Radio Heimat – Frank Goosens Liebeserklärung an das Ruhrgebiet

Buchcover von Radio Heimat: Geschichten von zuhause

Omma, Oppa und die Kunst des Erinnerns

Frank Goosen macht in Radio Heimat*, seiner literarischen Hommage an das Ruhrgebiet, gleich zu Beginn deutlich: Fortan sprechen wir nur noch von Omma und Oppa. Die Omma weiß Bescheid. Gefragt nach dem Krieg, genügt ihr lapidarer Kommentar: „Wir hatten nix.“ Auch in kulinarischer Hinsicht wird schnell klar – echte Frikadellen schmecken nur bei ihr. Wie sie die macht? „Wie imma!“ Und wenn die Uromma vom Steckrübenwinter 1916/17 berichtet, bleibt einem die bittere Geschichte regelrecht im Hals stecken.

Alltag am Fenster und Duschen auf dem Pütt

Goosen ruft mit liebevollem Blick die Frauen im geblümten Hauskittel ins Gedächtnis, die sich beim „Im-Fenster-Liegen“ quer über die Fassaden unterhielten. Typisch Ruhrgebiet: Frauen und Kinder badeten nur einmal pro Woche, während die Männer täglich im Pütt duschen gingen. Der Autor erklärt den Ursprung des Maiabendfestes aus dem 14. Jahrhundert und erinnert sich an Telefonvermittlung, Osterfeiern und die Fernsehabende, wenn Ali boxte. Legendär: die Selterbude, wo es zur WAZ gleich das Kondom dazu gab – und gelegentlich auch eine Frau. Auf dem Herren-WC warteten graue Automaten mit „Amor Filigran“ – inklusive zarter Perlnoppen.

Neue Deutsche Welle und Taunus-Momente

Goosen schildert seinen ersten Schultag und wie er später mit Freunden berühmt werden wollte – inmitten der abebbenden Neuen Deutschen Welle. Als Robin Gibb Juliet wimmerte und 99 Luftballons aufstiegen, träumten sie von der eigenen Band und mehr Mädchen, als sie ertragen konnten. Harte Drogen schienen das Mittel der Wahl – zumindest in der Vorstellung. Strip-Poker, Klammerblues und eine fast-erreichte Entjungferung im Ford Taunus mit Liegesitzen – eine Jugend zwischen Aufbruch und Frustration. Skurril bleibt der Moment, als Gaby Baginski mit Deep Purple in einer Disco-Sendung auftrat.

Pommesmayo, Fußball und Strukturwandel

Radio Heimat* lebt von Klischees und Charme: Currywurstpommesmayo, Fußball und der Schrebbergarten fehlen ebenso wenig wie Frühschoppen im Hasselkuss, die A 40, die Arena auf Schalke oder das Bermuda-Dreieck in Bochum. Goosen berichtet von selbst gekeltertem Wein voller Elend und Wodka Wick-Blau, der wie Lee Harvey Oswald für JFK eine böse Überraschung war. Doch auch ernste Themen fehlen nicht: Der Strukturwandel, der das Ruhrgebiet erschüttert. Wo einst in Oberhausen 120.000 Menschen im Stahl arbeiteten, sind heute die Hallen leer. Gelsenkirchen muss Kredite aufnehmen, um den Soli zahlen zu können.

Fazit: Erinnerungen zwischen Humor und Melancholie

Frank Goosen weckt mit Radio Heimat* Erinnerungen, die Ruhrgebietler:innen zum Schmunzeln und zur Wehmut bringen. Doch auch „Ausländer“, wie er liebevoll sagt, sind eingeladen, das Revier neu kennenzulernen – mit Humor, Herzlichkeit und grünem Blick. Denn ja, es gibt dort sogar echte Bäume!

Radio Heimat von Frank Goosen

Buchcover von Radio Heimat: Geschichten von zuhause
Eichborn Verlag 2010
Gebundene Ausgabe
168 Seiten
ISBN 978-3-821-86072-5

Bildquelle: Eichborn Verlag

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