Michaela Küpper beschreibt in ihrem Roman „Liebe und andere Heimlichkeiten“ das Schicksal von zwei Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten leben, mit anderen Familiengesetzen konfrontiert sind und dennoch mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Da ist zum einen Evelyn, die mit dem Mechaniker Friedrich verheiratet ist und die Kinder Martha und Kai-Uwe hat. Als ihr Ehemann im Jahr 1959 beruflich nach Italien fährt, klingelt es unverhofft an ihrer Tür. Ein fremder Mann, der sich ihr als Jonas Schulte vorstellt, möchte ihren Ehemann sprechen in der Hoffnung, dass dieser ihm eine Arbeit in seiner Reparaturwerkstatt anbietet.
Nach kurzem Zögern stellt sie ihn selbst ein, denn obwohl Friedrich jeden Tag von früh bis spät abends arbeitet, bleibt immer etwas liegen. Eine Unterstützung könnte ihrer Meinung nach hilfreich sein. Auch, wenn sich Evelyn das anfangs nicht eingesteht, übt Jonas auf sie eine besondere Anziehungskraft aus. Evelyn, die sich schon lange von ihrem Ehemann vernachlässigt fühlt, wird die Geliebte von Jonas. Erst, als Friedrich ungeplant aus Turin zurückkommt, sind die unbeschwerten Tage vorbei. Kurz darauf erleidet er einen schrecklichen Unfall und muss lange ins Krankenhaus.
Im Jahr 2022 ist Kai-Uwe mit Kerstin verheiratet und ihre erwachsene Tochter Jule bereits außer Haus. Eines Tages klingelt es an ihrer Haustür und ein fremder Mann, der sich ihr als Alexander Hild vorstellt, behauptet, ein Cousin ihres Ehemannes zu sein. Da dieser nicht zu Hause ist, lädt Kerstin den Fremden für Sonntag ein. Kai-Uwe reagiert darauf ungehalten. Er kenne diesen „Kerl“ nicht und überhaupt wäre er für Sonntag mit seinem Freund Buzz verabredet.
Unsicher verbringt Kerstin den Sonntag alleine mit Alexander, und auf die Frage ihres Mannes am Abend, ob denn der Fremde gekommen wäre, verneint sie das in der Gewissheit, damit keine unnötigen Verletzungen riskiert zu haben. Als Kai-Uwe mit Buzz zu der jährlich stattfindenden Motorradtour aufbricht und Kersten sich mit Alexander in einem Café trifft, kommt das zufällig Jule zu Ohren, die ihrer Mutter deshalb eine Szene macht. Kerstin ist klar, dass sie vorsichtiger sein muss. Sie genießt die Stunden mit ihrem Liebhaber, der sich im Gegensatz zu ihrem Ehemann Zeit für sie nimmt. Aber dann kommt Kai-Uwe zurück und setzt ihr eine Frist, in der sie sich für oder gegen ihn entscheiden soll.
Im Erzählstil thematisiert die Autorin das Leben von Evelyn, die sich fragt, was aus ihrem Leben geworden ist. Ihre Erinnerungen gehen zurück zum frühen Heiratsantrag und wie Friedrich das erst Mal bei ihren Eltern zu Besuch war. Ursprünglich sollte er die elterliche Werkstatt übernehmen, doch dieser Traum zerplatzte wie die Vorstellung, eines Tages ein schickes Autohaus zu besitzen. Zunehmend fühlt sie sich einsam und erfährt von ihrem Jonas, dass ihr Ehemann ein einmaliges Angebot ausgeschlagen hat. Ihr neuer Liebhaber rät ihr, einen Führerschein zu machen, womit sie viel mehr Freiheiten hätte, Freiheiten, die sie schon lange nicht mehr kennt.
Im Gegensatz dazu erzählt Kerstin von ihren Erlebnissen in der Ich-Form. Sie wägt die Unterschiede zwischen Ehemann und Liebhaber ab, wobei sie nicht grundsätzlich stört, wenn Kai-Uwe mit seinem Freund jährlich zu einer Motorrad-Tour aufbricht, sondern vielmehr sein „stures Festhalten an Ritualen“, wovon er nicht abgeht. Sie weiß, dass sie sich immer auf ihn verlassen konnte und er ihr alle Wünsche erfüllt hat. Aber auf der anderen Seite gibt es plötzlich in ihrem Leben einen Mann, für den sie wieder Herzklopfen hat.
Michaela Küpper hat die Zerrissenheit der beiden Frauen in ihrem großartigen und zunehmend spannenderen Roman „Liebe und andere Heimlichkeiten“ bestens herausgearbeitet. Während eines Kusses weiß Kerstin nicht einmal mehr, ob sie das noch selbst ist. Und sie muss sich anhören: „Du kannst nicht alles haben im Leben, den Spaß, die Sicherheit, das reine Gewissen.“ Evelyn muss klein beigeben, wenn ihr Ehemann meint, ihre geheimsten Wünsche beständen in einem neuen Kühlschrank, eigenem Zimmer für ihre Tochter oder Sandkasten für ihren Sohn. Denn seine Sichtweise ist „die Dame wünscht sich etwas, und der gute Mann macht und tut.“ Ihm kommt gar nicht der Gedanke, dass diese Dinge nicht nur sie, sondern auch ihn betreffen. In eindringlichem Schreibstil lässt die Autorin ihre Leser, von denen einige sicher Ähnliches erlebt haben, tief in die Seele ihrer Protagonistinnen blicken.
Liebe und andere Heimlichkeiten von Michaela Küpper
Droemer Verlag 2024
Klappenbroschur
320 Seiten
ISBN 978-3-426-30905-6