Mabelle entdeckt ihre neue Umgebung
Die Protagonistin Mabelle ist erst kürzlich in ein abgelegenes Haus außerhalb der Stadt gezogen. In den farbintensiven Illustrationen von Matías Acosta erscheint das alleinstehende Gebäude eingebettet in eine hügelige Landschaft. Mit dem Fahrrad erkundet das Mädchen neugierig die Umgebung, fährt auf einem Waldweg entlang, wo im Vordergrund kleine Blümchen blühen.
Besonders gerne besucht Mabelle eine Wiese mit wilden Ringelblumen. Sie kniet vor den goldgelben Pflanzen nieder, betrachtet sie aufmerksam und flüstert ihnen geheimnisvoll etwas zu. Auf dem Heimweg transportiert sie stolz einen Strauß der Blumen im Fahrradkorb.
Ein Rätsel am Morgen: Wo sind die Ringelblumen geblieben?
Eines Morgens kehrt Mabelle zu der Wiese zurück – doch die Ringelblumen sind spurlos verschwunden. Die einst farbenfrohe Fläche ist jetzt kahl und braun. Neben ihrem abgestellten Fahrrad sucht das Mädchen die Umgebung sorgfältig ab: am Bach, unter Bäumen – ohne Erfolg. Über dem Horizont steigen dunkle Wolken auf, was die Szene mit einer stillen Spannung auflädt.
Dann, endlich, hinter einem Felsen auf einem Hügel: einige wenige Ringelblumen. Auf der nächsten Doppelseite dominieren sie die Illustration, während Mabelle mit großem, staunendem Blick beobachtet, wie sich die Blumen im Wind wiegen.
Rückweg mit leerem Korb – und voller Erkenntnis
Auf dem Rückweg fährt das Mädchen quer über einen Wiesenabhang. Dieses Mal transportiert sie keine Blumen, doch in ihrem Inneren trägt sie ein tiefes Wissen: Die Ringelblumen tanzen noch immer auf dem Hügel, verborgen vor den Augen der Welt.
Am Ende zeigen die letzten Seiten des Buches einen Ameisenbären, einen Hasen und einen Dachs unter dem nachtblauen Himmel – sowie das verlassene Haus in weiter Flur im sanften Mondlicht.
Ein Bilderbuch voller Deutungsspielraum
Das Kinderbuch Mabelle* eignet sich für Kinder ab fünf Jahren. Das Alter der Protagonistin bleibt unklar, doch anhand der Illustrationen – etwa beim aufrechten Radfahren – lässt sich vermuten, dass sie circa acht bis zehn Jahre alt ist. Unbeantwortet bleibt auch, mit wem Mabelle im abgelegenen Haus lebt und warum sie so abgeschieden wohnt, ohne andere Kinder zu treffen.
Herkunft, Symbolik und offene Fragen
Auch über die geografische Lage schweigt sich der Autor aus. Es liegt jedoch nahe, dass sich das Geschehen in Uruguay abspielt, dem Herkunftsland von Matías Acosta. Welche Geheimnisse Mabelle den Ringelblumen anvertraut hat, bleibt ebenso unerklärt wie das Verschwinden der Blumen. Und warum einmal dunkle Wolken aufsteigen, ohne dass daraus eine erkennbare Handlung entsteht, ist ein weiteres Rätsel des Werks.
Das aus dem Spanischen von Jochen Weber übersetzte Kinderbuch enthält nur wenige Zeilen Text. Welche Botschaft Acosta damit vermitteln möchte, bleibt am Ende offen – und regt gerade deshalb zum Nachdenken und gemeinsamen Interpretieren beim Vorlesen an.

Matías Acosta
Mabelle
Übersetzung von Jochen Weber
Baobab Books 2025
Hardcover
32 Seiten
ISBN 978-3-907277-30-0