Schoßgebete von Charlotte Roche

SchoßgebeteMit ihrem Debüt „Feuchtgebiete“ wirbelte Charlotte Roche gehörig die Gemüter auf. Die einen hassten und verhöhnten es, die anderen liebten und feierten Roches ekelhaft offenes Werk. Daher wurde auch der Folgeroman „Schoßgebete“ mit gemischten Gefühlen erwartet. Der Roman lehnt sich jedoch nicht gänzlich an seinen Vorgänger an. Hier steht das eheliche und mitmenschliche Zusammensein in seinen unterschiedlichsten Facetten im Mittelpunkt. Jedoch zeigt Roche erneut, dass sich auch hier jede Menge Tabus finden lassen, die man gehörig ausschlachten kann.

Und noch etwas fällt schnell auf, wenn man die ersten Seiten des Buches aufschlägt und liest: Die autobiografischen Züge zwischen dem weiblichem Hauptcharakter Elizabeth und Autorin Roche scheinen stärkere Ähnlichkeiten angenommen zu haben, als es noch beim Vorgänger der Fall war. Trotzdem wird schnell klar, dass Roche hier nicht allzu offenherzig von sich selbst spricht.

Der Roman ist insgesamt 283 Seiten lang und beginnt auch ohne große Umschweife mit einer seitenlangen und enorm explizierten Beschreibung eines oralen Abenteuers. Wer hier nun aber sofort brüskiert das Buch zuschlägt und denkt, man hätte alles gelesen, was man lesen muss, der irrt sich. Denn auch wenn es nur schwer zu glauben scheint, im weiteren Verlauf halten sich die detaillierten Beschreibungen stark in Grenzen. Natürlich lässt Roche nicht ganz von ihrem Lieblingsthema ab, das „Feuchtgebiete“ nicht nur dominierte, sondern so manche Hemmschwelle stark an ihre Grenzen brachte. Allerdings sind die expliziten Szenen „sanfter“ und seltener geworden und Roche bedient sich häufiger an schnippischen und schlüpfrigen Andeutungen. Ob es nun daran liegt, dass sich Roches Sicht der Schreiberdinge geändert hat, oder daran, dass diese Geschichte eine andere ist, bleibt wohl offen.

Übergreifend lässt sich aber sagen, dass sich „Schoßgebete“ dadurch erwachsener und reifer liest. Zudem besteht die Handlung, die aus der Sicht der Ehefrau und Mutter Elizabeth erzählt wird, auch aus ernsten und bedrückenden Momenten. Denn der eheliche Sex, der den Glanzpunkt von Elizabeths Leben darzustellen scheint, ist nicht der einzige rote Faden, der durch das Buch führt. Ebenfalls tragend sind Elizabeths therapeutische Sitzungen, bei denen sie sich regelmäßig ihre Sorgen von der Seele redet. Und davon hat die gebürtige Engländerin und Wahlkölnerin (zarte autobiografische Züge lassen grüßen) nicht wenige zu bieten. Man darf sich aussuchen, was den größten seelischen Knacks verursacht haben könnte: Durch einen schweren Autounfall verlor Elizabeth einst drei Brüder und das Verhältnis zu ihrer Männer hassenden Mutter ist von jeher gestört. Außerdem hat die junge Frau täglich mit Selbstmordgedanken zu kämpfen. Und die haben es noch stärker in sich, als die detaillierten Sexszenen, die das Handlungsruder ab und an etwas herumreißen. Denn Elizabeth denkt sehr explizit über unterschiedlichste Wege des Sterbens nach.

Auch in „Schoßgebete“ ist Charlotte Roche, ganz ihrem eigenwilligen und einzigartigen Stil gerecht, schmerzhaft offen, brutal detailliert und schonungslos kritisch. Allerdings erkennt man, dass Roche seit „Feuchtgebiete“ durchaus gewachsen ist. Der Roman ist zwar nicht minder schockierend und teilweise auch anstößig, aber er ist erwachsener – wenn auch auf eine Art und Weise, die nur jemand wie Roche sich erlauben kann. Somit bleibt zum Schluss nur zu sagen, dass man das Buch lesen sollte, egal, ob im Urlaub, In der Bahn, oder auf der Toilette, wo es das eine oder andere Mal auch hingehört. Egal, mit welchen Gefühlen man dem Buch gegenübersteht, zum Nachdenken regt es ganz sicher an.

Schoßgebete von Charlotte Roche

Schoßgebete
Piper Verlag 2013
Taschenbuch
288 Seiten
ISBN 978-3-492-30152-7

Bildquelle: Piper Verlag


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