Nichts als Papier von Daniel Zipfel

Nichts als PapierWelche Bedeutung hat ein Vertrag, der von einer Partei vorsätzlich in kriegerischer Absicht gebrochen wird? Er ist nichts weiter wert als das Papier, auf dem er niedergeschrieben wurde! Diese leidvolle Erfahrung macht auch der Protagonist des Romans „Nichts als Papier“ von Daniel Zipfel: Im Jahr 1683 erfährt der in Stockholm verheiratete Rechtsgelehrte Doktor Samuel von Pufendorf von einem Wiener Hofbibliothekar, dass es an der Grenze zu Ungarn ein Volk geben soll, das in „paradiesischer Armut“ lebt. Pufendorf, der vom Gerechtigkeitsempfinden des Menschen überzeugt ist und an der Lehre über die Güte der menschlichen Natur forscht, bricht deshalb zum Studium auf. In Wien legt er eine Rast ein und kommt beim Wirt Georg Franz Kolschitzky unter, der sich allerdings des nachts, wenn er auf dem Dudelsack spielt, Gustl nennt. Enttäuscht nimmt Pufendorf zur Kenntnis, dass sein Bruder Esaias, den er in Wien anzutreffen gedachte, verschwunden ist.

Unterdessen treffen in Wien immer mehr Flüchtlinge ein, die von Gräueltaten berichten, doch wird dem kein Glauben geschenkt. Kaiser Leopold I ist mit seiner Ehefrau längst geflüchtet, da ihm ein Heer von tatarischen Reitern gemeldet wurde. Doch der Wirt zieht es vor zu feiern, bis ihn vermutlich der Tod ereilt, während Plünderungen und Morde nicht in das Weltbild von Pufendorf passen. Schließlich wollen die Soldaten der Stadtguardia Kolschitzky hängen, weil er nicht der Pflicht nachkam, in der Kirche Schutz zu suchen. Mit Pufendorfs Hilfe kommt Kolschitzky frei und gibt auf Nachfrage zu, bereits als Dolmetscher für dessen Bruder Esaias tätig gewesen zu sein. Auf ihrem weiteren, von gefahrvollen Hindernissen gepflasterten Weg, werden die beiden von einem Mönch in eine Falle gelockt und fallen schließlich beide in die Hände der Stadtgardisten.

Da die Handlung des Romans im Mittelalter angesiedelt ist, könnte angenommen werden, dass es sich um einen simplen historischen Roman handelt, zumal der Autor auch entsprechende Begriffe dieser Zeit und die Anrede in der Dritten Person verwendet hat. Doch geht es in diesem Werk nicht, wie sonst üblich, um die Liebe einer jungen Frau, die nur über Umwege zu ihrem Liebsten findet. Vielmehr handelt es sich bei dem Plot vor dem realen Geschehen, das als die Zweite Wiener Türken- oder Osmanenbelagerung in die Geschichtsbücher Einlass gefunden hat, um ein anspruchsvolles literarisches Werk mit einem sparsamen Gebrauch der wörtlichen Rede. Und doch ist „Nichts als Papier“ nur ein Roman mit der fiktiven Person des Rechtsgelehrten aus Stockholm, andere erwähnte Persönlichkeiten jedoch, wie etwa der später als Held gefeierte Orientwarenhändler Georg Franz Kolschitzky sind real.

Daniel Zipfel schreibt sowohl von den damals noch beschwerlichen Kutschfahrten, den Ängsten vor der Ruhr und dem Aberglauben vor dem Nöck, der in Gewässern gelebt und die Menschen zu sich geholt haben soll, als auch in schonungsloser Offenheit und ohne zimperliche Zurückhaltung von den brutalen und alles niedermetzelnden Tataren. Sie hinterließen „verbrannte Erde“, kannten keine Gnade und spießten Köpfe als Trophäe auf Pfähle. Zudem bemächtigt sich der Autor einer bildhaften Umschreibung, wenn von einem roten Männlein mit Hahnenfeder die Rede ist, womit nichts anderes als der Teufel gemeint ist. Sein Protagonist ist als ein an der königlichen Universität Lehrender ein gebildeter Mann, auf der anderen Seite jedoch uneinsichtig und unbelehrbar. Schon sein Vater, der von mordgierigen Türken und Tataren zu berichten wusste, hat sich nicht auf das „Geschreibsel“ verlassen. Selbst erinnert er sich, wie ihm während einer Dozentenvorlesung ein junger Diplomat verächtlich entgegnete, dass sein Recht „Nichts als Papier“ sei und erst viel später schleudert ihm ein Khan genau das geradewegs ins Gesicht. Ein spannender Roman mit einer wahren Botschaft!

Nichts als Papier von Daniel Zipfel

Nichts als Papier
Leykam Verlag 2023
Hardcover mit Schutzumschlag
256 Seiten
ISBN 978-3-7011-8259-6

Bildquelle: Leykam Verlag


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