Eva Wagendorfer schreibt unter anderem unter diesem Pseudonym und wurde in Passau geboren, wuchs in Bayern auf und sammelte im Anschluss an ihr Studium in Regensburg sowohl in Italien, wie auch in England in den verschiedensten Berufen Erfahrungen. Unter Sophie Oliver, einem weiteren Pseudonym, hat sie im Jahr 2016 einen ersten Roman veröffentlicht, dem eine Vielzahl folgte. Mit ihrem Ehemann, den beiden Kindern und einem Hund lebt sie auf dem Land.
Grüß dich liebe Eva, dem Klappentext deiner Radioschwestern-Saga ist zu entnehmen, dass dich ein altes, seit vier Generationen in Familienbesitz befindliches Rundfunkgerät zu dieser Arbeit inspiriert hat. Kannst du unseren Lesern darüber etwas mehr verraten? Ich meine, so eine sich über Generationen hinziehende Geschichte schüttelt man sich doch nicht so einfach aus den Ärmeln, oder? Sicherlich hast du tage- und nächtelang über einen sich daraus entwickelnden Plot nachgedacht, bis das Ganze zu dem wurde, was man heute in Händen halten kann.
- Unser altes Radio ist von der Firma Graetz. Als meine Mutter ein kleines Mädchen war, hat sie meine Urgroßmutter gefragt, was das denn für ein Gerät sei, woraufhin die Uroma geantwortet hat: „Das ist der Graetz, Kind.“
Seitdem nennen wir das Radio innerhalb der Familie nur den „Graetzkind“, weil meine Mama damals verstanden hat, dass es so heißt.
Ich erinnere mich daran, dass es bei meiner Oma im Wohnzimmer stand. Mittlerweile ist es bei meinen Eltern eingezogen und wird noch benutzt.
In unserer Familie wurde schon immer viel Radio gehört. Ich persönlich mag Kriminalhörspiele total gerne, vorzugsweise richtig alte aus den 1940er bis 1960er Jahren.
Die Grundidee zu den Radioschwestern stand relativ schnell, aber die Ausarbeitung der einzelnen Charaktere und der konkreten Handlung hat natürlich viel Zeit in Anspruch genommen.
Ich bin jemand, der erst ziemlich lange im Kopf über einer neuen Idee brütet, ehe ich mich dann hinsetze und erste Skizzen dazu mache.
Das Sprachmissverständnis, wie aus einem Graetz ein Graetzkind wurde, ist ja witzig. Da erschaffen Kinder ganz neue Wörter! Aber wir wollen nicht abschweifen: Glaubst du, dass es solche Freundschaften wie bei deinen drei Protagonistinnen Gesa, Inge und Margot tatsächlich in der Realität geben kann, die über Jahrzehnte zueinanderstehen und immer füreinander da sind? Meistens verlieren sich doch solche Freundschaften im Laufe der Zeit durch Eheschließung oder andere Veränderungen im Leben.
- Ich persönlich glaube, dass es Lebensfreunde und Lebensabschnittsfreunde gibt und dass es durchaus möglich ist, mit richtigen Freunden oder Freundinnen ein Leben lang verbunden zu bleiben. Dazu muss man sich nicht jeden Tag sehen. Aber wenn die gegenseitige Wertschätzung so groß ist, dass man nahtlos immer dort weitermacht, wo man beim letzten Mal aufgehört hat, ist das für mich ein Zeichen einer innigen Freundschaft.
Jedem Kapitel deiner Radioschwestern geht zumindest in den ersten beiden Teilen eine Radionachricht über eine weibliche, starke Persönlichkeit voraus. Wie bist du auf diese Idee gekommen und aus welchem Fundus schöpfst du?
- Bei der Recherche zu den historischen Hintergründen hatte ich für Band eins den kompletten Jahrgang einer Zeitschrift aus dem Jahr 1927 zur Verfügung. Das war wie ein Fenster in die Vergangenheit. Es hat mich total fasziniert zu lesen, welche interessante Frauen damals in der Tagespresse standen und ich habe mich dazu entschlossen, den Kapiteln fiktive Radionachrichten über reale Frauen der damaligen Zeit voranzustellen. Als kleinen Mehrwert für den Leser und die Leserin und um diese tollen Frauen in Erinnerung zu bringen.
Der zweite Band erstreckt sich über einen viel längeren Zeitraum als der erste. Und er spielt in einer historisch turbulenten Epoche, in der weibliche Leistungen und Errungenschaften ehrlich gesagt deutlich schwerer zu finden waren, als in den 1920er Jahren.
Daher war die Recherche für die einzelnen Kapitelanfänge von Band zwei deutlich langwieriger.
Das kann ich mir vorstellen und es wäre nur zu schade, wenn diese kleinen Kapitel nicht beachtet werden, da sie doch sehr informativ sind. Mich hat besonders eine Nachricht aus dem Jahr 1955 fasziniert, in der es um die afroamerikanische Näherin Rosa Parks geht, die einem weißen Mann in einem Stadtbus im zu den Südstaaten gehörenden Bundesstaat Alabama die Stirn bot, indem sie ihm nicht ihren Platz überlassen hat. Wärest du an ihrer Stelle auch so mutig gewesen?
- Ich empfinde allerhöchste Bewunderung für die Zivilcourage von Rosa Parks, die ja als afroamerikanische Frau zur Zeit der Rassentrennung in den USA sicher nicht zum ersten Mal im Bus mit der Situation konfrontiert war, für einen weißen Mann aufstehen zu müssen.
Dass sie sich an jenem Tag dazu entschloss, es nicht zu tun, hatte nicht nur Auswirkungen auf ihr eigenes Leben, sondern schlug sehr hohe Wellen.
Wie ich an ihrer Stelle gehandelt hätte, weiß ich nicht, da meine Lebensumstände vollkommen anders sind, als die von Rosa und es fast unmöglich ist, sich eine realistische Vorstellung von dem zu machen, womit sie tagtäglich fertig werden musste.
Was passieren kann, wenn eine Frau mutig ihren Weg geht, ist uns allen ja erst im letzten Jahr vor Augen geführt worden, als sich nämlich Mahsa Amini in Teheran auf der Straße weigerte, ein Kopftuch zu tragen. Dieser Mut hat ihr, anders als im Fall von Rosa, das Leben gekostet. Aber zurück zu dir: Du schreibst nicht nur unter deinem Pseudonym Eva Wagendorfer, sondern ebenfalls unter dem Pseudonym Sophie Oliver. Unter diesem Namen bist du bei Facebook zu finden und hast in einem Post vom 3. März 2020 geschrieben, dass du ein „Faible für alles Historische, Antiquitäten, Geschichte und eben – alte Dinge“ hast. Damit erinnerst du mich an meinen Neffen, der ein uraltes Haus renoviert und wieder bewohnbar gemacht hat. Das Inventar besteht aus einer Mischung aus modernen Elektrogeräten und Einzelstücken, die er auf Flohmärkten zusammengetragen und liebevoll restauriert hat. Erkennst du dich und dein Zuhause hier wieder?
- Die Möbel bei uns daheim sind eine Mischung aus alt und neu.
Ich finde es schön, wenn ein Zuhause ein individuelles Gesicht hat und gerade die Kombination aus Antiquitäten und modernen Elementen reizvoll. Vor allem, wenn es auch noch Geschichten zu den Möbeln gibt und jedes Teil der Einrichtung eine persönliche Bedeutung hat, also bewusst verwendet wird.
Den Trend zum Minimalismus verfolge ich interessiert, er entspricht aber nicht dem, was ich mir unter einem gemütlichen Zuhause vorstelle.
Genau so habe ich dich auch eingeschätzt. Wie steht es mit den im Roman erwähnten Schauspielern und Sängern, die ja älter als du sind und zum Teil auch gar nicht mehr leben. Bezieht sich dein Faible für alte Dinge, wie du es nanntest, auch auf alte Filme und Schlager von früher?
- Ich mag alte Filme, ja, aber nicht ausschließlich. Gerne schaue ich moderne Historienfilme, wenn sie gut gemacht sind.
Was alte Musik betrifft – ich höre Klassik, aber keine alten Schlager. Mein persönlicher Unterhaltungsmusikgeschmack ist eher zeitgemäß.
Daher war es interessant, während der Recherche zu den Radioschwestern neue Dinge über Musik und die Stars von damals zu lernen.
In dem Punkt wiederum habe ich dich, zugegebenermaßen, nicht richtig eingeschätzt. Umso neugieriger bin ich auf deine nächste Antwort: Hättest du in dieser Zeit, in der es auf so vielen Gebieten Pioniere wie zu keinem anderen Zeitpunkt gegeben hat, lieber gelebt als heute?
- Eigentlich bin ich ganz dankbar dafür, im Hier und Jetzt zu leben, gerade als berufstätige Frau und Mutter.
Könnte man in der Vergangenheit Urlaub machen, würde ich sehr gerne mal zwei Wochen in dieser und drei oder vier in jener Epoche verbringen. Aber immer nur mit Rückfahrkarte.
Ich genieße es, mein Fernweh nach vergangenen Zeiten in meinen Büchern ausleben zu dürfen. Die Recherche führt mir dann meistens vor Augen, wie gut wir es heute haben – zumindest in Deutschland. Und das nordet einen ganz schnell wieder ein.
Ja, das wäre eine spannende Sache, wenn man sich quasi wie im Film Zurück in die Zukunft* für ein paar Tage in die Vergangenheit „beamen“ könnte, ohne jegliches Risiko. Leider ist die Wissenschaft noch nicht so weit, aber dafür ist das Internet bereits erfunden und ermöglicht einen Austausch über Facebook. Auf dieser Plattform hast du dich auch dahingehend geäußert froh zu sein, in verschiedenen Genres zu schreiben. Dabei fällt auf, dass es immer die Frauen sind, die sich durchsetzen und Stärke zeigen. In der Familiensaga Grand Hotel Schwarzenberg* ist es Anna Gmeiner, während Freya Sieber in Das Haus am Walchensee* die Protagonistin ist. Lediglich in den Krimis stehen männliche Ermittler im Fokus. Mich würde interessieren, ob du bei diesen fiktiven Personen wie Gesa, Inge, Margot, Anna oder Freya auch, wie zumindest bei den Radioschwestern ganz häufig, auf historische Figuren zurückgegriffen hast.
- Bisher habe ich mich lediglich für die Radioschwestern von realen Personen inspirieren lassen, was manche der Charaktere betrifft.
Bei diesem Projekt hat das einfach wunderbar gepasst, um der fiktiven Geschichte mehr Realitätsbezug zu geben. Und auch um die Radiopioniere von damals zu würdigen.
Ich entscheide von Projekt zu Projekt individuell, ob es Sinn macht, historische Personen mit einzubeziehen oder sie zum Vorbild zu nehmen oder ob es besser ist, komplett fiktive Charaktere zu entwerfen. Oder ob eine Geschichte vielleicht sogar nach wahren Begebenheiten erzählt werden sollte.
Die Leserzielgruppe bestimmt darüber, ob es in erster Linie starke weibliche Protagonistinnen gibt oder ob ich auch den Herren eine kräftigere Stimme verleihen darf.
Daher meine Vorliebe für unterschiedliche Genres, denn ein Krimi ist natürlich was ganz anderes als ein Frauenroman oder ein historischer Roman.
Deine Saga um das Grand Hotel Schwarzenberg* ist in Bad Reichenhall angesiedelt, Das Haus am Walchensee*, wie der Name sagt, an eben diesem herrlichen See mit Ausblick auf das Karwendelgebirge. Kennst du deine Handlungsorte alle selbst, bereist du sie während eines Urlaubs oder reist du extra zu diesem Zweck dorthin, um dir ein besseres Bild von den Gegebenheiten machen zu können?
- Grundsätzlich schaue ich mir alle meine Handlungsorte sehr genau an. Manchmal gezielt für ein Projekt, manchmal kenne ich sie auch vorher schon.
Ich finde es wichtig, vor Ort zu recherchieren (das ist natürlich eines der Highlights des Autorenlebens) und nicht nur im Internet.
Was natürlich auch wieder Arbeit bedeutet, für die man die nötige Zeit aufbringen muss. Von anderen Autoren hört man nicht selten, dass sie jahrelang für einen Roman recherchiert haben. Schaut man sich deine „Schlagzahl“ an, geht die Rechnung angesichts deines Alters nicht auf. Trotzdem betreibst du ausgezeichnete Recherchen für deine Romane. Über Hans-Joachim Kulenkampff ist bekannt, dass er nicht gerne über seine Vergangenheit während des Krieges gesprochen hat. Das dürfte deshalb nicht viele Leser überraschen. Aber dass Karl Böhm, der Vater von Karlheinz Böhm, „berüchtigt für seinen Sarkasmus und lang andauernde Wutausbrüche“ gewesen sein soll, findet man nicht einfach auf Wikipedia. Wie schaffst du das, auch solche Details aufzuspüren, die immerhin dem Plot eine gewisse Authentizität verleihen? Hältst du es wie ein Staranwalt, der andere für sich die Fakten aufspüren und sammeln lässt?
- Ha, ha, ha, nein, ich habe keine Schnüffeltruppe wie ein Staranwalt. 🙂
Ich sammle meine Fakten alleine – habe aber eine sehr reisebegeisterte Familie, die mich immer gerne überall hinbegleitet und moralischen Beistand leistet. Das muss an dieser Stelle gewürdigt werden. 😉
Vermutlich ist es ein Vorteil, dass ich mich schon als Kind für Geschichte und Geschichten begeistert habe und meine Eltern das auch immer gefördert haben.
Ich mache mir viele Notizen, schreibe mir auf, was ich später vielleicht verwenden könnte und habe ein Sammelsurium an verschiedensten Fakten.
Manche Buchideen begleiten mich tatsächlich jahrelang im Kopf, bis sie dann konkret umgesetzt werden. Daher ist es immer schwierig zu sagen, wie lange ich für einen Roman brauche, wenn ich danach gefragt werde. Weil die einzelnen Projekte schon immer weit vor dem Schreiben starten.
Wie verbringst du deine Freizeit? Liest du selbst und nimmst ab und zu ein Buch in die Hand? Oder darf es alles sein, nur kein Buch?
- In meiner Freizeit mache ich Sport, male ich oder verändere ich irgendwas an Haus und Garten. Ich reise, lerne gerne Sprachen und natürlich lese ich auch immer und überall – nicht nur Romane, auch viele Sachbücher zu Themen, die mich interessieren.
Welche Themen sind das?
- Ganz unterschiedliche. Archäologie und Kunstgeschichte, Biografien, Ernährungswissenschaftliches, medizinische Themen, Reiseberichte und alles, was mich sonst gerade dazu animiert, genauer nachzulesen und mich tiefergehender zu informieren.
Bevor wir uns verabschieden, noch ein Wort zu dem zweiten Band Die Radioschwestern – Melodien einer neuen Welt: Um ehrlich zu sein, hatte ich mir vorgestellt, Gesas als verschollen geglaubter Ehemann Albert würde eines Tages doch noch wieder auftauchen. Vornehmlich dann, um der Dramatik einen weiteren Touch zu geben, wenn sich seine Ehefrau neu verliebt oder noch schlimmer, wieder geheiratet hat. Hattest du diesen Gedanken auch zu einem Zeitpunkt und ihn dann wieder verworfen?
- Nein, diesen Gedanken hatte ich nie.
Alberts Geschichte stand schon fest, ehe ich begonnen habe, Band eins zu schreiben, da er von einer historischen Person inspiriert ist.
Nämlich vom Arzt und Radiopionier Hans Flesch, dessen Schicksal ich derart berührend fand, dass ich mich unbedingt an die historischen Fakten halten wollte.
Ich bin auf den dritten Teil gespannt und sicher, dass ich mich dabei in guter Gesellschaft befinde. Danke für das Interview und alles Gute!
- Es hat Spaß gemacht, die Fragen zu beantworten. Ich bedanke mich ganz herzlich für diese Möglichkeit und wünsche auch alles Gute.
Die Radioschwestern – Melodien einer neuen Welt von Eva Wagendorfer
Penguin Verlag 2023
Klappenbroschur
448 Seiten
ISBN 978-3-328-10817-7