Christos Yiannopoulos, der 1957 in Griechenland geboren wurde, schreibt unter dem Pseudonym Thomas Christos. Im Jahr 1964 kam er als Sohn griechischer Gastarbeiter nach Deutschland, machte Abitur und studierte in Düsseldorf Germanistik und Pädagogik. Bereits als Kind dachte er sich spannende Geschichten für mögliche Filme aus und verfasste mit vierundzwanzig Jahren sein erstes Drehbuch „Italienische Karriere“. Sein TV-Thriller „Der Venusmörder“ erreichte im Jahr 1996 ein Millionenpublikum. Unzählige Drehbücher folgten, u. a. für den Tatort. Mit seinem Kollegen Thomas Niermann begann Christos Yiannopoulos eine schriftstellerische Karriere mit Kinderbüchern, wofür sie das gemeinsame Pseudonym Thomas Christos verwendeten. Seit 2011 nutzt er das allerdings nur für sich. Der freiberufliche Autor lebt in Düsseldorf.
Hallo Christos, es freut mich, dich für ein Interview gewonnen zu haben. Als erstes würde mich interessieren, warum du dein schriftstellerisches Genre gewechselt hast. Immerhin warst du mit den Kinderbüchern erfolgreich und Orbis Abenteuer* wurde sogar im Jahr 2012 mit dem Leipziger Lesekompass prämiert. Mit dem Kriminalroman 1965 hast du Neuland betreten. Da das der erste Fall deines Protagonisten Thomas Engel ist und eine Fortsetzung geplant ist, wirst du in dieser Richtung weitermachen. Was also hat dich zu diesem Wechsel bewegt?
- Zum einem suche ich stets neue Herausforderungen. Und jetzt waren einfach mal die bewegten sechziger Jahre dran, die ich mit einer Krimireihe begleiten und erzählen wollte.
Bleiben wir direkt bei deinem ersten Krimi, der für mich in vielerlei Hinsicht bewegend war, nicht zuletzt deshalb, weil ich ebenfalls Jahrgang 1957 bin und die Lektüre für mich an einigen Stellen wie eine Zeitreise war. Welche Parallelen gibt es eigentlich zwischen dir und deinem Protagonisten? Er ist zwar früher als du, nämlich schon 1944 geboren, teilt sich aber mit dir den Namen deines Pseudonyms Thomas. Das kann doch kein Zufall sein, oder?
- Doch. Mir ist die Parallele erst später aufgefallen, so doof es auch klingt. Aber natürlich fließt sehr viel vom Autor in seine Figuren, und wenn es auch unbewusst ist. Ich mag an Thomas, dass er stur ist und Birnen auf Apfelbäumen sucht. Wichtig ist, dass er dort welche findet.
Das ist schon erstaunlich, dass dir das erst später aufgefallen ist und du wohl unbewusst den Namen für deinen Kriminalroman gewählt hast, der nicht nur 1965 heißt, sondern seine Handlung ist auch in dieser Zeit angesiedelt. Du selbst bist im Jahr 1964 mit deinen Eltern nach Deutschland gekommen und genau in diese Zeit fällt das aktuelle Geschehen. Ist das ein weiterer Zufall?
- Absolut nicht. Ich habe in den sechziger Jahren die Welt entdeckt, auch wenn ich vieles nicht verstanden habe, ich war ja noch ein Kind. Aber ich kam aus dem konservativen Griechenland und sah Jungs mit längeren Haaren, ich hörte laute Musik, alles neu für mich.
Stimmt, von der Seite habe ich das noch gar nicht gesehen. Natürlich hattest du einen anderen Blick darauf, du bist ja förmlich ins kalte Wasser geworfen worden, während sich die Menschen hier langsam an die Veränderungen gewöhnen konnten.
Bei den Eltern deines Protagonisten Thomas Engel ist die Rollenverteilung klar definiert. Ich zitiere: „Wie meistens gab sie keine Widerworte. Im Haushalt der Engels waren die Rollen klar verteilt.“ Siehst du in diesen Worten auch deine Eltern? War auch dein Vater gewohnt, dass deine Mutter ihm nie widersprach?
- Das ist anders bei uns gewesen. Im Unterschied zu vielen griechischen Ehepaaren haben beide Eltern gearbeitet und Pläne geschmiedet und so weiter.
Die vermutlich auch zu der Auswanderung geführt haben.
Um noch mit einer weiteren Frage bei deiner Familie zu bleiben: Hat deine Mutter auch wie die Mutter von Thomas Engel Sauerbraten vom Pferd zubereitet?
- Ich kenne kein griechisches Gericht mit Pferdefleisch. Und die Geschmacksrichtung sauer ist auch selten.
Ich dachte dabei natürlich eher an die Zeit in Deutschland, wo der rheinische Sauerbraten eigentlich immer vom Pferd sein sollte.
Dein Roman 1965 hat die NS-Zeit kritisch aufgearbeitet und man kann gar nicht genug auf die schrecklichen Verbrechen hinweisen und Zusammenhänge wie Hintergründe erläutern. Ist es richtig, dass du dich sowohl ökologisch, wie auch politisch engagierst?
- Na ja, mein Engagement könnte größer sein, denke ich. Aber privat versuche ich eine günstige Ökobilanz hinzukriegen.
Die Musikgeschichte nimmt ebenfalls einen breiten Raum in deinem Roman ein. Mehrfach hast du die „Rolling Stones“, „Beatles“ und „The Who“ sowie Textausschnitte ihrer Musikstücke erwähnt. Da vermute ich mal, dass das kein Zufall ist und du dich selbst in dieser Musik wiederfindest, oder?
- Ich bin mit dieser Musik groß geworden. Sie hat nicht nur mich geprägt, sondern eine ganze Generation.
Das hat sie zweifelsfrei. Und trotzdem gibt und gab es ja verschiedene Musikrichtungen und nicht alle jungen Leute haben sich von diesem neuen Sound angesprochen gefühlt.
Dein Protagonist war dabei, als die Stones am 12. September 1965 in der Grugahalle in Essen auftraten. Ich zitiere noch einmal: „Thomas durchzuckte es, als ob er in eine Steckdose gegriffen hätte…Der Sound packte ihn überall, im Hirn, im Herz, im Bauch, und setzte ungeahnte Energien frei.“ Haben dich die Rhythmen dieser Gruppe in ähnlicher Form bewegt, auch wenn du aus Altersgründen nicht wie dein Protagonist an diesem ersten Auftritt der Stones in der Grugahalle dabei gewesen sein kannst?
- Da bin ich sicher. Ich habe viel über die Zeit recherchiert und bin auf viele Aussagen von jungen Konzertbesuchern gestoßen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Manche haben das mit einer Taufe verglichen.
Der Eintritt, so ist in deinem Roman zu lesen, soll seinerzeit zwölf Mark gekostet haben. War das tatsächlich so günstig? Ich hatte das Glück, die Stones Jahre später in Münster live zu erleben und obwohl ich mich an den Eintrittspreis nicht mehr erinnern kann, waren die Karten bestimmt erheblich teurer, ganz zu schweigen davon, wenn man sie heutzutage auf einer Bühne sehen will, sofern es sich nicht um einen Gratis-Gig wie auf Kuba im März 2016 handelt, den ich leider um einen Tag verpasst habe.
- Es hat tatsächlich 12 Mark gekostet. Das war damals für viele Jugendliche viel Geld, deswegen hatten viele von ihnen – wie im Roman beschrieben – versucht, gewaltsam die Halle zu stürmen.
Das kann ich verstehen, hätte ich vermutlich auch versucht. 🙂
Genug Musikgeschichte. Wenden wir uns einem anderen Thema zu. In dem Plot hast du an drei Stellen den Serienmörder Peter Kürten erwähnt, der als „Würger von Düsseldorf“ traurige Berühmtheit erlangt hat. Welchen Grund gibt es dafür?
- Stadthistorische. Die Geschichte spielt ja in Düsseldorf. Und der Hauptkommissar hatte mit Kürten zu tun.
Auf deiner Facebookseite ist auf einem Foto vom 4. Juli 2019 eine alte Typenhebelschreibmaschine abgebildet. Auf einem ähnlichen Modell – später wurden diese von den Kugelkopfmaschinen und in der Folge von elektrischen Schreibmaschinen weitgehend verdrängt – habe ich selbst noch gelernt. Schreibst du deine Geschichten noch auf so einer Schreibmaschine, bei der die Typen sich gerne mal ineinander verheddern, oder nutzt du heute die moderne Tastatur eines Computers?
- Ich benutze seit Jahrzehnten MS Word, habe unzählige Computer und Laptops verschlissen.
Irgendwo habe ich gelesen, dass du kein TV-Gerät besitzt. Wie passt das zusammen, da du Drehbücher für das Fernsehen schreibst?
- Meine Drehbucharbeit ist vorbei. Ich schreibe nur noch Print. Aber auch als Drehbuchschreiber habe ich wenig TV-Spiele gesehen, weil sie meist nach dem gleichen Schema aufgebaut und nicht sonderlich originell waren und sind. Ich mag nur Dokus, und die kann man sich mit meinem Tablet in der Mediathek aufrufen. Diese ganzen Serien bei Netflix und Amazon interessieren mich auch nicht, das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Nein, da schlage ich lieber ein Buch auf.
Das hast du schön gesagt, denn auch für meinen Mann und mich zählen Bücher mehr als das Fernsehen, das bei uns wenig eingeschaltet wird.
Es heißt, dass deine Arbeit gleichzeitig dein größtes Hobby ist? Dann kennst du keinen Stress im Beruf?
- Positiver Stress. Bin ich mit dem Plot zufrieden? Fehlt noch eine Wendung? Was ist mit den Dialogen? Und dann die Recherche. Wie erfahre ich das und jenes?
Ok. Positiver Stress gehört wohl dazu, macht aber nicht krank und endet nicht in einem Burnout.
Bevor ich zu meiner letzten Frage komme, möchte ich gerne noch wissen, wie du als Kind mit den sprachlichen Barrieren zurechtgekommen bist. Immerhin warst du ja schon sieben oder acht Jahre alt, als du mit deinen Eltern von Griechenland nach Deutschland gekommen bist und hast in den ersten Schuljahren wohl kaum ein Wort verstanden. Trotzdem hast du mit dem Abitur den bestmöglichen Abschluss erzielt. Wie hast du das geschafft?
- Der Spracherwerb eines Kindes ist bekanntlich spielerisch, das mal vorneweg. Darüber hinaus haben meine Eltern großen Wert darauf gelegt, dass ich Deutsch lerne.
Was auch sehr umsichtig von deinen Eltern war.
In seinem zweiten Fall wird Thomas Engel in Berlin Verbrechen aufdecken oder Mörder jagen. Wird es da auch wieder Rückblicke zu einem in der Vergangenheit liegenden Fall geben?
- Ich will nicht spoilern, aber die Vergangenheit wird wieder eine Rolle spielen. Ich bin mir sicher, dass die Leser und Leserinnen thematisch Neuland betreten werden. Die Rolle der Alliierten in West-Berlin wird beispielsweise durchleuchtet. Aber auch die Rolle der Stasi in Ost-Berlin kommt nicht zu kurz. Ich habe halt versucht Dinge zu thematisieren, die bisher noch nicht Gegenstand eines deutschen Krimis waren. Das hat mich auch sehr viel Recherche gekostet.
Was die Recherchearbeit anbelangt, befindest du dich aber in guter Gesellschaft vieler deiner Autorenkollegen und Leser wissen das zu schätzen.
Ich danke dir für deine Bereitschaft zu diesem Interview und wünsche dir für deinen weiteren beruflichen Weg als Schriftsteller, viel Erfolg!
1965 – Der erste Fall für Thomas Engel von Thomas Christos
Blanvalet Verlag 2020
Hardcover mit Schutzumschlag
400 Seiten
ISBN 978-3-7645-0719-0