Rezension: Ich spüre dich leben von Ulla Mothes

Zwischen Betrug, Verlust und Neuanfang – ein vielschichtiger Roman über Schuld, Identität und innere Kraft

Bild zu dem Roman Ich spüre dich leben

Ein Leben zerbricht: Ein Abschiedsbrief mit fataler Wucht

Die Goldschmiedin Stella Schönfeld lebt mit ihrem Ehemann Falk, einem Investmentbanker, im wohlhabenden Frankfurt-Westend. Unerwartet hinterlässt Falk einen Abschiedsbrief, in dem er seinen Suizid ankündigt. Als Stella – hochschwanger und verstört – auf das Klingeln nicht reagiert, verschafft sich die Polizei mit einem Durchsuchungsbeschluss gewaltsam Zutritt zur Wohnung. Der Schock führt zu einem Blasensprung, woraufhin Stella kurz darauf ihren Sohn Linus zur Welt bringt.

Fragwürdiges Erbe: Was Falk hinterlässt

Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus entdeckt Stella bei einem Blick in die Kreditunterlagen, dass alle Tilgungen für die Eigentumswohnung bereits abgeschlossen sind – ein Hinweis, dass Falk sein „Verschwinden“ seit mindestens drei Monaten geplant haben muss. Kommissarin Anja Brenner offenbart ihr, dass gegen Falk Ermittlungen wegen ungedeckter Leerverkäufe, Insiderhandels und weiterer Finanzvergehen laufen.

Auch Daniel Berg, ein Studienfreund von Falk, und dessen Patenonkel Harald Grothe, Bankvorstand, geraten ins Visier. Die Erkenntnis, dass Falk ihr einst ihre eigene Goldschmiede abgekauft hat, um Stella und das ungeborene Kind abzusichern, weckt Zweifel: Ist Falk tatsächlich tot? Ein Karneol-Armband, das sie mit ihm verbindet, verstärkt ihr Gefühl – auch, weil es keine Leiche gibt.

Sansibar statt Skyline: Ein neues Leben unter falschem Namen

Während Stella in Frankfurt mit den Konsequenzen kämpft, lebt Falk unter dem Namen Fred Körner auf Sansibar, wo seine Großmutter ein Grundstück hinterlassen hat. In der neuen Umgebung freundet er sich mit dem alten Dorfbewohner Mzee Salehe an, lässt sich lokale Baukunst wie das Makutidach zeigen und plant ein nachhaltiges Gästehaus. Der Wunsch nach einem echten Neuanfang steht im Raum – doch die Erinnerungen an Stella, Linus und seine eigene Schuld lassen ihn nicht los.

Rückkehr der Hoffnung: Stella auf dem Weg nach Afrika

Nach dem Tod von Falks Großmutter erfährt Stella bei der Beerdigung, dass Linus ein Grundstück auf Sansibar geerbt hat – mitsamt Ruine. Ihre ehemalige Chefin Gunda ermutigt sie, selbst hinzufliegen und sich das Anwesen anzusehen. Und so beschließt Stella mit Baby Linus: „Wieso eigentlich nicht?“ – und bucht einen Flug auf die afrikanische Insel.

Zwei Stimmen, zwei Blickwinkel: Erzählweise & Reflexion

Ulla Mothes lässt Stella und Falk abwechselnd in der Ich-Form erzählen. Beide Protagonisten blicken zurück: Stella besucht ihre Eltern, denkt an ihren ersten Kuss mit Falk und die gemeinsame Jugend. Falk erinnert sich ebenfalls an diesen Moment – und an seine Freunde Daniel und Grothe, an Gespräche mit seinem Vater und den immer tiefer werdenden Abgrund seines Doppellebens.

Zwischen Wirtschaftskrimi und Spirituellem: Themenvielfalt mit Tiefgang

Der Roman beleuchtet nicht nur illegale Bankgeschäfte, sondern auch die moralischen Abgründe der Finanzwelt. Mothes verweist dabei auf reale Vorbilder wie Alfred Herrhausen, der sich in den 1980er Jahren für einen Schuldenerlass für Entwicklungsländer einsetzte.

Zudem fließen spirituelle Elemente wie die Tambiko-Zeremonie und die Kraft von Edelsteinen in die Handlung ein. Besonders die Verbindung von Frankfurter Rationalität und afrikanischer Spiritualität verleiht dem Roman eine besondere Tiefe.

Cover des Romans Ich spüre dich leben
Ulla Mothes
Ich spüre dich leben
PalmArtPress 2025
Hardcover
420 Seiten
ISBN 978-3-96258-203-6
Bildquelle: Thalia


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