Schneefieber von Giles Kristian

SchneefieberErik und Elise Amdahl aus Tromsø haben den Tod ihrer Tochter Emilie, die bei einem Sturz in einem Kletterzentrum ums Leben kam, noch nicht verschmerzt. Um die Familie zusammenzuhalten, wollen sie mit ihrer Tochter Sofia in die Lyngenalpen zum Ausspannen. Anders als Erik, der sich über gemeinsame Stunden mit der Familie freut, steckt Elise viel Herzblut in ihre Arbeit und trifft sich mit ihrer Kollegin, der Klimaaktivistin Karine Helgeland. Auf deren Einladung verbringen die drei Amdahls einen Abend bei Karine und ihrem Ehemann Lars. Aus Anlass des dreizehnten Geburtstags von Sofia schenkt ihr Lars ein Stuorraniibi, ein mit einer langen Klinge versehenes Finnenmesser, mit dem sogar Rentierknochen gespaltet werden können.

Von ihren Eltern bekommt Sofia einen Trecking-Rucksack, doch ihre Freude darüber ist verhalten und sie zieht sich zurück. Erik weiß um die Enttäuschung seiner Tochter, denn zu ihrem dreizehnten Geburtstag hat er ihr einen mehrtägigen Skitour versprochen. Obwohl die Tage im Februar noch zu kurz sind und es viel zu kalt ist, entschließt er sich schweren Herzens, ihr den Wunsch zu erfüllen. Bei minus zehn Grad machen sich beide auf den Weg. Nach dem Aufbau eines Zeltes für die erste Nacht spaltet Sofia mit dem geschenkten Finnenmesser Holz für ein Lagerfeuer, das sie vor der Kälte schützen soll, wobei sie sich eine stark blutende Verletzung an der Hand zuzieht. Da sie ihren Skistock nicht mehr greifen kann, setzt Erik seine Tochter in den mitgeführten Schlitten und zieht sie, das Zelt zurücklassend, im Schneesturm bis zur Hütte der Helgelands. Nach Versorgung der Wunde ist geplant, dass Lars die beiden am nächsten Tag mit seinem Schneemobil zum Zelt zurückbringt.

Doch plötzlich tauchen in der Nacht vier russische Männer mit Motorschlitten auf. Sie bieten Karine Schweigegeld, wenn sie ihren Protest gegen die Wiederaufnahme des Betriebs einer alten Kupfermine aufgibt. Doch sie weiß, was das für die Hirten bedeuten würde, die dann keinen Platz mehr für ihre Rentiere hätten, da ihr Bruder Hánas selbst eine Rentierherde hat. Erik und Sofia hören von den Forderungen und realisieren mit Entsetzen, wie Lars und Karine von den Russen ermordet werden. Durch ein Fenster im ersten Stock ergreifen sie überstürzt die Flucht. Doch ihre Absicht bleibt nicht unentdeckt und sie werden mit Schneemobilen verfolgt. Nur, wo können sie Zuflucht finden? Sie können weder zu Elise zurück noch zu einer anderen abgelegenen Hütte, denn bis telefonisch herbeigerufene Hilfe einträfe, würden sie alle tot sein. Es bleibt ihnen nur der erbarmungslose Weg über den Gletscher, wo der Schneesturm ihre Spuren verwischt und die Verfolger vielleicht aufgeben.

Giles Kristian schreibt in seinem Thriller „Schneefieber“ in der Übersetzung von Ulrike Clewing aus dem Englischen von den Samen, einem fast ausgerotteten, unterdrückten indigenem Volk in Nordnorwegen. Erik zieht einen Pulka, ein auch Nansischlitten genannter bootsähnlicher Schlitten der samenischen Ureinwohner hinter sich. Tatsächlich fanden, wie er ausführt, Paläontologen im August 2012 in Sibirien Überreste eines Wollhaarmammuts im Permafrost, und auch die weltweit agierende Gruppe „Friends oft the Earth“ existiert, für deren norwegische Sektion Elise in dem Roman arbeitet.

Dem Autor ist es gelungen, die Spannung der Skitour von Vater und Tochter von Beginn an auf hohem Niveau zu halten, wobei der Plot während der gesamten Flucht ohne einen perspektivischen Wechsel auskommt. Wie Giles Kristian in einer persönlichen Bemerkung ausführt, ist ihm die Idee zu der spannenden Geschichte während eines mehrtägigen Skiausflugs in Norwegen gekommen, seinem Heimatland mütterlicherseits. Eindringlich beschreibt er den Hunger, Schlafmangel und der vor Kälte gefühllos werdenden Körperteile seiner auf der Flucht befindlichen Protagonisten, die zumeist orientierungslos um ihr Leben kämpfen. Gefühlvoll und doch sehr eindringlich hat er die Odyssee von Vater und seiner Tochter, die dieser unter allen Umständen beschützen will, beschrieben. Immer wieder hoffen beide vergebens, ihre Verfolger abgeschüttelt zu haben und müssen einmal mehr feststellen, als sie sich endlich in Sicherheit wähnen, dass der Teufel ein Eichhörnchen ist.

Schneefieber von Giles Kristian

Schneefieber
Übersetzung von Ulrike Clewing
Penguin Verlag 2023
Taschenbuch
368 Seiten
ISBN 978-3-328-10985-3

Bildquelle: Penguin Verlag


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