Tsai Kun-lin – Ein neues Leben von Yu Pei-yun

Tsai Kun-lin – Ein neues LebenUnvermittelt knüpft der dritte Band „Tsai Kun-Lin – Ein neues Leben“ einer Graphic Novel aus Taiwan mit der Ankunft von Tsai Kun-Lin im Jahr 1960 an, nachdem er eine zehnjährige Haft verbüßen musste. Die Enttäuschung ist groß, als er seinen Vater, der aus Kummer Suizid beging, nicht mehr antrifft. Tsai geht täglich in Taipeh auf Arbeitssuche und kommt endlich in einem Zeitungsverlag unter. Durch Zufall erfährt er, wo seine Jugendliebe Kimiko lebt. Bei seinem Besuch wärmen die beiden Erinnerungen aus der gemeinsamen Schulzeit auf. Wegen seiner Haftstrafe muss er seine Arbeit bei der Zeitung aufgeben, da seinem Chefredakteur Repressalien aufgrund seiner Vorstrafe drohen könnten. Nach erneuter Arbeitslosigkeit wird Tsai freier Mitarbeiter in einem Comicverlag.

Kimiko, die als Grundschullehrerin arbeitet, ist darüber dankbar, dass Tsai ihr bei den Korrekturen von Aufsätzen hilft. Nach zwanzig Jahren heimlicher Lieber folgt endlich im März 1961 die Verlobung. Mit Liao Wen-mu gründet Tsai den Comicverlag Wenchang. Sein Traum eines Lehramtsstudiums wird vom Bildungsministerium wegen seiner Vorstrafe zerstört, und der nächste Schlag ereilt ihn mit der Aufschiebung der Hochzeit, die erst im Juli 1962 stattfinden kann. Ein Jahr später bekommt Tsai für ein Abendstudium eine Zulassung. Trotz der täglichen Arbeit und des Studiums bewirbt er sich auch noch bei einer Werbeagentur und wird angenommen. Nach einer Beförderung wird er Leiter der neuen Panasonic-Exclusivabteilung, doch sein mit Liao Wen-mu gegründeter Verlag muss schließen, weil Comics plötzlich einer Zensur unterliegen.

Im Dezember 1966 gründet Tsai das Kindermagazin Prinz, deren Grußwort im Buch abgedruckt wurde, und schon die erste Ausgabe ist ein voller Erfolg. Bei einer Hausdurchsuchung wird seine Wohnung auf den Kopf gestellt. Er setzt sich für eine Baseballmannschaft ein, die sich zwar qualifiziert, aber kein Geld für die Teilnahme am Turnier hat. Von überall leiht er sich Geld um zu helfen, und als sein erstes Kind geboren wird, muss das Kindermagazin Konkurs anmelden. Nicht genug damit, zerstört im September 1969 zwei Taifune sein Haus und die seiner Verwandten, von denen er sich Geld geliehen hatte. Alle Häuser werden versteigert und zurück bleibt Tsai mit einem enormen Schuldenberg und Schuldgefühlen.

In vielen Gesprächen hat Tsai Kun-Lin, der sich zeitlebens für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt hat, der Autorin Yu Pei-yun und dem Illustrator Zhou Jian-xin seine Lebensgeschichte erzählt. In der Graphic Novel, die nichts anderes als eine ausführliche Form eines Comics ist, finden sich zu den von Zhou Jian-xin meisterhaft umgesetzten Illustrationen, die erst eine Vorstellung vom Leben und dem Land ermöglichen, nur Sprechblasen mit kurzen Texten. Doch hat Yu Pei-yun immer wieder Ergänzungen zur Geschichte Taiwans und der politischen Situation hinzugefügt. Insgesamt erhält der Leser, der mit der Altersempfehlung von vierzehn Jahren kaum die Dramatik erfassen kann, auch einen Eindruck vom gesellschaftlichen Leben in dem von Unterdrückung geprägten Land.

Für den Übersetzer Johannes Fiederling dürfte es eine Herausforderung gewesen sein, dass in Taiwan je nach Situation eine unterschiedliche Sprache gesprochen wird, was sogar innerhalb eines Satzes vorkommen kann. Aus diesem Grund sind die Texte verschiedenfarbig gedruckt, je nachdem, ob aus dem Taiwanischen, dem Chinesischen oder Japanischen übersetzt wurde. Es macht wenig Sinn, die ersten beiden Bände nicht gelesen zu haben, da die insgesamt vier Bände in einem Kontext gesehen werden müssen. Auch wenn Tsai dieses Mal in ein hoffnungsvolles neues Leben startet, steht er doch nach weiteren Schicksalsschlägen wieder mit leeren Händen da. Wie und ob er das verkraften konnte, erfährt man im vierten und letzten Band dieser zutiefst berührenden Lebensgeschichte.

Tsai Kun-lin – Ein neues Leben von Yu Pei-yun

Tsai Kun-lin – Ein neues Leben
Übersetzung von Johannes Fiederling
Baobab Books 2024
Klappenbroschur
176 Seiten
ISBN 978-3-907277-23-2

Bildquelle: Baobab Books


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