Zwischen Liebe, Verrat und verlorenen Hoffnungen – Yvonne Zitzmanns Roman „Die geteilte Schuld“

Buchcover des Romans Die geteilte Schuld

Martina und Mischa: Ein Leben zwischen Kranarbeit und Regimezwang

Yvonne Zitzmann zeichnet in ihrem Roman Die geteilte Schuld* das Leben von zwei Frauen nach. Martina Seiffert ist 1977 Kranführerin in einem Betonwerk der DDR. Noch wohnt sie bei ihrer Mutter, träumt jedoch von einer eigenen Wohnung. Mit dem neuen Schweißer Mischa freundet sie sich an, bevor er für fünf Monate in die bitterkalte Sowjetunion zur Verlegung der Druschba-Pipeline aufbricht.

Im Dezember 1978 heiraten beide, doch schon im Januar fährt Mischa erneut fort. Das Paar bezieht eine Wohnung, und nach der Geburt eines Kindes will der Vater zur Freude von Tina bei seiner neuen Familie bleiben.

1985 gesteht Mischa seiner Ehefrau, dass ihn das Regime seit einem tödlichen Unfall eines Kollegen in der Hand habe. Zwar träfe ihn keine direkte Schuld, doch unter Druck habe er sich als Spitzel betätigt. Als Bandmitglied freut er sich über die Zulassung als Berufsmusiker und über Auftritte im Westen, während Tina sich fragt, wie sie ihre geliebte Arbeit auf dem Kran mit Kind, aber ohne Mann, fortführen soll.

1986 kehrt Mischa aus dem Westen nicht zurück. Tina stellt drei Ausreiseanträge, die jedoch nur positiv beantwortet würden, wenn sie ihr Kind zur Adoption freigäbe. Erst am 9. November 1989 öffnen sich die Grenzen – und Tina will „nur mal kurz rüber“ in den Westen.

Katja und Markus: Verbotene Liebe im 21. Jahrhundert

Die Schriftstellerin Katja Eisenberg kann 2022 mit der Veröffentlichung von Romanen gerade so ihr Leben bestreiten. Sie bewirbt sich als freie Mitarbeiterin bei Markus Wind, dem verheirateten Chefredakteur einer Zeitung. Die Kollegen ahnen zwar, dass sie sich regelmäßig mit Markus trifft, wissen jedoch nicht, dass beide danach stets ein Hotelzimmer aufsuchen.

Katja wünscht sich ein Kind und hofft auf eine harmonische Familiengründung. Markus stellt ihr in einem Brief Aussicht auf ein gemeinsames Leben Ende des Jahres. Doch als er seiner Frau reinen Wein einschenken will, muss er mit ihr und den Kindern in den Urlaub fahren – fünfzehn Ehejahre lassen sich nicht einfach löschen. Er vertröstet Katja auf das nächste Jahr und erfährt am Neujahrstag 2024 von ihrer Schwangerschaft. Für Katjas Kollegen ist sie ein Flittchen, das sich in eine Ehe eingemischt hat.

Nach der Geburt verschlechtert sich Katjas finanzielle Lage. Markus zahlt zwar Unterhalt, bleibt aber bei seiner Familie. Da ihr das Geld für eine Tagesmutter fehlt und weitere Aufträge ausbleiben, sieht Katja keinen anderen Ausweg, als ihr Kind auszusetzen.

Briefe voller Sehnsucht und Enttäuschung

Zitzmann beginnt ihren Roman mit einer Szene, in der eine junge Mutter Anfang Dezember ihr sattes Baby in einem Hausflur mit dem Kärtchen „Pass gut auf ihn auf“ ablegt. Erst am Ende des Buches erfährt der Leser, wer in diesem Haus wohnt.

In Briefwechseln zwischen Mischa und Tina wird deutlich: Sie ist vom Sozialismus überzeugt, während er die jubelnden Massen im Westen genießt. Enttäuscht entgegnet sie, dass es ihr nichts nütze, wenn er ein Lied für sie schreibt, während zum zweiten Geburtstag der Tochter niemand jubelt.

Auch Katja und Markus führen einen intensiven Schriftwechsel. Katja offenbart, dass sie als Kind von ihrer Mutter verlassen wurde, in einem Heim lebte und später von einer Pflegemutter betreut wurde. Ihren Vater traf sie einmal in einem Spielcasino – er wollte jedoch nicht mehr ihr Vater sein. Als Markus sich von ihr abwendet, erlebt sie eine Gefühlsachterbahn: mal liebkost sie ihr Kind, mal sieht sie in ihm eine Nervensäge, die besser verschwinden sollte.

Sprachbilder voller Rätsel und Dramatik

Yvonne Zitzmann schreibt in einer gewöhnungsbedürftigen, fast rätselhaften Sprache. Volle Lippen bellen im Flackerlicht, Kälte wird auf den Leib tätowiert, Stille tropft aus Betonwänden, und die Tage vergehen wie müde Wanderer. Mit diesen Bildern zwingt sie ihre Leser zum Nachdenken und verstärkt die Dramatik der Ereignisse.

Wenn ihre Protagonistin auf einen Fluss wartet, der einen Berg hinauffließt, wird klar: Ihre Hoffnungen sind zum Scheitern verurteilt.

Die geteilte Schuld von Yvonne Zitzmann

Buchcover des Romans Die geteilte Schuld
btb Verlag 2025
Hardcover mit Schutzumschlag
304 Seiten
ISBN 978-3-442-76306-1

Bildquelle: btb Verlag


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