Ein abgelegener Hof und ein rätselhafter Todesfall
Elfi Reisinger lebt mit ihren Eltern Lisbeth und Hannes auf dem Reisingerhof, der umgeben ist vom Schwarz-, Schneeberger-, Firnbichler- und Eitlerhof sowie einer Kapelle. In dem abgelegenen Dorf Ferchkogel am See wird eines Tages Hannes vermisst. Walter Schneeberger findet ihn im Schwarzbach liegend, doch als er die Gendarmen zu dem Toten führen will, wurde dieser bereits von der Strömung in den Ferchkogelsee unter das Eis getrieben.
Lisbeth ist entschlossen, den Hof zu halten und ihn gemeinsam mit ihrer Tochter Elfi zu bewirtschaften. Dass ihr die Rotte vom Ferchkogel Unterstützung anbietet, macht sie nur misstrauisch. Besonders Martha Firnbichler zeigt sich plötzlich freundlich und bietet an, Lisbeth mit dem Auto zur Kirche in Anger zu fahren – ein beschwerlicher Fußweg von einer halben Stunde. Lisbeth weiß jedoch nur zu gut, dass Marthas berechnender Ehemann Erwin Firnbichler stets zur Stelle war, wenn es im Dorf ein Unglück gegeben hat.
Liebe, Verlust und finanzielle Sorgen
Um Hilfe bei der Hofarbeit zu bekommen, holen Lisbeth und Elfi den jungen Franz Kehrtegger auf den Reisingerhof. Obwohl die Mutter gegen eine Verbindung der beiden ist, heiraten sie. Elfi bringt ein Kind zur Welt und muss sich zusätzlich um ihre Mutter kümmern, nachdem diese einen Schlaganfall erlitten hat. Ihre Sorgen wachsen, als Franz Schulden für die Modernisierung des Hofes macht. Nach seinem frühen Tod wird Elfi zur Witwe und muss sich ganz allein behaupten.
Längst wurde ihr Vater Hannes geborgen – nach einem halben Jahr im Wasser. Eine Todesursache lässt sich nicht mehr feststellen. Hat er Selbstmord begangen oder wurde er ermordet?
Kampf um Besitz und Wahrheit
Elfi quält sich von Tag zu Tag, und Erwin Firnbichler macht ihr das Leben zusätzlich schwer: Er behauptet, Hannes habe ihm vor seinem Tod den Seegrund für 30.000 Schilling versprochen. Elfi entgegnet, Erwin habe ihren Vater „bsoffen“ gemacht und ihn damit in den Tod getrieben. Auch als Gernot vom Eitlerhof unter dem Vorwand kommt, er müsse sich als Tierarzt um die „Viecher“ kümmern, glaubt Elfi ihm nicht und weist seine Annäherungsversuche zurück. Die junge Frau ist zunehmend verzweifelt und weiß nicht, wie sie die Schulden abtragen soll.
Sprachstil und literarische Wirkung
Marcus Fischer beschreibt in seinem Roman Die Rotte* das klägliche Leben seiner in einem abgelegenen Dorf lebenden Protagonisten. Sie sind kaum über die Grenzen ihrer Heimat hinausgekommen. Elfi erinnert sich gerne an ihre Urli, die in ihrem Leben nur drei Paar Schuhe besaß.
Doch auch das fiktive Örtchen Ferchkogel wird zunehmend von „Sommerfrischlern“ aufgesucht, nachdem die Straße einen Asphaltbelag erhalten hat. Das ruft besonders den gerissenen Erwin Firnbichler auf den Plan, der frühzeitig erkennt, welchen Wert ein Grundstück am See mit dem hereinströmenden Tourismus haben wird.
Der Roman ist in österreichischer Mundart geschrieben, was besonders in den Dialogen deutlich wird. Zahlreiche Begriffe sind nicht einfach zu googeln, ihr Verständnis ergibt sich allenfalls aus dem Kontext. Zwar wird die wörtliche Rede nicht durch Anführungszeichen kenntlich gemacht, doch ist stets klar, wer spricht. Auch wenn sich Leser, die mit dem Dialekt nicht vertraut sind, zunächst an den ungewohnten Stil gewöhnen müssen, entfaltet die Geschichte schnell einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann.
Ein berührender Roman mit Tiefgang
Schon früh wird in kurzen Ausblicken auf Elfis Zukunft im Jahr 1975 angedeutet, dass sie ein Kind haben und ihr Ehemann Franz früh sterben wird. Das weckt Neugier auf den weiteren Handlungsverlauf, der auf einfühlsame Weise Elfis Verzweiflung und Selbstzweifel zeigt. Die Rotte* ist ein zutiefst berührender Roman für anspruchsvolle Leser – ein literarisches Psychogramm eines Dorfes, das sich gegen Veränderung sträubt und seine Geheimnisse nur widerwillig preisgibt.
Die Rotte von Marcus Fischer
Leykam Buchverlag 2022
Hardcover mit Schutzumschlag
303 Seiten
ISBN 978-3-7011-8251-0