Im Jahr 1827 hat Nanette im siebten Jahr eine Anstellung als Gouvernante im Lilienpalais in München, nachdem Eloise, die Ehefrau von Graf Carl von Seybach, frühzeitig verstarb. Am Sterbebett hat er ihr versprochen, Nanette einzustellen und die Erziehung der Kinder Isabella, den angehenden Arzt Maximilian sowie Cousine Johanna nicht seiner Mutter Henriette zu überlassen, zumal er als engster Vertrauter des Königs Ludwig I viel unterwegs ist. Wenn es Nanettes Zeitplan zulässt, trifft sie sich mit ihrem heimlichen Geliebten Oberstkämmerer. Eines Tages meldet sich die geschändete Magd Kätt mit einem Empfehlungsschreiben ihrer früheren Herren, der Gräfin und des Grafen von Neuhausen, bei Haushälterin Afra Haberl und hofft auf eine Anstellung im Lilienpalais. Doch trotz der Bitte der Freiin von Neuhausen lehnt Nanette das Begehren der jungen Frau ab und verweist sie an den Palais der Liebigs.
Couragiert hat sich Nanette Zutritt in die Räumlichkeiten des Verlegers Ferdinand von Rückl verschafft, wo sie ihm ohne Nennung ihres Namens die Unterlagen zu einem Fortsetzungsroman des Autors Anonymus überbringt. Sie weiß um deren Bedeutung, da die Verkaufszahlen der Zeitung seitdem in die Höhe geschnellt sind. Als er einer Einladung zur Silvesterfeier ins Lilienpalais folgt, ist er überrascht, dort die Botin der Romanfortsetzung in ihrer Eigenschaft als Gouvernante wiederzusehen und fragt sich, ob ihre Herrschaft von ihrer heimlichen Unternehmung weiß.
Kätt beklagt sich immer wieder bei Afra darüber, dass sie in der neuen Anstellung geschlagen wird. Obwohl sich Afra für eine baldige Übernahme im Lilienpalais von Kätt bei Nanette einsetzt, bittet diese Afra noch um Geduld. Für Kätt steht fest, dass Nanette sie nicht mag, weswegen sie ein Auge auf die Gouvernante wirft. Es bleibt Kätt nicht verborgen, dass Nanette über Stunden in einem gewissen Etablissement von Madame Winkler verweilt und es kommt ihr merkwürdig vor, dass niemand weiß, woher Nanette kommt. Dann meldet sich auch noch Oberstkämmerer bei der verschüchterten Magd, die für ihn das Geheimnis von Nanette lüften soll.
Hannah Conrad beginnt ihren historischen Roman Eine Dame mit Geheimnissen* mit einer heißen erotischen Liebesszene von Nanette und Oberstkämmerer. Die gebildete Gouvernante nimmt kein Blatt vor den Mund, spart nicht mit sarkastischen Äußerungen und begegnet ohne Ausnahme jedem Gegenüber mit Selbstbewusstsein. Vor allem Verleger Ferdinand überrascht sie mit ihrer Art immer wieder aufs Neue. Bei Henriette von Seybach macht sie sich mit ihrer Erziehungsmethode, dass die Kinder eigene Entscheidungen treffen dürfen, was ihre Ehe und Zukunft betrifft, nur unbeliebt, da die das für „Firlefanz“ hält. „Als ginge es darum, glücklich zu werden.“ Tatsächlich sieht Nanette ihre Zukunft nicht darin, sich einem Ehemann unterzuordnen, und auch Isabelle hat andere Vorstellungen von ihrem Leben, für die ihre Gouvernante Verständnis aufbringt.
Die Autorin geht auf die damalige politische Lage ein und schreibt beispielsweise von den Sorgen der Bayern, deren männliche Bevölkerung sich nach dem Russlandfeldzug von 1812 stark minimiert hat. Eine ihrer Handlungspersonen äußert sich kritisch dazu, dass man auf der einen Seite im Konzertsaal in Luxus schwelgt, „während in den Gassen Kriegswitwen um Brot betteln“. Schon frühzeitig ist im Plot von einem Unglück die Rede, in dessen Folge Gräfin und Graf von Neuhausen um ihre verschwundene Tochter Eleonora trauern. Doch wird dem Leser des in gehobener Sprache gehaltenen, intelligenten Romans erst am Ende diese Bedeutung klar und warum Nanette so lange „Eine Dame mit Geheimnissen“ bleiben muss.
Eine Dame mit Geheimnissen von Hannah Conrad
Heyne Verlag 2023
Klappenbroschur
352 Seiten
ISBN 978-3-453-42657-3