Im Augenblick der Freiheit von Burghard Schlicht

Im Augenblick der FreiheitRebecca ist bekannt, dass sie 1972 in Jamaika als Lucy geboren wurde. Doch von ihrer leiblichen Mutter, die sich den Hippies zugehörig fühlte, wurde sie sofort nach der Geburt weggegeben. So ist sie bei mormonischen Adoptiveltern aufgewachsen. Um mehr über ihre Mutter Jenny in Erfahrung zu bringen, besucht sie kurz nach dem Einsturz der Twin Towers Gottfried, den damaligen Geliebten ihrer Mutter, in seiner Augenarztpraxis. Sie berichtet ihm, Gegenstände nicht mehr zu erkennen, „flackernde Ringe“ und „farbige Nebel“ sowie bunte Schreckensbilder zu sehen. Da sich jedoch keine medizinische Ursache finden lässt, überweist er Rebecca in eine psychosomatische Klinik, aus der sie jedoch flieht.

So schwierig es ist, sich in den Roman „Im Augenblick der Freiheit“ einzulesen, so schwierig gestaltet sich das Verständnis der Lektüre im weiteren Verlauf. Der Autor kommt von „Höcksken auf Stöcksken“ und spricht unterschiedlichste Themen an. Der Plot wirkt wie ein Konstrukt, das den Leser verwirrt. Die Handlungspersonen sind allesamt seltsam: Rebecca kann offensichtlich nicht den Anblick der in die Wolkenkratzer rasenden Flugzeuge verarbeiten und ist mit HaHa Scott verheiratet; aber auch nicht wirklich, was heißen soll, dass zumindest HaHa daran glaubt. Marcello nennen alle wegen seiner Ähnlichkeit mit dem Revolutionär Ernesto Guevara nur Che Comandante, und Sonny, der vor Jahrzehnten mit Jenny nach Marrakesch aufgebrochen ist und Gottfried lange nicht gesehen hat, will sich Geld von ihm für ein Kamikaze-Projekt in Afrika leihen. Im Gegenzug überreicht er ihm einen Koffer mit seiner Hinterlassenschaft. Der gesichtsblinde Augenarzt Gottfried, der für eine bessere Welt gekämpft haben will, in der alle friedlich miteinander leben und alles nach dem Vorbild des Urkommunismus hätten teilen sollen, wüsste selbst gerne mehr über Jenny.

Während der Suche nach dem Verbleib ihrer Mutter spricht Rebecca wiederholt mit Gottfried, der als junger Mann im Jahr 1970 KINO gegründet hat, ein radikal kritisches, studentisches Filmmagazin. Als Chefredakteur hat er eine Sonderausgabe über den früh verstorbenen Hans-Peter Kantlehner herausgebracht, Regisseur von Provo-Film, das Wunderkind des deutschen Films, den alle nur HPK nannten. Mit Marcello, einem seiner Mitarbeiter, unterhält sich Rebecca ebenso wie mit der Sängerin Anna Lund. Auch von dem aus Niederbayern stammenden Joseph Lechner, der mit Künstlernamen Sonny heißt und plötzlich bei Gottfried auftaucht, erhofft sie sich Informationen.

In dem nicht in chronologischer Reihenfolge aufgebauten Roman „Im Augenblick der Freiheit“ macht Burghard Schlicht auf „tausend“ Ungerechtigkeiten dieser Welt aufmerksam, doch der Leser fragt sich manchmal, ob er überhaupt noch dasselbe Buch in Händen hält. Zudem verliert er bei den skurrilen Begebenheiten zunehmend das Interesse am Fortgang der Handlung. Mal berichtet Rebecca von ihrem Leben oder sie liest in einer von Sonny überreichten Dokumentation der Ereignisse des Jahres 1970, in der er Jenny kennengelernt hat. Rebecca landet in einem einsam gelegenen Berghof und schließlich in Kanada, wo Gwinzii-Shihanh gesprochen wird, eine in der Welt nichtexistierende Sprache. Dann treffen sich alle bei Georgie, dem Wirt des Chez Martha, oder bei verrückten Filmaufnahmen von PHK. In diesem Zusammenhang spart der Autor, der anscheinend ein Liebhaber des Valpolicella ist, nicht mit dem Gebrauch der Verben ficken und vögeln und erinnert daran, dass früher in den Kinos Zigaretten und Eiskonfekt verkauft wurden. Auch wenn sich der Autor gelegentlich einer herrlich ironischen Ausdrucksweise bedient, kann er mit seinem Debütroman nicht überzeugen.

Im Augenblick der Freiheit von Burghard Schlicht

Im Augenblick der Freiheit
Verlag Olga Grueber 2020
Hardcover mit Schutzumschlag
528 Seiten
ISBN 978-3-000-65307-0

Bildquelle: Verlag Olga Grueber
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