Putin im Wartezimmer von Lou Bihl

Putin im WartezimmerDie zweiundzwanzigjährige, aus Aleppo stammende Amira ist Mitglied eines Kurses, in dem es um gesunde Ernährung geht, denn wie alle Kursteilnehmer leidet sie an Adipositas und will überschüssige Pfunde verlieren. Bei den regelmäßig stattfindenden Treffen gehen den Ausführungen durch die Hausärztin stets Gespräche der an den Sitzungen Teilnehmenden voraus, die sowohl vom Alter, als auch von ihrer Bildung, beruflich ausgeübten Tätigkeit oder politischen Einstellung nicht unterschiedlicher sein könnten. Trotz dieser Differenzen rücken die Gruppenmitglieder immer mehr zusammen. Doch dann werden sie mit einem Schicksalsschlag konfrontiert.

Lou Bihl gibt in ihrem Nachwort an, dass sie die Ereignisse im Ukrainekrieg durch die umfangreiche Auseinandersetzung für ihr Buch „Putin im Wartezimmer“ besser verarbeiten konnte. Zeitpunkt und damit Wissensstand ihrer an den Diskussionen beteiligten Handlungspersonen Amira, Kevin, Kira, Herr Kunz, Frau Glueck, Frau Luxner, Professor Wissmer sowie der Hausärztin ist das Frühjahr 2022. Die Pandemie war also noch in aller Munde und der Krieg stand, wie wir heute wissen, noch am Anfang. Abgesehen davon, dass sämtliche Protagonisten fiktiv sind, hat sich die Autorin an Fakten gehalten. So ist im Buch auch je ein Redeauszug von Putin und Selenskyj abgedruckt. Ansonsten wechseln sich in den Redebeiträgen Amira und die Hausärztin, die im Roman nicht näher bezeichnet wird, in den Ich-Erzählungen ab.

In den Kapiteln, in denen die Ärztin berichtet, erfährt der Leser etwas über die Umstände, die zur Gewichtszunahme ihrer Patienten geführt haben sowie über deren bisheriges Leben oder die Familiensituation. Zudem äußert sich die Autorin, die selbst Ärztin ist, über ihre im Buch praktizierende Ärztin zur Krebserkrankung und Chemotherapie, zum Forschungsstand der Epigenetik, die der Frage nach der vorherbestimmten Entwicklung eines Menschen durch seine Gene nachgeht und kritisiert zudem, dass der gängige Datenschutz den Ärzten das Leben schwer macht.

Amira erzählt von den in der Gruppe stattfindenden Gesprächen, die schon vor Erscheinen der Ärztin ihren Anfang nehmen. Zur Sprache kommen dabei die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Annexion der Krim, Einführung der Impfpflicht für Ukrainer und die Wehrpflicht für Frauen wie in Schweden und Norwegen, Laufzeitverlängerung der AKW, erneuerbare Energien, nukleare Unfälle, Sprengung der Brücke zur Krim.

„Putin im Wartezimmer“ ist ein (Arzt)Roman, denn Lou Bihl hat darin sowohl Krankheitsbilder aufgezählt sowie Beispiele für eine gesunde Ernährung propagiert. Das alles bildet den Rahmen für den Ukrainekrieg mit all seinen Auswirkungen fernab der Kriegsschauplätze. So fließen Gedanken über die Diskrepanz zwischen Hunger auf der einen Seite und Übergewicht in den Friedensgebieten auf der anderen Seite wie auch die Frage nach wirtschaftlichen Interessen in den Plot ein. Über die Handlungspersonen wird Putin eine narzisstische Persönlichkeitsstörung sowie eine fehlerhafte Wahrnehmung attestiert. Als Botschaft an die Leser könnte die Beobachtung gelten, dass Klimaaktivisten zwar für eine bessere Umwelt kämpfen, aber meistens zu „feige“ sind sich fortzupflanzen. Wer, so fragen die Handlungspersonen als Sprachrohr der Autorin, sollte dann auf dem bewohnbar erkämpften Planeten leben, wenn es keine Nachkommen mehr gibt? Der viele Aspekte umfassende Roman, der ursprünglich nur eine Kurzgeschichte werden sollte, ist mit Illustrationen von Daniel Horowitz versehen und führt am Ende ein leider nicht vollständiges Glossar sowie ein umfangreiches Quellenverzeichnis auf.

Putin im Wartezimmer von Lou Bihl

Putin im Wartezimmer
Unken Verlag 2023
Hardcover mit Schutzumschlag
259 Seiten
ISBN 978-3-949286-09-4

Bildquelle: bücher.de
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