Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände von Sabine Trinkaus

Henriette - Ärztin gegen alle WiderständeSabine Trinkaus zeichnet in ihrem Roman Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände* das Leben der ersten, in Deutschland niedergelassenen Zahnärztin Henriette Therese Margaretha Hirschfeld-Tiburtius nach. Im Gegensatz zu ihrer Freundin Friederike sieht Henriette schon frühzeitig ihre Bestimmung nicht darin, einen Ehemann und Kinder zu versorgen. Heimlich lernt sie bei ihrem Bruder Latein, das Mädchen verwehrt wird. Als sie ihren Eltern endlich die Erlaubnis zum Dienst im Lazarett abringen kann, ist sie über eine Absage aufgrund ihres zu geringen Alters enttäuscht. Verständnis bringt ihr lediglich ihre jüngere Schwester Emilie entgegen.

Nach nur vier Monaten platzt ihr Traum, die höhere Töchterschule in Hamburg weiterhin besuchen zu können, aufgrund eines familiären Ereignisses. Doch für die Neunzehnjährige kommt es noch schlimmer: Sie muss sich in die Ehe mit dem Gutsbesitzer Christian Conrad Hirschfeld fügen, der, dem Alkohol verfallen, nach wenigen Jahren den Hof herunterwirtschaftet. Henriette flüchtet zunächst zu ihrer Schwester Emilie, woraufhin ihr Ehemann die Scheidung einreicht. Um ihrer glücklich verheirateten und inzwischen Mutter gewordenen Freundin Friederike nicht länger zur Last zu fallen, bewirbt sich Henriette als Gesellschafterin.

Zufällig trifft Henriette auf den verständnisvollen Arzt Karl Tiburtius, um den sie sich während seines Einsatzes an der Front sorgt. Noch bevor sie sich mit der „Gnädigsten“, die sie zu unterhalten hat, überwirft, kann deren Mann der seit ihrer Kindheit an Zahngeschwüren Leidenden einen in Amerika studierten Zahnarzt empfehlen. Nachdem Henriette von Elizabeth Blackwell, der ersten amerikanischen Ärztin, gehört hat und ihr von allen Seiten zum Studium in Amerika geraten wird, bucht sie eine Schiffspassage nach Philadelphia, wobei sie auf finanzielle Unterstützung angewiesen ist.

Doch auch in Amerika wird es Henriette nicht leicht gemacht und es kostet sie viel Überredungskunst und Überzeugungsarbeit, endlich zum Studium zugelassen zu werden. Nach zwei Jahren kann sie als erste Frau einen Abschluss am Dental College vorweisen. Zurück in Deutschland führt sie ihren Kampf weiter, bis sie eine eigene Praxis für Frauen und Kinder eröffnen darf und ehelicht ihren langjährigen Verlobten Karl Tiburtius. Ihr medizinisches Können kann sie an der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm beweisen, während Kronprinzessin Victoria und ihre Töchter sowie der spätere Kaiser Friedrich III ihr vollends zum Durchbruch verhelfen. Selbst, als Henriette mit über vierzig Jahren noch ein zweites Kind zur Welt bringt, praktiziert sie, für die damalige Zeit völlig unüblich, mit Hilfe einer zweiten Zahnärztin, einer Kinderfrau und ihres sie unterstützenden Ehemanns weiter.

Sabine Trinkaus führt ihre Leser immer wieder ins Jahr 1911, in dem die gealterte und sehr schwächliche Henriette von ihrer Schwägerin Franziska liebevoll gepflegt wird, die übrigens eine der ersten deutschen Ärztinnen mit eigener Praxis war. Henriettes Erinnerungen an die Stationen ihres Lebens werden von der Autorin in Kapiteln mit Jahreszahl und Wohnorten wiedergegeben. In Anmerkungen nimmt sie am Ende Stellung zu kleinen Veränderungen des ansonsten aber auf historischen Fakten beruhenden Werkes, die sie aus dramaturgischen Gründen vorgenommen hat. Karl Wilhelm Christian Tiburtius wird von der Autorin als liebevoller und verständnisvoller Ehemann sowie „eifriger Verfechter der Gleichberechtigung“ geschildert.

Der Plot ist in einer Zeit angesiedelt, in der die Rolle der Frau auf die Versorgung eines Ehemannes und Mutterschaft reduziert war. Mädchen war der Zugang zu Realschule, Gymnasium und natürlich einer Universität versagt, so dass ihnen kaum etwas anderes als die Ehe übrig blieb, um versorgt zu sein. Ein noch härteres Schicksal traf jedoch, wie Sabine Trinkaus deutlich gemacht hat, geschändete Frauen, die mit einem unehelichen Kind keine Zukunft hatten. Auch wenn einige Frauen schon von einem Wahlrecht träumten, so mussten sie noch bis Januar 1919 warten. Mit einem äußerst realitätsnahen Schreibstil wie beispielsweise dem Einlaufen des Dampfers in den Hafen, der zuvor einen Lotsen an Bord aufnahm, ist der Autorin mit Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände* ein sowohl spannender, wie auch informativer Roman gelungen.

Henriette – Ärztin gegen alle Widerstände von Sabine Trinkaus

Henriette - Ärztin gegen alle Widerstände
Gmeiner Verlag 2024
Taschenbuch
448 Seiten
ISBN 978-3-8392-0699-7

Bildquelle: Gmeiner Verlag


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