Romananalyse: Was das Meer nicht will von Daniela Gerlach

Zwischen familiären Zwängen und innerer Zerrissenheit

Buchcover des Romans Was das Meer nicht will

Jährliche Rituale und familiäre Spannungen

Die namenlose Protagonistin des Romans Was das Meer nicht will* ist seit zwanzig Jahren mit dem Übersetzer Georg Brauckmann verheiratet. Gemeinsam besuchen sie jedes Jahr zu Weihnachten ihre allein lebende Mutter Erika, die großen Wert auf die Beibehaltung von Traditionen legt. Diese macht ihrer Tochter regelmäßig ein schlechtes Gewissen – wegen seltener Besuche und geplanter früher Abreise vor dem Jahreswechsel.

Im Sommer verbringen Georg und seine Frau regelmäßig drei bis vier Wochen im eigenen Appartement in Spanien. Für zwei dieser Wochen reist auch Erika an und wohnt im Gästezimmer. Doch die räumliche Nähe bringt Spannungen mit sich, und die Protagonistin fühlt sich zunehmend eingeengt. Georg behandelt sie belehrend und erinnert sie an ihren gemeinsamen Leistungskurs in der Schulzeit. Er ist pedantisch, überbesorgt und kritisiert sie oft, etwa bei kleinen Vergesslichkeiten.

Kontrolle, Konflikte und ein unerwarteter Besucher

Da Georg selbst kein guter Schwimmer ist, bevorzugt er das Schnorcheln und überredet seine Frau ebenfalls dazu. Sogar den Kauf eines motorbetriebenen Schlauchbootes setzt er gegen ihren Willen durch. Auch Erika zeigt sich wenig begeistert und bringt ihre Ablehnung deutlich zum Ausdruck – sie bevorzugt das Baden an einem Kiesstrand.

An einem Abend beim gemeinsamen Grillen platzt der ungepflegt wirkende Nachbar Karl, mit dem die Protagonistin eine Affäre verbindet, unangekündigt in die Runde. Mit seiner vulgären Sprache sorgt er für erhebliche Unruhe.

Stilistische Besonderheiten des Romans

Ungewöhnlich für einen Roman ist die Entscheidung, die Hauptfigur nicht namentlich zu nennen. Zwar erfährt der Leser, dass die Handlung am Meer in Spanien spielt, der genaue Ort bleibt jedoch offen – unklar, ob sich das Appartement auf dem Festland oder einer Insel befindet.

Das erste Kapitel deutet ein zukünftiges Ereignis an, das zunächst verwirrend erscheint, aber bereits eine entscheidende Wendung im Leben der Protagonistin ankündigt. Die Autorin Daniela Gerlach erzählt aus verschiedenen Perspektiven: Die Ich-Erzählerin berichtet im Präsens, während andere Passagen aus distanzierter Sicht im Präteritum geschildert werden.

Einblicke in emotionale Abgründe

Viele Leser werden sich in den Verhaltensweisen von Mutter Erika wiedererkennen – etwa in der Flucht in Alltagstraditionen bei vorherrschendem Schweigen. Die Atmosphäre wirkt bedrückend, besonders wenn die Protagonistin an trügerische Liebesbeweise denkt und gleichzeitig betrügt.

Sie fühlt sich zunehmend „zwischen zwei Stühlen“, vereinnahmt von ihrem Mann und ihrer Mutter. Ständig leidet sie unter dem Gefühl, entweder für ihren Mann oder für ihre Mutter zu wenig da zu sein. Gerade die knisternde Spannung im alltäglichen Erleben macht den Reiz dieses Romans aus.

Daniela Gerlach gelingt es meisterhaft, jede Regung – selbst einen flüchtigen Blick – so präzise zu beschreiben, dass der Leser das Gefühl hat, direkt am Geschehen teilzunehmen.

Fazit: Ein bewegender Roman mit Tiefgang

Am Ende überrascht die Autorin mit einer unerwartet dramatischen Wendung. Was das Meer nicht will* ist besonders für Leserinnen und Leser ab der Lebensmitte empfehlenswert, die psychologisch feinfühlige Literatur mit realistischen Alltagsbezügen schätzen.

Was das Meer nicht will von Daniela Gerlach

Buchcover des Romans Was das Meer nicht will
Stories & Friends Verlag 2015
Hardcover
280 Seiten
ISBN 978-3-942181-78-5

Bildquelle: Stories & Friends Verlag

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