationen oder Verteilung von Flugblättern einstellen würde. Denn nach dem Wahlsieg der NSDAP werden im Jahr 1933 bereits die ersten Mitglieder der inzwischen verbotenen KPD auf nimmer Wiedersehen verschleppt.
Christine ist voller Sorge um ihren Ehemann und hört mit Entsetzen, wie Juden behandelt und ihre Geschäfte geplündert werden. Bald wird auch der jüdische Arzt Marks nicht mehr praktizieren dürfen. Doch Julia zweifelt an Maximilians Aussagen und gestattet der NSDAP die Abhaltung einer großen Veranstaltung in der Villa Sommerwind, um Einnahmen zu generieren und finanziell abgesichert zu sein. Mit Hilfe des Redaktionsleiters Schwab sowie dem Inhaber des Lübecker General-Anzeigers Coleman hat sie die Villa zu einem gefragten Hotel ausgebaut, wofür sie von ihrer Mutter Henriette und der Großmutter Amalia bewundert wird. Doch dann wendet sich das Blatt, als Maximilian von der SA gesucht wird. Julia muss die Villa der Partei weiterhin als Veranstaltungsort überlassen, um kein Misstrauen zu erwecken, und Christine muss sich entscheiden, ob sie in der Villa bleiben oder mit ihrem Ehemann die Flucht antreten will.
Der zweite Teil der erschütternden Familiensaga „Die Hoffnung am Horizont“ von Anna Husen endet mit dem Jahr 1946, wobei in der ersten Hälfte des Buches das sorglose Leben der Zwillingsschwestern im Vordergrund steht: Beide verlieben sich, die Stimme des jeweils Geliebten lässt ihr Herz pulsieren und sein Anblick treibt ihnen die Hitze in die Wangen. Doch mit den zahlreichen Liebesschwüren hat die Autorin lediglich aufgezeigt, wie glücklich die Schwestern waren und wie schnell ein Krieg alles zu ändern vermag. Die Frauen beklagen nicht nur den selbst in Friedenszeiten nicht zu verhindernden Tod ihres Ziehvaters, sondern müssen auch Johannes und ihren jüngeren Bruder Hardi in den Krieg ziehen lassen.
Anna Husen erinnert auch an die am 3. Mai 1945 von den Briten versehentlich versenkten Schiffe Cap Arcona und Thielbek, in denen insgesamt über 7000 KZ-Häftlinge ihr Leben lassen mussten. Zudem hat sie darauf hingewiesen, dass es vor dem Krieg ein sogenanntes Notabitur mit erleichterten Prüfungen gegeben hat. Anhand ihrer Protagonisten Julia und Hardi zeigt sie eindrucksvoll die Bredouille auf, in der sich so manch einer in der damaligen Zeit befunden haben mag: Die Vertreibung der Juden mögen nicht alle richtig gefunden haben, aber dennoch wurde zu allem geschwiegen, weil ihnen vor Augen geführt wurde, was mit denen passierte, die sich gegen die Partei stellen. Um selbst zu profitieren, haben viele einfach weggeschaut und geschwiegen, wenn Juden in die KZs abtransportiert wurden und nicht wenige sind durch die Übernahme der einst den Juden gehörenden Geschäfte reich geworden. Dieses wichtige Kapitel deutscher Vergangenheit erhält mit einem dritten Band um die Frauen der Villa Sommerwind eine Fortsetzung, auf die es sich zu warten lohnt!
Die Frauen der Villa Sommerwind – Die Hoffnung am Horizont von Anna Husen
Knaur Verlag 2024
Taschenbuch
464 Seiten
ISBN 978-3-426-52973-7