Lesen ist doof von Nils Freytag und Silke Schlichtmann

Lesen ist doofLaut einer Statistik gaben mehr als die Hälfte aller befragten Jungen und Mädchen im Jahr 2020 an, mindestens einmal in der Woche in einem gedruckten Buch zu lesen. Bei den im Jahr 2022 befragten Jugendlichen im Alter von zwölf bis neunzehn Jahren haben rund 32% angegeben, täglich oder mehrmals in der Woche zu lesen. Mit dem provozierenden Titel „Lesen ist doof“ ihres Kinderbuches ziehen Nils Freytag und Silke Schlichtmann bereits jene Menschen genau auf die Seite der Lesenden, die das eigentlich doof finden. Denn wer kein Interesse am Lesen hat, fühlt sich durch diese Aussage geradezu bestätigt, was wiederum die Neugier an dem Buch weckt!

Schon das Cover, bei dem sämtliche Mitreisenden eines Busses oder Zuges ein Handy in der Hand halten und lediglich ein kleines Kind in ein Buch vertieft ist, macht den Widerspruch, um den es dem Autorenehepaar geht, deutlich. Alle schauen zu dem Kind und finden das komisch. Dass sie selbst nur in ihr Handy schauen, ist völlig normal? Auf zwanzig Doppelseiten haben Nils Freytag und Silke Schlichtmann jeweils einen Grund, warum lesen doof ist, zusammengetragen. Ein Illustrator hat die jeweilige Aussage Lügen gestraft, indem er zeichnerisch das glatte Gegenteil dargestellt hat. Gleich auf der ersten Seite geht es los: Lesen ist doof, weil der Anfang immer so schwierig ist? Das kann kein Grund sein, denn nicht nur beim Lesen ist aller Anfang schwierig, auch das Schwimmen will gelernt sein! Und überhaupt, wenn du noch nicht lesen kannst, ist das ein Grund mehr zu üben! Dann ist es auch nicht so schwer, wie die Vorstellung, einen Haufen Bücher tragen zu müssen.

Von wegen, man kann nach dem Lesen nicht einschlafen, dabei schläft mitunter sogar Papa ein! Zu anstrengend kann auch kein Grund sein, denn sportliche Aktivitäten strengen noch mehr an. Ob es sich in einem Buch um eine ernste oder langweilige Sache handelt oder nicht, hat jeder selbst in der Hand. Vielleicht lachst du so viel, dass du davon Bauchschmerzen bekommst oder das Buch ist so spannend, dass du es gar nicht mehr weglegen kannst. Alleine ist man beim Lesen sowieso nie, da man von den Protagonisten umgeben ist, in deren Welt man eintaucht. Lesen ist überflüssig wie das Schwimmenlernen, weil es doch einen Rettungsring gibt? Und wenn der kaputt ist? Und wenn du dumm bleibst? Es gibt gar nicht alles, was in Büchern steht? Was ist aber dann, wenn plötzlich das Sams hinter dir steht? Und wenn du etwas Fantasie hast, kannst du dir alles so vorstellen, wie du es haben möchtest. À pro pos Vorstellung: Wenn zwei Menschen dasselbe lesen, nimmt jeder für sich aufgrund seiner eigenen Vorstellungskraft etwas anderes aus dem Text mit.

Jeweils auf der linken Seite steht immer nur ein kurzer Satz, der stets mit „Lesen ist doof“ beginnt, während auf der rechten Seite eine farbige Illustration zu finden ist, die den Satz ins Gegenteil verkehrt. Für die ausdrucksstarken Illustrationen zeichnen keine geringeren als Maja Bohn, Erhard Dietl, Julia Dürr, Cornelia Funke, Susanne Göhlich, Sybille Hein, Felicitas Horstschäfer, Ulf K., Regina Kehn, Ute Krause, Daniela Kulot, Paul Maar, Ulrike Möltgen, Kathrin Schärer, Axel Scheffler, Marei Schweitzer, Susanne Strasser, Julie Völk, Sabine Wilharm sowie Henrike Wilson verantwortlich. Aufgrund der Widersprüche in Wort und Bild regt das Kinderbuch zum Nachdenken an, und es ist gut vorstellbar, dass es auch in der einen oder anderen Familie zu Diskussionen führt. Immerhin müssen die Kinder, die den einfach gehaltenen Text bereits ab dem sechsten Lebensjahr selbst lesen können, genau das machen, was sie vielleicht nicht wollen, nämlich lesen!, um zu erfahren, warum das Lesen so doof sein soll.

Lesen ist doof von Nils Freytag und Silke Schlichtmann

Lesen ist doof
Carl Hanser Verlag 2023
Hardcover
48 Seiten
ISBN 978-3-446-27598-0

Bildquelle: Amazon


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