Interview mit der Autorin Helen M. Sand

Helen-M.-Sand
Bildquelle: Helen M. Sand
Helen M. Sand, alias Simone Schönung, wurde am 1. Dezember 1972 in Karlsruhe geboren. Sie hat am Heidelberg College in Tiffin, Ohio, American Literature und an der ehemaligen Ruperto Carola, jetzt Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Spanisch, Englisch und Deutsch studiert. Während dieser Zeit lebte sie sowohl in den USA, als auch in Argentinien, wo sie am Goethe-Institut in Rosario als Deutschlehrerin arbeitete. Als Lehrerin an einem Gymnasium organisierte sie über das EU-Programm „Erasmus+“ einen innereuropäischen Schulaustausch sowie weitere Austauschmöglichkeiten für ihre SchülerInnen mit Spanien und Argentinien. Mit ihrem Ehemann, den zwei Kindern und ihrer Katze Lynn lebt sie heute in der Nähe von Karlsruhe, wo sie das Leben auf dem Land und Spaziergänge in der Natur genießt. Ihre Gedichte wurden in der Frauenzeitschrift Lydia veröffentlicht, Im See der Himmel ist ihr erster Roman, für den sie regelmäßig auf Lesungen zu hören ist.

Hola querida Helen, so darf ich dich als Spanisch unterrichtende Lehrerin begrüßen und ich muss gestehen, dass ich dich dafür beneide! Doch darum geht es in diesem Interview nicht.
Deiner umfangreichen Vitae ist zu entnehmen, dass du auf der einen Seite ein sehr vielfältiges Studium absolviert hast und auf der anderen Seite schon viel von der Welt gesehen hast.
Für dein Erstlingswerk, den recht umfangreichen Roman Im See der Himmel, musstest du in deinem Beruf als Lehrerin kürzertreten und dich für ein Schuljahr freistellen lassen. Hast du dann nicht unter einem enormen Zeitdruck gestanden? Im Moment hört sich das zwar lange an, aber ein Jahr ist schneller vorbei, als man denkt.

    Liebe Beatrix, im Moment bin ich tatsächlich für ein Schuljahr freigestellt, meinen Roman habe ich allerdings in den letzten vier Jahren geschrieben, während ich gearbeitet habe. Deshalb hat es auch so lange gedauert, weil ich nur in den Ferien schreiben konnte, denn während des laufenden Schuljahres hatte ich nicht die Zeit fürs Schreiben. In der Ferienzeit stand ich dann allerdings schon unter Zeitdruck. Jetzt habe ich mich freistellen lassen, um den Roman endgültig abzuschließen und zu veröffentlichen. Dazu habe ich einen freien Kopf gebraucht und genug Zeit.

    Ich war bei der Gestaltung des Covers, dem Textlayout, der Autorinnenhomepage etc. sehr involviert und da gab es viel zu organisieren. Auch die Organisation und Durchführung der Lesungen nimmt viel Zeit in Anspruch (ich bin in ganz Deutschland unterwegs: Vom Allgäu bis nach Bremen, von der Pfalz bis nach Usedom), doch es macht mir so viel Freude, mein Publikum in die Welt meiner Maria mitzunehmen, ich genieße es sehr. Auch die Begegnungen nach den Lesungen sind für mich unendlich bereichernd.

Ich merke schon, da bist du ja voll beschäftigt, denn eine Lesung findet ja in der Regel am Nachmittag statt, so dass es dir kaum möglich sein dürfte, noch am selben Abend nach Hause zu fahren. Ganz zu schweigen von dem Verständnis deiner Familie, die während deiner Abwesenheiten auf dich verzichten muss. Oder wirst du von ihnen, in erster Linie deinem Mann auf deinen Lesungen begleitet?

    Meine Familie hat für mich und meine Lesungen großes Verständnis und mein Mann unterstützt mich, wann immer er kann. Wenn die Lesung in der Nähe ist und erst abends, kommt er nach dem Arbeiten vorbei. Wenn ich weiter weg bin und dort übernachte, ist das auch kein Problem. Er hat in seinem Job viel zu tun… Und die Kinder sind schon groß und manchmal eher froh, wenn sie ihre Ruhe haben. Aber bei der Lesung in unserem Heimatdorf waren sie beide dabei.

Das Talent zum Schreiben hast du wohl von deinem Urgroßvater geerbt, wie du auf deiner Webseite bekennst. Nach dem Tod deiner Großtante haben seine Gedichte zu dir gefunden. Damit ist auch erklärt, warum in den im Roman abgedruckten Briefen häufig auch Gedichte zu lesen sind. Käte, die Schwester deiner Protagonistin Maria, backt und kocht wie deine Urgroßmutter leidenschaftlich gerne. Glaubst du, dass man gewisse Fertigkeiten oder Talente von seinen Großeltern vererbt bekommen kann?

    Ja, das glaube ich auf jeden Fall. Denn nicht nur mein Urgroßvater hat Gedichte geschrieben, auch mein Vater dichtet gerne. Und auch mein Sohn hat bereits im Grundschulalter voll Freude Geschichten geschrieben, aber seine Interessen liegen jetzt wo anders. Also kommt es auch sehr darauf an, dass man sich auf dieses Talent einlässt. Meine Tochter dichtet und schreibt nicht gern, dafür war sie als Kind eine leidenschaftliche Bäckerin. 😉

Dann dürfte deine Tochter eher nach deiner Urgroßmutter geraten und dein Sohn…, nun ja, vielleicht sind seine anderweitigen Interessen nur vorübergehender Natur, quasi seinem Alter geschuldet, und eines Tages besinnt er sich wieder… Bleiben wir beim Roman:
Sofia, die Frau des Enkels von Käte, die wegen eines Aneurysmas im Krankenhaus liegt, ist froh, dass man sie wieder auf die Wachstation gelegt hat. Eigentlich ist man doch froh, wenn man von der Wachstation weg und auf ein normales Zimmer verlegt wird, oder? Zumindest kenne ich das nicht anders. Auf einer Wach- oder auch Intensivstation genannt liegt der Patient doch nach einer OP, wo er noch einer intensiven Überwachung bedarf.

    Die Vorlage für Sofia und ihr Aneurysma war eine tatsächliche Begebenheit. Während ich den Roman schrieb, wurde eine Freundin von mir wegen eines Aneurysmas ins Krankenhaus eingeliefert. Ich habe diese Tage in meinem Roman verarbeitet. Ich bin auch mit der Schwester und der Schwägerin der Freundin befreundet und die von mir verwendeten Termini, wie zum Beispiel „Wachstation“, sind die Termini, die sie verwendet haben. Als Wachstation wird in manchen Kliniken die Schnittstelle zwischen der Intensiv- und der Normalstation bezeichnet. Das bedeutet, dass die Patientinnen und Patienten zwar umfangreich überwacht und auch intensiv betreut werden müssen, sich jedoch nicht mehr in einer akut kritischen Situation befinden und meist auf dem Wege der Besserung sind.
    Die Zeit im Januar 2019 war eine sehr dramatische Zeit, verbunden mit großen Sorgen und vielen Ängsten. Doch wie Maria habe ich tatsächlich gewusst, dass meine Freundin am 3. Tag wieder aufwachen würde und habe – über WhatsApp-, ihre Schwägerin darüber informiert. 20 Minuten später kam eine WhatsApp von der Schwägerin, dass sie aufgewacht ist und alles gut war (sie wusste auch noch genau alle Telefonnummern etc).

Meine Güte, das ist ja kaum zu glauben! Deine hellseherischen Fähigkeiten erzeugen bei mir einen Kälteschauer. Was deine Aufklärung bezüglich der Definition einer Wachstation anbelangt, so habe ich einmal wieder etwas dazu gelernt. Denn zufälligerweise habe ich ein Sachbuch über Operationen geschrieben, und in dem Krankenhaus, in dem ich für das Buch recherchieren durfte, war die Wachstation gleich gesetzt mit der Intensivstation.
Kommen wir zum nächsten Punkt, der mich stutzig gemacht hat: Maria hat im Epilog zunächst an der Seite ihres Ehemanns Jack ihre letzte Ruhe gefunden hat, also in Greenville, South Carolina. Doch dann ist weiter unten zu lesen, dass Sofia etwas von Marias Asche über den See verstreut hat. Wie kann sie denn in Deutschland die Asche verstreuen, wenn der Leichnam in Amerika beigesetzt wurde?

    Danke auch hier fürs Nachfragen. Ich hatte von Anfang an das Bild vor Augen, dass Sofia Marias Asche in den See am Kohlplattenschlag streut. Gleichzeitig sollte sie aber auch neben Jack beerdigt sein. Es war mir als Bild wichtig, dass Maria sowohl in Deutschland als auch in USA ihre letzte Ruhe findet, um so zu zeigen, dass sie auch noch im Tod den alten und den neuen Kontinent, ihr altes und ihr neues Leben vereint.
    In USA ist es erlaubt, die Asche des Verstorbenen in einer Urne zum Beispiel auf dem Kaminsims stehen zu lassen, so ist es auch möglich, einen Teil davon abzufüllen und an einem anderen Ort ins Wasser zu streuen.

Auch hier muss ich gestehen, dass ich davon noch nie gehört habe. Aber ich habe auch keinerlei Verbindungen in die USA, so wie du. Denn damit kommen wir zum Punkt Greenville, wo dich dein Fernweh tatsächlich auch schon hingetrieben hat. Lebten die Einwohner früher von den Baumwollfeldern, hat sich heute dort eine Automobilindustrie angesiedelt. Wie bist du bei deiner Wahl ausgerechnet auf diese Gegend gestoßen? Laut Wikipedia wirkt Greenville „im Gegensatz zu anderen Innenstädten der gleichen Größe außerordentlich europäisch“. War das vielleicht der Grund?

    Nein, überhaupt nicht. Ehrlich gesagt, hatte ich mich über Greenville vor meinem Auslandsaufenthalt kaum informiert. Es gab für die Wahl nur einen Grund: Ich wollte unbedingt wieder ins Ausland, aber dieses Mal mit meiner Familie. Da kam nur Greenville, South Carolina in Frage. Allerdings hat es dann doch nicht mit der ganzen Familie, sondern nur mit der Tochter geklappt. Unsere gemeinsame Zeit dort war toll und wir haben viel erlebt. Wir fanden Greenville zwar nicht unbedingt außerordentlich europäisch, aber auf jeden Fall ideal, um dort eine wunderbare Zeit zu verbringen. Es gab dort viel Kultur (Museen, Theater, etc.), aber auch eine sehr schöne Innenstadt, mit vielen kleinen Läden (inklusive Oktoberfest, da sehr viele Deutsche dort wohnen, vielleicht deswegen europäisch?). Außerdem haben wir echte Freunde gefunden, zu denen wir immer noch Kontakt haben und sind auch noch viel herumgereist.

Wenn ihr dort sogar Freunde gefunden habt, wird es euch bestimmt wieder dorthin ziehen, sofern du die Zeit dazu findest. Ich denke nur an deine vielen Lesungen…
Wie siehst du deine weitere berufliche Zukunft? Eher als engagierte Lehrerin, die sich weiterhin um einen Schüleraustausch bemüht, oder mehr als Autorin, der beim Schreiben und den damit verbundenen Lesungen keine Zeit mehr dafür bleibt?

    Wenn ich ehrlich bin, ist es gar keine Frage: Autorin! Beim Schreiben geht mir das Herz auf, ich weiß, ich bin genau am richtigen Ort und mache genau das, was ich möchte und auch mir guttut. Lesungen zu halten ist auch voll mein Ding, ich kann von meiner Lebensfreude abgeben und die ZuhörerInnen vergessen für eine kurze Zeit ihre Sorgen. Und auch das persönliche Feedback ist sehr wertvoll.
    Ich unterrichte aber auch wirklich sehr gerne und zu sehen, wie die SchülerInnen sich dann in der Fremdsprache ausdrücken und dies dann in einem Austausch konkret anwenden können, macht mich froh. Aber die SchülerInnen müssen auch auf das Abitur vorbereitet werden und damit sind wir wieder bei meinem Wunschberuf Autorin, der mir mehr Raum für Kreativität lässt.

Oh je, dann würde ich dich wohl mit meiner spanischen Ausdrucksweise wenig froh machen, aber du hast mich ja auch nicht unterrichtet.
Wenn du dich in der Zukunft als Autorin siehst, hast du denn schon ein weiteres Projekt ins Auge gefasst?

    Ja, ich habe schon angefangen und der Plot und die ersten Seiten stehen schon. Dieses Mal liegt der Fokus auf der Jetztzeit und auch nicht auf Deutschland.
    Te va a gustar mucho: trata de un lugar donde se habla español.
    😉

Oh, da bin ich aber jetzt echt gespannt, denn es könnte sich dabei durchaus um ein Land handeln, das auf meiner Wunschliste liegt. Te agradezco la entrevista y Te deseo todo lo mejor para tu futuro profesional y privado, was so viel wie danke für das Interview und ich wünsche dir für deine berufliche und private Zukunft alles Gute, heißen soll, sofern mein Spanisch korrekt ist.

Im See der Himmel von Helen M. Sand

Im See der Himmel
Books on Demand 2022
Broschur
464 Seiten
ISBN 978-3-7562-3698-5

Bildquelle: Books on Demand
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