Interview mit dem Autor „Tube” Tobias Herre

Tube Tobias Herre
Foto © Oz Ordu
Tobias Herre, oft nur „Tube” genant, ist Mitbegründer der seit 1997 existierenden Lesebühne LSD (Liebe statt Drogen), die in Berlin einen hohen Bekanntheitsgrad hat. Fünf kreative Künstler, unter ihnen Tube, präsentieren einem geneigten Publikum jeden Dienstag neue Texte, Tänze und Songs. Außerdem liest Tobias Herre jeden Mittwoch Geschichten vor. Er beherrscht selbstredend alle Programmiersprachen und schreibt Computerprogramme. Zurzeit nimmt er an einer privaten Universität in Berlin an einem Experiment zur Lohnarbeit teil.

Nach seinem Kurzgeschichtenband „Wenn ich Macht hätte“ hat er nun seinen ersten Roman Das Fehlerchen auf den Markt gebracht.

Hallo und guten Tag Herr Herre! Ist es o. k., wenn wir uns einfach duzen?

    Klar.

Als ich in deinem Roman Das Fehlerchen von der Möglichkeit des Teletransports gelesen habe, kam mir sofort eine Meldung in Erinnerung. Demnach wollen Schweizer Wissenschaftler einen materielosen Transfer bewerkstelligt haben und dieses Experiment, bei denen Quarks auf die andere Seite eines Flusses transferiert worden sein sollen, könnte der Auftakt zu weiteren Versuchen sein.
Hat dich auch dieser Gedanke bei der Entstehung des Romans geleitet? Oder hat Das Fehlerchen eher seine Wurzeln in deiner Eigenschaft als Programmierer, wobei ja bekanntlich auch die kleinsten Fehler zu einem völlig anderen Resultat führen können?

    Bei dem Experiment der Schweizer Wissenschaftler, die übrigens österreichische Wissenschaftler sind, handelt es sich um die sogenannte Quanten-Teleportation. Dabei wurden meines Wissens Qubits über die Donau geschickt, also Quantenzustände und keine Materialien, auch nicht die Form und die Anordnung von Materialien. Das hat also überhaupt nichts mit dem Teletransportverfahren gemein, das von der Schliemanz-Koch AG entwickelt worden ist. Die ersten Ideen zu meinem Roman hatte ich vor etwa zwanzig Jahren. Allerdings wusste ich damals noch nicht, dass es Ideen zu meinem Roman waren. Es waren Gedanken, die wohl jedem Programmierer irgendwann einmal durch den Kopf gehen: Kann ich ein Programm schreiben, das unser Universum berechnet? Wird unser Universum von einem Programm berechnet? Jürgen Schmidhuber hat hierzu in seiner 1997 erschienenen Arbeit A Computer Scientist‘s View of Life, the Universe, and Everything den theoretischen Hintergrund beleuchtet. Das Fehlerchen hat also definitiv seine Wurzeln in meiner Eigenschaft als Programmierer. Hier spielt aber nicht nur die philosophische Sicht eine Rolle, sondern auch auch der ganz gewöhnliche Alltag eines Programmierers, der häufig darin besteht, winzig kleine Fehlerchen, einen unerklärlichen Bufferoverflow etwa, mit dem Debugger aufzuspüren.

In dem Roman wurde gerade für die Strecke Berlin – Hamburg der Teletransport erfunden. Hast du dir manchmal gewünscht, mit so einem Transporter in Sekundenschnelle an einen anderen Ort zu gelangen?

    Natürlich. Ganz oft. Ständig. Eigentlich immer. Zum Beispiel, wenn ich eine längere Reise vor mir habe. Oder wenn ich nachts auf den Bus warte und nach Hause will. Allerdings sollte dieser Teletransporter dann nach einem anderen Prinzip funktionieren als der von der Schliemanz-Koch AG.

Das kann ich mir denken! Die Sache mit dem Einstampfen wäre mir auch nicht geheuer!

Gleich zu Beginn des Buches stellt sich Doktor Festus vor und führt dem Leser Illusionen vor Augen. Es zeigt, wie leicht wir alle beeinflussbar sind und was unsere Vorstellungskraft vermag. Das Fernsehen versetzt den Zuschauer ja auch in eine andere Welt, in die er regelrecht hinabtauchen kann. Welche Gefahren siehst du in dem heutigen Fernsehkonsum?

    Heutzutage sind in den meisten Haushalten Flachbildfernseher vorhanden, die im Gegensatz zu den früher verwendeten Kathodenstrahlröhrenfernsehern völlig strahlungsfrei sind. Aus dieser Sicht ist der heutige Fernsehkonsum wohl weniger gefährlich. Auf der anderen Seite hat sich die Qualität der Fernsehsendungen erheblich verschlechtert, sodass ich mir vorstellen kann, dass der Konsum von Sendungen wie Bauer sucht Frau, Frauentausch und wie sie alle heißen, das selbe beim Zuschauer bewirken wie die Röntgenstrahlung der früheren Kathodenstrahlröhren.

Nur mit dem kleinen Unterschied, dass sich früher die schädlichen Auswirkungen der Röntgenstrahlen erst nach Jahren gezeigt haben. Die Folgen einer ausgestrahlten Sendung, die eigentlich niemand braucht, zeigen sich aber unmittelbar in dem Wunsch oder fast schon Zwang, die nächste Sendung nicht zu verpassen. Menschen sind ja so leicht manipulierbar, besonders da, wo ihre Wünsche und Sehnsüchte keine Erfüllung finden. Anselm landete bei einem Transfer auf einer Trauminsel. Was gehört für dich zum Glücklichsein dazu?

    Ich denke, am Einfachsten sind die Menschen mit Geld manipulierbar. Mit einer ausreichenden Menge Geld kann man sich auch eine Trauminsel kaufen. Damit ist klar, was zum Glücklichsein dazugehört.

Die Frage ist, wie lange der Mensch auf seiner Trauminsel glücklich ist. Er will ja meistens das haben, was er nicht hat. Ihm würde immer etwas Neues einfallen und so rennen die meisten Menschen ihr Leben lang ihrem Glück hinterher.
Mit Das Fehlerchen hast du sicher nicht nur den Anspruch, den Leser gut zu unterhalten und ihn zum Lachen zu bringen. Was natürlich außer Frage steht. Denn die gelungene Parodie, bei der sich drei Herren hinter verschlossenen Türen zurück ziehen und darüber diskutieren, ob Flugzeuge überhaupt fliegen können, erinnert doch sehr an die Unterhaltungen von Loriot.

    O-O O-O O O-O O-O Pfpfpf.

Du beteiligst dich momentan an einem Experiment, das sich mit der Lohnarbeit beschäftigt. Darf man annehmen, dass das Thema deines nächsten Buches wird?

    Sicher darf man das annehmen. Wir leben in einem freien Land. Was mein nächstes Buch betrifft, verrate ich aber nichts.

Da sieht man, dass es auch Nachteile haben kann in einem freien Land zu leben. Denn dann wüssten wir jetzt alle, was du nicht verrätst! Hast du noch Zeit, etwas für dich zu tun? Wenn du gerade nicht auf der Lesebühne stehst, an einem Buch schreibst oder an Experimenten teilnimmst? Was machst du dann? Was sind deine Ziele?

    Wenn ich nicht auf der Lesebühne stehe, an einem Buch schreibe oder an merkwürdigen Experimenten teilnehme, dann schlafe ich. Also Zeit, etwas für mich zu tun, habe ich nicht. Man kann es aber auch anders sehen: Ich tue das alles, was ich tue, für mich. Schön ist, wenn davon auch andere profitieren, indem sie sich zum Beispiel an meinen Büchern erfreuen.

Dazu fällt mir spontan der Spruch „Der Weg ist das Ziel“ ein. Schön, dass du es so siehst und damit zu einer Minderheit gehörst, die sich mit ihrer Arbeit noch identifizieren kann.
Ich danke dir vielmals für das Interview und darf dir noch viele schöne Abende mit deinen Künstlerkollegen wünschen. Und natürlich viel Erfolg!


Bildquelle: Tobias Herre
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