Ach, mein Kosovo! von Mechthild Henneke

Ach, mein Kosovo!Um der jugoslawischen Volksarmee zu entkommen, floh Taras Galani mit zwanzig Jahren nach Deutschland. Er nahm ein Medizinstudium auf und arbeitete bereits sechs Jahre in der Notaufnahme eines Krankenhauses in Bad Neuenahr. Die Eltern seiner Lebensgefährtin Karla haben ihn mittlerweile voll akzeptiert und dem jungen Paar eine Wohnung eingerichtet. Doch als der Krieg im Kosovo unter Führung des serbischen Diktators Slobodan Milošević eskaliert und einer seiner Helden samt der Familie von Serben in den Tod getrieben wurde, schließt sich Taras, kurz vor seiner medizinischen Zwischenprüfung im Jahr 1998 mit seinem Freund Top der Befreiungsarmee UÇK an, um für das Vaterland zu kämpfen.

Während der Fahrt in das Kriegsgebiet lernen die Freunde Edi und Afrim kennen, die wie sie vor Milošević geflohen sind. Sie erhalten veraltete Kalaschnikows und begeben sich mit zum Kampf bereiten, teils Minderjährigen, zu Fuß auf den Weg in den Kosovo. Bei einer Passüberquerung werden sie bereits von Serben angegriffen, was viele Verletzte und auch den ersten Toten zur Folge hat. Taras versorgt die Verwundeten so gut er kann, stellt jedoch fest, dass die medizinische Versorgung nur unzulänglich ist. Der Kampf gegen den mit Panzern ausgestatteten Feind scheint aussichtslos. Als Taras in sein Heimatdorf kommandiert wird, kommt er mit gemischten Gefühlen an, da er nicht weiß, ob seine Familie noch lebt.

Mechthild Henneke, die sieben Jahre in der Mission der Vereinten Nationen in Kosovo verbracht hat und so eigene Erfahrungen über die politische Lage sammeln konnte, hat für ihren Roman „Ach, mein Kosovo!“ zudem auf die Erlebnisse von Naim Bardiqi zurückgegriffen, der heute Staatssekretär im Gesundheitsministerium von Kosovo ist, jedoch wie der Protagonist sich selbst freiwillig mit siebenundzwanzig Jahren der UÇK anschloss und ebenfalls „als ausgebildeter Krankenpfleger in der Notaufnahme sowie als Medizinstudent“ im Kosovokrieg geholfen hat. In einem Vorwort zum Roman gesteht er: „Was ich im Krieg erlebt habe, war brutaler und erbarmungsloser als die Erlebnisse von Taras Galani.“

Allein diese Aussage ist schwer vorstellbar, denn die Autorin hat durchaus menschenunwürdige Szenen beschrieben, und Taras standen für seine rettenden Eingriffe keine Betäubungsmittel zur Verfügung, so dass ein Verletzter von zwei Personen auf dem Operationstisch, der natürlich weder dem medizinischen Standard noch den an einen Operationsraum gestellten hygienischen Anforderungen entsprach, fixiert werden musste, während Taras ins menschliche Gewebe eingedrungene Kugeln entfernt hat oder selbst Amputationen bei vollem Bewusstsein des Opfers durchführte. Reichten seine Möglichkeiten aufgrund fehlender medizinischer Instrumente nicht aus und er musste zusehen, wie sein Patient einen qualvollen Tod erlitt, überkamen ihn trotz allem Zweifel und er suchte nach Fehlern, die er hätte vermeiden können.

Die Geschichte von Taras Galani fesselt den Leser in dem spannenden Roman „Ach, mein Kosovo!“ von Anfang an. Mal keimt bei den Handlungspersonen Hoffnung auf, wenn ihnen das Glück hold ist und sie an einer geglückten Befreiung beteiligt sind. Dann wieder werden sie eingekesselt, geraten in eine Straßensperre oder müssen vor heranrückenden Panzern fliehen. Mechthild Henneke vermittelt in dem Plot eine Vorstellung von dem seit Jahrhunderten schwelenden Konflikt zwischen Albanern und Serben und macht deutlich, dass immer wieder ganze Dörfer dem Erdboden gleichgemacht wurden, nachdem die Frauen geschändet und auf bestialische Weise ermordet wurden, während die Männer nach Folter in Massengräbern verschwanden. Empfindlich darf der Leser bei dieser Lektüre nicht sein, doch nimmt ein Krieg darauf auch keine Rücksicht. Der Roman, der ein wichtiges Stück Zeitgeschichte dokumentiert, endet mit dem Bombardement der NATO und lässt offen, für welches Leben der Protagonist sich entscheidet.

Ach, mein Kosovo! von Mechthild Henneke

Ach, mein Kosovo!
PalmArtPress 2021
Hardcover
380 Seiten
ISBN 978-3-96258-096-4

Bildquelle: Amazon
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