Ein Roman über menschliche Schwächen und verborgene Machenschaften
Ein Leben voller Unzufriedenheit
Hermann Hartl, der von seinem Onkel die Trafik übernommen hat, ist mit seinem Leben äußerst unzufrieden, nachdem ihn seine Ehefrau Heidi mit der Nachricht ihrer Schwangerschaft konfrontiert hat. Nun liegt ihm nicht nur sie finanziell auf der Tasche, sondern auch die mittlerweile erwachsene, nichtsnutzige Tochter Jessica. Nichtsahnend wird Hartl bereits seit Längerem von Psychologe Arthur Furtner und dessen Ehefrau Dolli beobachtet – wohlhabende, neugierige Nachbarn von Rudi Staller.
Rudi Staller – Kind im Körper eines Erwachsenen
Rudi ist Erbe eines Hauses in der Kastanienallee und aufgrund eines Sauerstoffmangels bei seiner Geburt – diese fand in der luxuriösen Privatklinik Leopoldshof statt – geistig auf dem Stand eines Kindes geblieben. Auch mit Mitte fünfzig interessiert er sich ausschließlich für seine Modelleisenbahn und Autorennbahn.
Krani und die Schattenseiten des TC Leopoldshof
Zum Rechtsbeistand und Vermögensverwalter Rudis wurde Günther Krawanek, genannt Krani, berufen – Rechtsanwalt und zugleich Kassierer des TC Leopoldshof. Durch übermäßigen Alkoholkonsum hat er seine Kanzlei heruntergewirtschaftet und ist nach der Scheidung auch privat bankrott. Sein Freund Hans Freyenberg, ebenfalls Vorstandsmitglied des TC Leopoldshof und Lebemann, steckt in ähnlichen finanziellen Schwierigkeiten. Er lebt auf Kosten seiner Ehefrau Julie, Alleinerbin einer Marmeladenfabrik, und ist gemeinsam mit Krani in kriminelle Machenschaften verwickelt.
Hartls eigennützige Fürsorge
Trafikant Hartl versucht zu retten, was zu retten ist, und kümmert sich um den geistig zurückgebliebenen Rudi – allerdings in erster Linie zu seinem eigenen Vorteil. Nach und nach schafft er wertvolle Gegenstände aus Rudis Wohnung, was den Nachbarn, die zwar nichts Genaues wissen, dennoch nicht verborgen bleibt. Schließlich verschafft er sich Zugang zu Rudis Sparbüchern und entdeckt, dass Krani gesetzeswidrig hohe Geldsummen vom treuhändischen Konto abzweigt. Der Gedanke, selbst ein Stück vom Kuchen abzubekommen, ist nicht fern. Als Hartl Krani mit seiner Entdeckung konfrontiert, sind sich dieser und Hans einig: Sie haben Hartl gewaltig unterschätzt.
Figurenvielfalt mit Tiefgang
Louise K. stellt in ihrem Roman Kastanienallee* zunächst alle Protagonisten der Reihe nach vor. Dabei greift sie auf ausschweifende, jedoch höchst unterhaltsame Weise weit in deren Vergangenheit zurück. Manchem Leser mag ob der Vielzahl an Figuren schwindelig werden, doch gewinnt man zusehends einen Überblick über die Bewohner der Kastanienallee, ihre Beweggründe und Machenschaften – denn alle sind auf irgendeine Weise miteinander verwoben.
Weitere Bewohner und ihre Geschichten
Da gibt es den Psychiater Alexander Simonius, der von einer seiner minderjährigen Geliebten hintergangen wurde und nun auf der Suche nach einer neuen Bleibe bei Rudi unterkommt. Wie Dolli beobachtet auch er Hartl genau. Herbert Matzka, Antiquitätenhändler und Proust-Liebhaber, was ihn den Eheleuten Furtner sympathisch macht, wäre gerne Patient von Simonius geworden. Ebenfalls in der Kastanienallee wohnt das Ehepaar Gero und Sylvia Weiss, das neidisch auf die Furtners blickt, da es selbst das „hässlichste Haus weit und breit“ bewohnt und die Familien Welten trennen. Schließlich ist da noch die arbeitslose, promovierte Historikerin Elinor Pächter, Kundin von Hartls Trafik, die über diesen Kontakt Zugang zum TC Leopoldshof erhält, um ein Buch über dessen Geschichte zu schreiben.
Gesellschaftskritik mit feiner Feder
In gehobener Ausdrucksweise zeigt die Autorin die dunklen Abgründe von Menschen auf, die „gierig und bestechlich, kleinlich und neidisch“ sind. Jeder verstellt sich vor seinem Gegenüber, um in gutem Licht dazustehen. Und wie heißt es so schön? Man kann Menschen immer nur vor den Kopf schauen. Wer sich selbst für schlau hält, übersieht nicht selten, dass ein anderer noch schlauer ist. Dies wird auch Hermann Hartl zum Verhängnis, als seine Ehefrau Heidi sich sagt: Eine Frau muss tun, was getan werden muss!
Ein Roman voller Sarkasmus und Spannung
Louise K. zeichnet sich durch eine feine Beobachtungsgabe aus. Sie kehrt das Innenleben ihrer Protagonisten nach außen und gewährt Einblicke in deren dunkle Abgründe, die hinter einer sauberen Fassade verborgen liegen. Die genussvollen Pointen stecken im Detail, und mit trockenem Humor, voller Sarkasmus und Amüsement unterhält sie ihre Leser aufs Beste mit ihrem Roman Kastanienallee*, dessen Fortsetzung sie bereits ankündigt. Ob der im Plot thematisierte Château La Fleur-Pétrus 2020 darin erneut eine tragende Rolle spielen wird? Man darf gespannt sein!
Kastanienallee von Louise K.
Verlag Kremayr & Scheriau 2025
Hardcover
264 Seiten
ISBN 978-3-218-01481-6