Dr. phil. Christian Hardinghaus wurde am 23. April 1978 in Osnabrück geboren. Nach einem Studium in Geschichte, Medien und Literaturwissenschaft an der Universität seines Geburtsortes promovierte er im Jahr 2011 im Bereich Propaganda- und Antisemitismusforschung. 2016 hat er sich für den Deutsch- und Geschichtsunterricht der gymnasialen Oberstufe qualifiziert, arbeitet aber als Historiker, Autor und Fachjournalist und schreibt neben Sachbüchern auch historische Romane. Er lebt und arbeitet in Osnabrück.
Im Gegensatz dazu hat die am 16. November 1985 in Heilbronn geborene Annette Nenner seit 2019 keinen festen Wohnsitz. Seit ihrem Studium in Germanistik, Philosophie und Ethnologie mit dem Abschluss Magister arbeitet sie als freiberufliche Autorin und Lektorin unter anderem in Argentinien, Kolumbien, Spanien, Puerto Rico und Portugal, wobei ihr der Laptop als ständiger Begleiter dient. Die Weltenbummlerin kann man für ein Lektorat oder auch ein Korrektorat buchen.
Heute darf ich zwei Autoren begrüßen, die auf ein erstes gemeinsames Projekt blicken, und zwar auf das Sachbuch Verschollen in Panama. Da würde mich als erstes interessieren, wie es zustande kam. Wer von euch beiden hatte die zündende Idee und ist auf den anderen zugegangen?
Christian:
- Mir war der Fall im Gegensatz zu Annette bereits bekannt, und da ich merkte, dass da ziemlich viel nicht mit rechten Dingen zuging, wollte ich herausfinden, wie nah ich der Wahrheit kommen kann. Ich habe jedoch einen Partner gebraucht, der Spanisch spricht und vor Ort recherchieren konnte. Also habe ich Annette gefragt.
Annette:
- Christian und ich haben uns 2018 auf der Buchmesse kennengelernt, aber zwischenzeitlich aus den Augen verloren. Ich habe ihn wegen etwas anderem wieder kontaktiert, als ich gerade in Mexiko war. Als wir dann die Buchidee besprochen hatten, machte ich mich sofort auf den Weg nach Panama.
Allein das hört sich schon spannend an und setzt große Flexibilität voraus. Alle Achtung! War von Anfang an klar, dass nur Annette den Pianista Trail begeht? Warum alleine und ohne Christian, obwohl doch immerhin eine gewisse Gefahr damit verbunden war?
Annette:
- Ja, das war von Anfang an klar, weil Christian aus familiären Gründen nicht nach Panama reisen konnte. Ich bin sehr reiseerfahren und hatte darum keine Sorge, dass mir irgendwas passieren könnte. Allerdings muss ich zugeben, dass ich damals etwas blauäugig war. Mit unserem Wissen von heute würde ich den Trail nicht mehr alleine wandern.
Für mich ist es schon erstaunlich, dass du allein aufgrund deiner Reiseerfahrenheit dachtest, dass dir nichts passieren könnte. Denn immerhin sind bereits zwei Frauen dort verschwunden, was in mir kein gutes Gefühl hinterlassen hätte. Um bei diesem Thema zu bleiben: In deinem Logbuch hast du vermerkt, dass dich schon der Taxifahrer, der dich zum Eingang des Trails gebracht hat, vor einem Alleingang, ganz ohne Guide, gewarnt hat. Du schreibst weiter, dass du dir durchaus darüber im Klaren warst, leichtsinnig gehandelt zu haben. Gehört dieser… ich nenne es mal „Kick“, zu deiner Lebensphilosophie, frei nach dem Motto, no risk, no fun?
Annette:
- Als Lebensphilosophie würde ich es nicht bezeichnen, aber ich mag Situationen durchaus sehr gerne, in denen ich nicht weiß, was passiert. Das ist wohl einer der vielen Gründe, warum ich reise – unterwegs kann immer alles passieren. Reisen sind nicht vorhersehbar, das mag ich. Manchmal weiß ich morgens nicht, wo ich abends schlafe, und diese Ungewissheit macht das Leben sehr spannend.
Also bist du eine Abenteurerin durch und durch! Mit Martin, der dir von Anfang an suspekt vorkam, hast du – nach eigenen Worten – den unheimlichsten Abend deiner ganzen Zeit in Panama verbracht. Nachdem er dir seine Pistole präsentiert hat, fühltest du dich nicht mehr sicher und hast schnellstmöglich sein Haus verlassen. Wenn man so sagen darf, hast du mit dem Besuch quasi die Höhle des Löwen betreten. Wieso hast du dich nicht zumindest für den infrage kommenden Abend von einer Person deines Vertrauens begleiten lassen?
Annette:
- Erstens war genau das Alleinsein mein Vorteil. Martin hat mich vermutlich nicht besonders ernst genommen, da ich ihm „nur“ eine Reisebloggerin vorgespielt habe. Wenn ich jemanden mitgenommen hätte, hätte er vielleicht Verdacht geschöpft. Außerdem hat es schon für mich allein eine Zeit lang gedauert, bis er bereit war, mit mir zu sprechen. Zu zweit wäre seine Bereitschaft vielleicht nicht gegeben gewesen. Zweitens kannte ich auch gar niemanden, der mit mir zusammen hätte hingehen können. Ich habe undercover recherchiert und darum auch meinen Bekannten und Freunden dort nicht alles erzählt, weshalb ich sie nicht mitnehmen konnte.
Ja, ich verstehe. Das ist natürlich ein Argument.
Aus dargelegten und verständlichen Gründen wolltet ihr euch nicht mit dem Vorwurf konfrontiert sehen, im Auftrag von irgendjemand und der Aussicht auf Profit das Buch geschrieben zu haben. Deshalb habt ihr den Weg über einen Eigenverlag gewählt und das Buch über Books on Demand veröffentlicht, was eine Vermarktung zumindest schwieriger macht. Das impliziert aber auch, dass kein Geldgeber für die immensen Kosten wie Flug und den fünfmonatigen Aufenthalt aufkam. Ganz zu schweigen von der Arbeit an dem Projekt, die im Anschluss auf euch zu Hause wartete. Wie konntet ihr das finanzieren? Bei allem Respekt für das Bedürfnis, Gutes zu tun und eine mögliche Straftat aufzudecken, muss man ja auch leben können, was ohne Einkommen nicht funktionieren kann.
Christian:
- Ich habe bereits über 20 Bücher bei Verlagen veröffentlicht. Dies war mein erstes Selfpublishingprojekt. Und der Name ist Programm. Man hat zwar alle Freiheiten, muss sich aber um alles selbst kümmern. Ich schätze die Zusammenarbeit mit meinen Verlagen sehr und werde das auch „hauptamtlich“ weiter machen. Dennoch ist Selfpublishing interessant, auch aus finanzieller Sicht. Wenn ein Buch gut läuft, verdient man auch besser. Allerdings setzt das wahrscheinlich voraus, dass man schon einen Namen hat und erfolgreiche Bücher herausgebracht hat. Als Selfpublisher einsteigen, stelle ich mir sehr schwierig vor.
Das siehst du richtig und nur ganz wenige haben damit Erfolg.
Annette:
- Da ich keine eigene Wohnung habe, halten sich meine Fixkosten in Grenzen. Ich musste also neben meiner Unterkunft in Panama keine Wohnung in Deutschland, kein Auto usw. bezahlen. Ich habe für das Buch zwar einige Lektoratsaufträge beendet, aber doch ein paar behalten, wodurch etwas Geld reinkam. Ansonsten habe ich auf Ersparnisse zurückgegriffen.
Da dürftest du nicht viele Menschen finden, die das so sehen und einfach nur ganz selbstlos das Projekt, das ihnen wichtig erscheint, im Blick haben.
Für euer Buch musstet ihr tief in die Materie eintauchen, wenn es beispielsweise um die Analyse der Knochenfunde ging. Ihr musstet euch mit der Signalstärke von Kris‘ iPhone beschäftigen und euch mit einer Redditoren-Berechnung sowie mit der Einwahl eines Handys in ein Netzwerk auseinandersetzen, um nur einige Beispiele anzuführen. Für mich waren das alles böhmische Dörfer. Ich unterstelle mal, dass euch das ähnlich erging und stelle mir deshalb die Frage, wie ihr das angeht, wenn ihr Dinge analysieren und unter die Lupe nehmen sollt, die euch fremd sind und nichts sagen? Lasst ihr euch von Fachleuten beraten oder wälzt ihr Fachliteratur?
Christian:
- Journalisten gehen da ähnlich vor wie kriminalistische Ermittler. Man stößt immer wieder auf Fachbereiche, die man selbst nicht verstehen oder bewerten kann. Nachdem also unsere eigenen Recherchequellen erschöpft sind, beziehen wir Experten bestimmter Fachgebiete in unsere Arbeit mit ein und bitten sie um eine Bewertung der Sachlage. Zum Beispiel im Bereich Forensik, Telekommunikation oder Fotografie. In diesem besonderen Fall brauchten wir trotz Annettes ausgezeichneten Spanischkenntnissen auch immer wieder Hilfe von spanischen Muttersprachlern.
Leser sind sich im Allgemeinen kaum darüber im Klaren, wieviel Arbeit das mitunter für die Autoren bedeutet, denn die Experten müssen schließlich erst einmal gefunden werden und sich dann auch noch bereit erklären, unentgeltlich (vermute ich mal) einen Sachverhalt mit Worten zu erklären, der auch für Laien verständlich ist.
Noch eine letzte Frage zu dem gemeinsamen Buchprojekt: Ist es so, dass Christian den Text verfasst, während Annette im Anschluss das Lektorat und Korrektorat übernommen hat, was übrigens für ein im Eigenverlag erstelltes Buch im Gegensatz zu vielen, die schon durch meine Hände gingen, ganz hervorragend ist? Das darf mal unterstrichen werden, ist es doch eine rühmliche Ausnahme!
Annette:
- Danke für das schöne Lob. Nein, ganz so war es nicht. Ich habe die Logbücher und daneben das ein oder andere Kapitel verfasst, dazu hier und da im übrigen Text Ergänzungen eingefügt, wenn es um die Örtlichkeiten und die Menschen ging. Lektorat und Korrektorat haben wir beide dann für die Texte des jeweils anderen gemacht.
Christian:
- Ich habe neben dem Schreiben die Gesamtstruktur des Buches angelegt und sozusagen redigiert. Lektoriert und korrigiert haben Annette und ich uns gegenseitig.
Ja, eine gegenseitige Korrektur macht Sinn, denn selbst überliest man schnell die eigenen Fehler, so, wie man oft auch einen Wald vor lauter Bäumen nicht sieht.
Christian, du hättest auch die Möglichkeit, an einem Gymnasium zu unterrichten. Warum ziehst du das Schreiben dem Schuldienst vor? Deine Schwerpunkte liegen in dem Bereich auf der Aufarbeitung des 2. Weltkrieges. So hast du dich den Kriegskindern und -soldaten gewidmet, darüber Die verlorene Generation* und Die verratene Generation* geschrieben. Mit Ferdinand Sauerbruch und die Charité* steht die Berliner Universitätsklinik im Focus, und dein erst im März 2024 erschienenes Buch Tunnel der Mutigen* handelt von einer Flucht aus der DDR. Für diese Recherchen musstest du nie weit reisen. Kannst du dir vorstellen, noch einmal etwas Ähnliches wie Verschollen in Panama in Angriff zu nehmen und dafür wieder monate- oder zumindest wochenlang unterwegs zu sein?
Christian:
- Ich habe viele Interessen und wahrscheinlich auch daher vieles studiert und ausprobiert. Schreiben, Recherchieren und Darstellen, also auch anderen etwas beibringen und Wissen vermitteln, liegt mir und treibt mich an. Ich bin so auch in verschiedenen Bereichen tätig. Ein Vollzeitjob als Lehrer kam für mich bisher nicht infrage. Dafür bin ich zu viel beschäftigt. Für die Zukunft kann ich mir vieles vorstellen, aber Schreiben wird wohl immer im Mittelpunkt bleiben. Ich habe einige Spezialthemen als Historiker. Auch True Crime kann man historisch behandeln. Im August kommt mein Buch Die Sucht nach Verbrechen* raus. Da geht es um die Geschichte des Genres und die Psychologie hinter der Faszination für wahre Verbrechen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach wirst du dazu auch Täter selbst befragen, was sicher eine Herausforderung wird.
Gibt es vielleicht sogar schon Überlegungen für ein gemeinsames nächstes Buch?
Christian:
- Da haben wir schon ab und an drüber gesprochen. Da Annette weiter reisen wird und es genug ungelöste, „faszinierende“ Verbrechen in der Welt gibt, könnte da etwas entstehen. Ich werde jedenfalls weiterhin genau beobachten, wohin es Annette verschlägt.
Also quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, indem du nach Verbrechen an Annettes Aufenthalten suchst.
Annette, wenn du nicht deine Eltern oder Freunde besuchst, bist du oft in Lateinamerika unterwegs. Hast du dort über die Jahre Freunde gefunden? Kommst du bei ihnen unter, was natürlich Kosten spart, oder musst du dir ein Hotelzimmer mieten?
Annette:
- Ich habe an vielen verschiedenen Orten der Welt Freunde und bin Teil eines großen Netzwerks aus Reisenden, mit denen ich mich immer wieder irgendwo treffe. Anfang Juli habe ich zum Beispiel ein Event in Albanien besucht. Meistens suche ich mir eine eigene Unterkunft, da ich viel Zeit für mich allein brauche. Außerdem sind viele eben auch Reisende und haben somit ebenfalls keinen Wohnsitz. Vor einiger Zeit besuchte ich eine Freundin in Hawaii und wohnte einen Monat bei ihr, aber das ist die Ausnahme. Meistens miete ich mir für eine Woche ein Airbnb und gucke mich dann vor Ort nach einer längeren Bleibe um, wenn mir der Ort gefällt. Somit zahle ich dort Miete, ähnlich wie „normale“ Menschen in Deutschland auch.
An verschiedenen Orten auf der Welt Freunde zu haben, ist bestimmt etwas sehr Schönes und Bereicherndes. Aber wie kann ich mir das rein praktisch vorstellen? Wohin bekommst du deine Post? Bist du vielleicht mit einem ersten Wohnsitz noch bei deinen Eltern gemeldet?
Annette:
- Ich bin bei meiner Schwester gemeldet, aber ohne festen Wohnsitz. Sie öffnet meine Post und fotografiert mir alles Wichtige ab. Kompliziert ist diese Situation nur zum Beispiel in Bezug auf Arzttermine oder rund um Feiertage.
Da kannst du dich glücklich schätzen, eine Schwester zu haben, der du vertrauen kannst. Und ja, ein Arztbesuch lässt sich ja leider auch nicht immer vermeiden, selbst beim besten Immunsystem nicht. Da kann ich nur das Beste für dich hoffen!
Zu guter Letzt noch die Frage, wo du dich im Alter siehst. Wirst du aller Wahrscheinlichkeit nach später sesshaft werden, dir die Ruhe eines Heimathafens gönnen? Womit sich automatisch die Frage nach dem Ort auf der Welt anschließt, an dem du dich vielleicht häuslich einrichtest.
Annette:
- Ja, ich werde auf jeden Fall irgendwann sesshaft. Ich sehe mich mit einem Hof im Grünen mit vielen Tieren und ein paar Gleichgesinnten. Der Ort wird sich dann ergeben – je nachdem, wo ich Land und die Menschen finde, die das mit mir aufbauen wollen. Ich denke aber, dass es Deutschland sein wird, da ich mich hier wohlfühle und meine Familie hier lebt.
Ich danke euch beiden für das Interview und wünsche euch in jeder Hinsicht alles Gute! Y tú, querida Annette, sigues teniendo muchas experiencias interesantes en el mundo!
Verschollen in Panama von Christian Hardinghaus und Annette Nenner
Books on Demand 2024
Broschur
322 Seiten
ISBN 978-3-7583-2194-8