Sturmmädchen von Lilly Bernstein

Freundinnen in dunkler Zeit!

SturmmädchenNachdem ihr Vater im 1. Weltkrieg gefallen ist, wohnt Elli in ärmlichen Verhältnissen mit ihrer Mutter Alma in der Eifel. Von den Dorfbewohnern wird sie wegen ihrem zu kurzen Bein und zu kleinen Fuß nur das „Hinkemädchen“ genannt. Eines Nachts, als die Hebamme Alma zu einer Geburt unterwegs ist, klopft Schwester Gertrud an und überreicht Elli ein Päckchen für ihre Mutter, über das sie Stillschweigen bewahren und das sie gut verstecken soll. In derselben Nacht kommt auch Hans Janssen, ihr Nachbar und Freund aus Kindertagen, nach drei Jahren zurück auf den elterlichen Hof.

Nur noch in der Erinnerung existieren im Jahr 1938 die unbekümmerten Tage der einstigen Freundinnen, die sich vor fünf Jahren regelmäßig zum Baden im Perlenbachtal trafen. Die aus vornehmem Hause stammende Margot Schiffmann kam jedes Wochenende und zu den Ferien mit ihren Eltern in ihr Ferienhaus in die Eifel, und zusammen mit Käthe schworen sich die drei Mädchen „eine für alle und alle für eine“. Doch inzwischen, so stellt Elli bekümmert fest, sind Käthes Vater und ihre Brüder stramme Nationalsozialisten und Käthe selbst von den Versprechungen auf eine bessere Zukunft überzeugt.

Als Margots Verehrer Rudolph um deren Hand anhält, wird die Hochzeit im Ferienhaus in der Eifel gefeiert. Margot, die als Jüdin die Gesinnung ihrer einstigen Freundin Käthe nicht gutheißt, lädt nur Elli ein. Doch die Feier wird überschattet von den Westwallarbeitern, die direkt neben dem Ferienhaus in einer Baracke wohnen und die Familie Schiffmann als „Saujud“ beschimpfen. Zurück in Aachen, so schreibt Margot an Elli, sind ihre jüdischen Nachbarn bereits verhaftet worden. Doch ihr Vater mache sich um seine Familie keine Sorgen, da er als Offizier gedient hat und deshalb sicherlich verschont wird.

Elli, die sich wegen ihres Beines und Fußes stets zu nichts nutze und minderwertig fühlte, geht einer Gemeindeschwester in Monschau zur Hand und erkennt erst spät, dass dort schwachsinnige Menschen für die Sterilisation bestimmt werden. Der jungen Frau wird klar, dass dieselbe Schwester auch für den Abtransport ihrer Nachbarin Therese verantwortlich ist. Währenddessen hat sich die politische Lage weiter verschärft: Überall brennen die Synagogen, die jüdischen Geschäfte werden geplündert, und Margot hat man mit ihrer Familie in ein Judenhaus gezwungen. Als Elli sie dort besuchen will, werden ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen und von Misshandlungen gezeichnet, kehrt sie verzweifelt zu ihrer Mutter zurück. Kann sie noch mehr riskieren, ohne ihr eigenes Leben aufs Spiel zu setzen?

Lilly Bernstein hat für ihren Roman „Sturmmädchen“ Bücher von Zeitzeugen gelesen, sich im Stadtarchiv Monschau informiert sowie im Freilichtmuseum Kommern umgeschaut. So hat sie in ihren Plot Information darüber einfließen lassen, dass Monschau im deutsch/belgischen Grenzgebiet wegen der an der Rur tätigen Tuchmacher einst eine reiche Stadt war. Wesentlich bedeutender sind ihre Ausführungen zum wenig bekannten Ausdruck des „Hitlerschnitts“, der auf das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 zurückgeht und 1939 größtenteils wieder eingestellt wurde. Auch dass die Königskerze ein Haus vor Blitzeinschlägen bewahren sollte oder es üblich war, „Kindern mit Branntwein und Zucker getränkte Stofffetzen in die kleinen Münder zu stopfen, wenn die Eltern …sich nicht kümmern konnten“, dürfte weitgehend unbekannt sein. Weiter erinnert sie an die Errichtung des Westwalls und die überlieferte Heilkunst, einen Brand zu segnen. Auch heute noch verbeten alte Heiler in der Eifel durch Aktivierung der Selbstheilungskräfte eine Krankheit.

Die Autorin bedient sich in ihrem Roman mundartlicher Begriffe der Eifelregion. So steht das Backes, in dem Elli mit ihrer Mutter wohnt, für ein Backhaus und die Klöntür, die ins Backes führt, ist nichts anderes als eine Tür, bei der bei Bedarf nur die obere Hälfte geöffnet werden kann. Was es mit dem anfangs an Elli überreichten Päckchen auf sich hat, verrät Lilly Bernstein in ihrem aufrüttelnden und gefühlvollen Roman „Sturmmädchen“, der vordergründig das Leben von Elli thematisiert, erst sehr viel später. Realistisch schreibt sie, wie die Hetzjagd auf Juden das Leben dreier Freundinnen in kurzer Zeit verändern und wie Unvorstellbares plötzlich Realität werden konnte. Der Leser fühlt mit Elli, die für ihren Nachbarn Hans mehr empfindet als ihr lieb ist und die für ihre Freundin Margot alles aufs Spiel setzt.

Sturmmädchen von Lilly Bernstein

Sturmmädchen
Ullstein Verlag 2024
Klappenbroschur
416 Seiten
ISBN 978-3-86493-232-8

Bildquelle: Ullstein Verlag

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