Interview mit der Autorin Stefanie Philipp

Stefanie Philipp
Bildquelle: Stefanie Philipp
Stefanie Philipp wurde 1970 in Kiel geboren. Nach ihrem Abitur hat sie ein Studium der Volkswirtschaftslehre absolviert und sich zeitweise in Frankreich und der Volksrepublik China aufgehalten. Sie konnte sich über Stipendien der Konrad-Adenauer-Stifung und der Europäischen Union sowie der Heinz-Nixdorf-Stiftung freuen. Bis vor neun Jahren hat sie als Unternehmens- und Aktienanalystin gearbeitet. Seit ihrer frühesten Kindheit zählt das Schreiben zu ihren Leidenschaften und so hat sie bereits mehrere Kurzgeschichten veröffentlicht. In diesem Jahr folgte die Veröffentlichung eines ersten Romans Der Sohn der Amazone. Seit 2008 ist sie Mitglied im Literaturkreis ERA e.V. in Ratingen und außerdem greift sie mit ihren „Schauerliedern“ gerne zur Gitarre. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Söhnen in Mülheim an der Ruhr.

Hallo Frau Philipp, in Ihrem ersten Roman Der Sohn der Amazone haben Sie das Leben der Amazonen geschildert. Im Nachwort „Die Wahrheit über die Steppen-Amazonen“ empfehlen Sie zur Vertiefung das Buch „Amazonen – Geheimnisvolle Kriegerinnen“. Haben Sie sich von diesem Werk bezüglich der von Ihnen geschilderten Sitten und Gebräuche inspirieren lassen?

    Dieses Buch habe ich leider erst in die Hände bekommen, als ich meinen Roman schon zum Großteil abgeschlossen hatte. Ich halte es für eine wunderbare Zusammenfassung verschiedener Quellen, durch die ich mich mühsam durchkämpfen musste. Allerdings beschäftigt es sich vor allem mit archäologischen Funden. Aussagen über das Zusammenleben der Menschen werden dort nicht getroffen, weil es dazu kaum Belege gibt.
    Um es klar zu sagen: Es gibt keine archäologischen Belege für ein Volk, wie es im griechischen Amazonen-Mythos oder in meinem Roman beschrieben wird. Vielleicht wird es die auch nie geben, weil der wesentliche Unterschied zu den gemischten Völkern im Denken und Zusammenleben gelegen hätte – nicht in Grabbeigaben. Aus Grabfunden weiß man allerdings, dass es bei den Skythen Frauen gegeben hat, die zu Pferd kämpften und also unserem Bild der Amazone sehr nahe kommen. Auch gab es immer wieder an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten kämpferische Frauenbünde (z.B. die Amazonen von Dahomey, Afrika).

Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann bezieht sich die Sachkultur, die Sie beschreiben, auf die skythische Kultur zwischen 800-500 v. Chr. Wovon haben Sie sich leiten lassen, als Sie über Traditionen und Bräuche, z.B. die Sexualität der Frauen, geschrieben haben?

    Die Herausforderung für jeden Amazonen-Mythos ist die Tatsache, dass selbst die wildeste Kriegerin mit einem Mann zusammenkommen muss, um schwanger zu werden. In den griechischen Amazonen-Mythen gibt es dazu zwei Vorstellungen:
    1. Die Amazonen treffen sich mit befreundeten Nachbarvölkern zum trauten Stelldichein. Söhne werden den Erzeugern übergeben.
    2. Die Amazonen paaren sich mit Kriegsgefangenen, die sie danach töten. Söhne werden getötet oder verkrüppelt, um als Arbeitssklaven zu dienen.
    Die erste Methode erscheint mir zu sanft, denn Liebesbeziehungen zwischen Männern und Frauen würden langfristig zu einer kulturellen Vermischung der Völker und also der Auflösung des reinen Frauenvolkes führen.
    Die zweite Methode wird im Roman von Padidehs Gruppe praktiziert: Der Mann wird unter Drogen gesetzt, damit er willig und ungefährlich ist. Danach wird er getötet. Diese Methode ist für mein Verständnis so brutal, dass sie die Moral der Gruppe langfristig zersetzen würde.
    Für die „Segnung“ in meinem Roman habe ich nach einer Zeremonie gesucht, bei der die jungen Frauen schwanger werden konnten ohne „Gefahr“, sich in einen Mann zu verlieben. Durch eine vorgezogene Defloration im Rahmen der Sippe wird das Mädchen körperlich und geistig auf den Beischlaf vorbereitet. Der Versuch, Sexualität zu kontrollieren und sie ausschließlich in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen, war und wird von zahlreichen Kulturen weltweit praktiziert (z.B. männliche und weibliche Genitalbeschneidung, verschiedene Initiationsriten afrikanischer und australischer Völker).

Wie ich feststelle, haben Sie sich ausgiebig mit diesem Thema befasst. Außerdem scheinen Sie mental fast schon in eine dieser Amazonen-Figuren hineingeschlüpft zu sein.
Aber noch einmal eine Frage zum Inhalt: Als Raván ihr Neugeborenes betrachtet, sieht sie die hellen Augen, die sie verständnislos anstarren. Weiter schreiben Sie aber von Schatten und dass es dunkel war.

    Grundsätzlich kann ich Ihren Einwand nachvollziehen. Für mich ist der Grad der Dunkelheit in diesem Fall subjektiv. Solange Raván noch glaubt, das Kind sei ein Mädchen, kann sie klar sehen. Sobald ihr aber Zweifel kommen, verdunkelte sich ihre Welt und sie kann nichts mehr erkennen.

Aha, so habe ich das gar nicht gesehen. Die dunkle Welt quasi als Versinnlichung. Vielleicht können Sie mir auch erklären, wie es Raván möglich war, die Nabelschnur mir ihrem Messer zu durchtrennen. Denn die Nachgeburt war noch nicht geboren und da ihr keine Klemmen bzw. Bindfäden zum Abbinden zur Verfügung standen, ist sie damit ein großes Risiko eingegangen.

    Vielen Dank für Ihren klugen Hinweis. Hier haben Sie mich wohl bei einer Ungenauigkeit ertappt. Ich habe zwar mein zweites Kind extra natürlich entbunden, um Raváns Geburtserlebnis besser beschreiben zu können, aber zugegebener Maßen lag ich in einem modernen Kreissaal mit Klemmen u. ä.

Wenn auch sicher nicht alles zu begrüßen ist, was heute in unseren Kreissälen passiert, so würde sich doch wahrscheinlich keine Frau wünschen, so wie Raván zu entbinden: Ohne jegliche Hilfe und Unterstützung.

    Dazu muss ich sagen, dass die Geburt meines zweiten Sohnes furchtbar war. Wäre ich an Raváns Stelle gewesen, so wäre ich elend verblutet. Da habe ich wirklich für die Kunst gelitten. Und wenn ich jetzt erkennen muss, dass ich trotzdem Raváns Entbindung nicht richtig beschrieben habe, könnte ich mir die Haare raufen.

Na ja, so eng darf man das nicht sehen. Sie haben ja einen Roman und kein Sachbuch geschrieben. Unsere Leser und mich interessiert viel mehr, wie Sie das Schlachten eines Hammels so genau beschreiben konnten. Ein kurzer Schnitt im oberen Bauch genügte, um die große Ader am Herzen zu durchtrennen. Haben Sie das selbst schon gesehen?

    Durch den Schnitt im oberen Bauch schiebt der Hirte seine Hand in den Bauchraum des Tieres hinein, ertastet das schlagende Herz und durchtrennt mit den Fingern die Hauptader, so dass das Tier innerlich verblutet. Ich habe mich bei dieser Schilderung auf den wunderbaren Reisebericht von Carmen Rohrbach „Mongolei – Zu Pferd durch das Land der Winde“ verlassen. Dem Kontakt zu Frau Rohrbach verdanke ich auch einige Hinweise zum Thema Kindererziehung in Nomadengesellschaften.

Dass Sie in vielem auf Ihre Fantasie zurückgreifen mussten, haben Sie schon erklärt. Was mich jedoch verwundert hat, dass Sie den Frauen die Berechnung ihrer fruchtbaren Tage zugetraut haben. Natürlich wollten Frauen seit jeher eine Schwangerschaft verhüten und haben das mit in Säure eingelegten Gräsern oder in Honig gelöstem Krokodilsdung bewerkstelligt. Um Fehlgeburten auszulösen, griffen sie zu giftigen Substanzen oder haben die Fruchtblase durchstoßen. Aber meines Wissens haben erst die Gynäkologen Knaus und Ogino ihre Berechnungsmethode der fruchtbaren Tage 1929 der Öffentlichkeit vorgestellt. Haben Sie irgendwo Belege dafür gefunden, dass schon in früherer Zeit Kenntnisse darüber bestanden?

    Nein. Für die Amazonen in meinem Buch ist es allerdings überlebenswichtig, die fruchtbaren Tage exakt vorherzusagen, denn sie haben nicht regelmäßig Geschlechtsverkehr, sondern nur während 1-2 Tagen im Jahr, während der „Segnung“. Ich bin mir sicher, dass jedes Volk, dessen Fortbestand von solchem Wissen abhängt, durch genaue Natur-Beobachtung eben dieses Wissen herausgefunden hätte. Schließlich wussten unsere Bauern auch schon vor Einführung der Wettersatelliten, die Wetterlage zu deuten.

Die alten Kulturen waren sicher nicht dumm und haben Erstaunliches geleistet. Aber ich weiß nicht, ob hier allein eine Beobachtungsgabe ausreicht.
Was Ihre Kenntnisse übers Bergwandern betrifft, dürften Sie die auch nicht allein durch Beobachtung gemacht haben. Dass die Luft weiter oben immer dünner wird, ist allgemein bekannt. Aber Sie beschreiben etwas, dass nur die wenigsten wissen, wenn sie es nicht selbst schon praktiziert haben: Beim Überqueren eines Passes hat eine Gruppe Frauen feststellen müssen, dass der Abstieg viel schwieriger ist als der Aufstieg. Unerfahrene würden eher das Gegenteil vermuten.

    Die wenigen Male, da ich mich als Kieler Sprotte in die Berge wagte, kam ich stets beim Abstieg ins Rutschen und Schlittern, meine Gelenke krachten und ich hörte von allen Seiten: „Ja, ja, runter ist halt viel schwieriger als rauf.“

Auf Ihrer Homepage steht, dass Sie Ihren beiden Söhnen gerne beim Fußball zujubeln. In dem Roman wird der Sohn von Raván zunächst wie ein Mädchen erzogen. Trotzdem stellen alle fest, dass er besonders mutig ist. Glauben Sie, selbst Mutter von Söhnen, dass einem Jungen mehr Mut in die Wiege gelegt wird als einem Mädchen?

    Ganz klar Nein. In meinem Roman ist die mutigste Figur Raván, die Mutter, die bis zum Äußersten geht, um ihr Kind zu retten. Für mich ist ihr Sohn Arsalan auch eher aggressiv als mutig. Die weibliche Figur der Padideh ist genauso aggressiv, doch als Frau unter Frauen eckt sie damit an, während Arsalan später bei den Männern für diese Eigenschaft gelobt wird. Die Frage, ob Aggression typisch männlich ist, ist schwierig zu beantworten, weil wir alle geschlechtsspezifisch sozialisiert werden. Diverse Management-Theorien und pädagogische Konzepte reiten auf dem Geschlechter-Unterschied herum. Mir selbst hat es nie geholfen, Menschen in Geschlechter-Schubladen zu stecken. Beispielsweise ist mein „wilder“ Sohn auch gleichzeitig der anhänglichere von beiden.

Sicherlich werden Sie ein weiteres Buch planen. Verraten Sie unseren Lesern, ob es sich dabei wieder um einen historischen Roman handeln wird?

    Ja, mein nächster Roman wird wieder historisch sein und ein großes Frauenthema beinhalten. Auch hier geht es um Menschen, die unter ihren eigenen Vorurteilen leiden. Das ist wohl das zentrale Thema aller meiner Geschichten.

Ich danke Ihnen für das Interview und wünsche Ihnen viel Erfolg mit Ihrem Roman!

Der Sohn der Amazone von Stefanie Philipp

Der Sohn der Amazone
CreateSpace 2012
Broschur
370 Seiten
ISBN 978-1-477-61216-3

Bildquelle: Stefanie Philipp
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