Interview mit dem Autor Andreas Gruber

Andreas Gruber
Foto © Fotowerk Aichner
Andreas Gruber wurde 1968 in Wien geboren und nach einem Wirtschaftsstudium lebt er heute mit seiner Frau in Niederösterreich. Seit über zwanzig Jahren schreibt er Kurzgeschichten sowie Erzählungen und Romane, die zum Teil in mehrere Sprachen übersetzt wurden und für die er bereits einige Auszeichnungen bekommen hat. Für Krimifans hat er bereits die Reihen um den Ermittler Maarten S. Sneijder sowie Walter Pulaski verfasst, zu denen sich jüngst eine weitere Reihe um Peter Hogart gesellt.

Grüß dich, Andreas! Deine beiden Thriller um den Ermittler Peter Hogart sind äußerst spannend und wecken das Interesse des Lesers von den ersten Seiten an. Trotzdem kann man sie bedenkenlos auch jedem empfehlen, der nicht so starke Nerven hat, weil du zwar davon schreibst, dass die Opfer beispielsweise bei lebendigem Leib geköpft werden, doch nicht in der Form, dass sich der Leser in deren Rolle hineinversetzt fühlt, was empfindlichen Gemütern durchaus auf den Magen schlagen könnte. Wie schaffst du das?

    Es ist wie ein Thriller im Kino, bei dem die Kamera auf das Geschehen zufährt, aber wenn dann das Beil herunterfällt, schwenkt die Kamera weg. Man hört den Sound, sieht aber nicht was passiert. Man sieht nur noch das Resultat, und was dazwischen geschehen ist, muss sich das Hirn zusammenreimen. Die harten Szenen in meinen Thrillern funktionieren ähnlich. Die Leser müssen sich die „ausgeblendeten Szenen“ dazu denken bzw. die eigene Vorstellung übernimmt die Funktion, dass das letzte Puzzleteil ins Gesamtbild eingesetzt wird. Das mache ich aber nicht deshalb, um die Leser zu schonen, sondern weil die eigene Fantasie und Vorstellungskraft viel intensiver funktioniert als die detaillierteste Beschreibung.
    Der Haufen mit den Leichenteilen im Keller im Showdown von Die schwarze Dame ist so ein Beispiel.
    Wenn also jemand behauptet, meine Thriller wären blutrünstig, dann verfügen diese Menschen einfach nur über eine beneidenswert gut ausgeprägte Fantasie
    🙂

Da sagst du etwas ganz Entscheidendes, nämlich dass die eigene Fantasie und Vorstellungskraft das Geschriebene noch zu übertreffen vermag.
Schauplatz des ersten Falls Die schwarze Dame war die Stadt Prag, die du sogar vorher bereist hast, um einen realen Eindruck von den Örtlichkeiten und dem Menschenschlag zu bekommen. Bei der Fortsetzung in dem Thriller Die Engelsmühle hast du deine Geburtsstadt Wien gewählt. Wird Peter Hogart in weiteren Fällen auch immer in einem Ort ermitteln, den du zuvor „unter die Lupe“ genommen hast?

    In meiner Schublade liegt schon seit vielen Jahren ein ausgearbeitetes Exposé für einen dritten Fall. Ich würde diesen Roman gern schreiben, warte da aber noch auf den passenden Buchvertrag. Und ja, Peter Hogart bereist in dieser (möglichen) Fortsetzung wieder eine andere Stadt, weil ihn ein Fall dorthin führt. Das ist das verbindende Element dieser Serie.

Dann will ich für deine Fans hoffen, dass es dir gelingt, einen – wie du es nennst – passenden Buchvertrag zu bekommen. In beiden Romanen hast du nicht nur eine Menge Lokalkolorit in den Plot einfließen lassen, sondern auch weitere Hintergründe. Ob es sich um mittelalterliche Seuchen in Wien handelt oder um die 68er Studentenrevolte in Prag, auch wenn die nur eine kurze Erwähnung fand. Gehört die Schilderung historischer Ereignisse für dich zwingend dazu? Ist das Teil deines Erfolgsrezeptes, weil der Leser sich so besser mit den Örtlichkeiten identifizieren kann?

    Von Erfolgsrezept würde ich da nicht sprechen, es ist einfach so, dass die Stadt Prag ein Bestandteil des Thrillers Die schwarze Dame ist, vielleicht sogar der Protagonist im Hintergrund, der wie ein Schatten über dem Buch liegt. Ebenso die Stadt Wien in Die Engelsmühle. Diese Städte mit ihren Mythen und Legenden sind untrennbar mit der Handlung verbunden. Die Story würde nur in dieser Stadt so funktionieren – die Story ist für diese Stadt geschrieben worden. Stichwort: Der Golem in Prag, dessen Motive im Buch immer wieder vorkommen – und die historischen Seuchen und Krankheiten in Wien, auf die immer wieder Bezug genommen wird.

Du schreibst dann quasi einen Plot passend für eine Stadt, ähnlich einem Musikstück, das für einen ganz bestimmten Sänger komponiert wurde. Wie sieht es mit den Personen aus? Mit charakteristischen Merkmalen hast du nicht nur Detektiv Peter Hogart ausgestattet, sondern auch weitere Handlungspersonen, wodurch natürlich alle authentischer wirken. Gibt es für deine Protagonisten reale Vorbilder?

    Als ich 1996 und 1997 meine ersten Kurzgeschichten geschrieben habe, hab ich das versucht, doch es hat nicht funktioniert. Eine Figur, die zu stark an eine reale Person angelehnt ist, würde sich nicht so verhalten, wie sie sich im Roman verhalten müsste, sondern würde immer wieder ausbrechen und so agieren, wie die echte Person. Das ist für eine fiktive Handlung unbrauchbar, störend und kontraproduktiv. Daher werden all meine Figuren – sowohl in Kurzgeschichten als auch in Romanen – eigens für die Story erfunden. Das heißt, Aussehen, Kleidung, Sprache, Charakter, Interessen, Ausbildung, Ticks und Macken und der Name der Figur, alles muss zusammen und zur Handlung passen.

In Hogarts erstem Fall hat er mit einer Detektivin in Prag zusammengearbeitet. In seinem zweiten Fall hat ihn zumindest Tatjana, die Tochter seines Bruders, unterstützt, die ihrem Onkel nacheifert. Mir persönlich ist zumindest nichts Vergleichbares bei anderen Kriminalgeschichten bekannt und es ergibt durchaus eine interessante und reizvolle Kombination. Wirst du in dieser Reihe diesen einmal eingeschlagenen Kurs beibehalten?

    Ja, im angedachten dritten Teil erhält Hogart Unterstützung von der erwachsenen Tochter eines der Mordopfer. Wichtig ist mir, dass sein Pendent immer weiblich ist und ihm auf Augenhöhe begegnet. Das bringt Abwechslung in die Reihe.

Da hast du ja gleich ein interessantes Detail für die Fortsetzung verraten, auf die sicher viele gespannt sind.
Kommen wir mal zu etwas Privatem: In der Biographie deines Storybandes „Northern Gothic“ ist zu lesen, dass du bis heute vergeblich auf einen Anruf der Rolling Stones wartest. Nicht erst seit meiner Besprechung des Buches Die Sonne, der Mond & die Rolling Stones bin ich ebenfalls ein Fan dieser Gruppe und unter uns gesagt, hat es mich ganz schön schwer getroffen, dass die Band im vorletzten Jahr nur einen Tag nach meiner Abreise mit meinem Mann aus Kuba ein Konzert in Havanna gegeben hat. Darf ich dich mal fragen, welchen Grund du hast, dass es dich auf einen Anruf von Mick oder wem auch immer hoffen lässt? Wissen die überhaupt davon, dass du bei jedem Klingeln aufhorchst?

    Ich fürchte, die wissen das nicht. Ich habe die Stones vor zwanzig Jahren – als sie damals schon ältere Herren waren – live in Wiener Neustadt gesehen. Ein tolles kraftstrotzendes Konzert voller Energie. Aber zurück zum Zitat. Ich spiele zwar wirklich Schlagzeug, aber das ist ein Running Gag.
    Im Storyband „Apocalypse Marseille“ steht: Gruber singt leidenschaftlich gern in Karaoke-Bars und wartet bis heute vergeblich auf einen Anruf von AC/DC.
    Im Storyband „Jakob Rubinstein“ steht: Gruber spielt leidenschaftlich gern E-Gitarre und wartet bis heute vergeblich auf einen Anruf von Metallica.
    Und in diesem Ton geht es weiter in der siebenbändigen Werkausgabe im Luzifer-Verlag.

Ach so, nur ein Running Gag. Und ich hatte schon gehofft, du könntest bei einem Anruf verlauten lassen, dass auch ich … Nein, Spaß beiseite, aber bleiben wir beim Thema. Peter Hogart mag Musik, was auch auf dich zutrifft. Immerhin spielst du leidenschaftlich Schlagzeug. Er hört, wo immer sich die Gelegenheit bietet, neben anderen John Lee Hooker und besitzt sogar signierte Plattenhüllen von Duke Ellington, Tommy Dorsey, Buddy Johnson und Pee Wee Hunt. Wäre dieser Besitz auch so ein Wunsch von dir, wie ein Anruf der Rolling Stones, oder bist du sogar stolzer Besitzer dieser signierten Plattenhüllen?

    Wie Peter Hogart, so bin auch ich ein leidenschaftlicher Sammler. Allerdings keine signierten Jazz- und Blues-LPs, sondern ich sammle Autogramme von Schriftstellern. In meiner Mappe, meiner „holy map“, befinden sich Autogramme von Dean R. Koontz, David Morrell (Rambo), Clive Barker, William Peter Blatty (Der Exorzist), Clive Cussler, Nelson DeMille, Martha Grimes, James Herbert, Joe R. Lansdale, Dennis Lehane (Shutter Island) und von den leider schon verstorbenen Robert Ludlum (Bourne Identität), Douglas Adams (Hitchhiker) und Terry Pratchett (Scheibenwelt).

Eine eher ungewöhnliche Leidenschaft. Zumindest habe ich noch nie von jemandem gehört, der Autogramme von Schriftstellern sammelt. Vom Buch zum Film: Dass du gerne ins Kino gehst, hast du auf deiner Webseite bereits verraten. Aber wie sieht es denn mit den alten Klassikern in schwarz-weiß auf original Filmrollen aus, bei denen die Bilder noch flimmern und der Ton knistert? Empfindest du das auch als etwas Besonderes in positivem Sinn? Oder was hältst du von den überarbeiteten Filmen, bei denen die Diva plötzlich in einem bunten Kleid auftaucht?

    Ich liebe die alten Schwarz-Weiß-Filme. Ich habe eine Sammlung mit allen Marx-Brothers-Filmen, den Filmen von Stan Laurel und Oliver Hardy und den alten Klassikern von Billy Wilder. Außerdem liebe ich die alten Dracula und Frankenstein Filme. Toll finde ich natürlich, wenn die alten Filme digital remastert werden, aber Kolorierungen finde ich schrecklich. Das passt meiner Meinung nicht zur Atmosphäre und dem Flair.
    Ich finde es aber auch schön, wenn neue Filme in s/w gedreht werden, wie beispielsweise „The man who wasn´t there“ von den Coen Brüdern, „Dead Man“ von Jim Jarmusch, „Frankenstein Junior“ von Mel Brooks oder „Angel-A“ von Luc Besson.
    Klasse finde ich aber auch s/w-Filme mit leichten Farbtönen wie „Sin City“.

Bis auf die so ziemlich jedem bekannten Klassikern kenne ich leider keinen der von dir genannten neueren in s/w gedrehten Filme. Ich möchte noch einmal auf die Signaturen zurückkommen, und zwar auf die Kinoplakate, die Peter Hogart von Gloria Swanson, Bette Davis und Orson Welles sein Eigentum nennt. Hält nur er sie in Händen oder du selbst?

    Nur er. Aber der Gedanke würde mich schon reizen, diese Plakate zu sammeln. Du bringst mich da gerade auf eine gute Idee …

Wenn du Glück hast, befindet sich unter unseren Lesern jemand, der noch im Besitz alter Plakate ist, von denen er sich trennen möchte. Oder oft sind es Kinder, die derlei Dinge im Nachlass der Eltern finden, mit denen sie aber gar nichts anfangen können. Die Liste möglicher Gemeinsamkeiten ließe sich fortsetzen mit den Besuchen von Flohmärkten, mit der Vorliebe, den Kaffee schwarz und ohne Zucker zu mögen und Fisch dafür in keiner Form. Gibt es auch in dieser Hinsicht Parallelen zwischen Protagonist und Autor?

    Nein. Ich bin zwar gern auf Flohmärkten, aber ich trinke meinen Kaffee mit Zimt und Milch, liebe Fisch und Meerestiere in allen Formen. Aber es macht Spaß, Figuren zu erfinden, die konträr zu mir und meinen Einstellungen sind, weil ich mich dazu gezwungen sehe, in andere Gedankenwelten einzutauchen und die Welt durch eine neue Brille zu betrachten. Ich liebe die Abwechslung.
    Eine Leserin schrieb mich unlängst an, Bezug nehmend auf meinen Thriller „Herzgrab“, ob es mein Ernst sei, dass die Musik von Andreas Gabalier schrecklich sei. Nein, das ist nicht meine Meinung, sondern nur die Meinung einer meiner Figuren, antwortete ich ihr. Wenn jemand Gefallen daran findet, Mädchen zu tätowieren und anschließend zu häuten oder lebendig einzubetonieren, heißt das nicht automatisch, dass ich das als Autor genauso gern machen würde, nur weil es eine meiner Figuren macht. Das hat die Leserin schließlich überzeugt
    🙂

Das stimmt, von der Seite habe ich das auch noch gar nicht gesehen. Noch eine letzte Frage: Warum raucht Peter Hogart ausgerechnet Stuyvesant? Wenn sich sonst eine Handlungsperson eine Zigarette anzündet, wird in der Regel keine Marke genannt. Als ich las, dass er sich eine Stuyvesant anzündet, kam mir spontan der aus meiner Kindheit bekannte Slogan „Der Duft der großen weiten Welt“ aus der Fernsehwerbung in den Sinn.

    Richtig, in anderen Fällen vermeide ich Product-Placement, weil ich es der Vorstellungskraft der Leser überlasse, sich die Details dazu zu denken. Aber der klassische Begriff „Stuyvesant“ passt zu Hogart, der ja in einer längst vergangenen Welt lebt, darum habe ich das verwendet.

Eine klare Antwort. So einfach ist das. Ich habe dir für deine Antworten zu danken und wünsche dir weiterhin viel Erfolg!

    Vielen Dank.

Die schwarze Dame von Andreas Gruber

Die schwarze Dame
Goldmann Verlag 2017
Taschenbuch
384 Seiten
ISBN 978-3-442-48026-5

Bildquelle: Goldmann Verlag
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