Ohne Befund von Lou Bihl

Ohne BefundIn dem Kurzgeschichtenband Ohne Befund* von Lou Bihl finden sich zehn „Geschichten aus dem Gesundheits-Wesen“. In der ersten geht es um eine Ärztin mit Kinderwunsch, die eine neue Lebensperspektive erfahren hat. Es folgt der Text über eine alleinerziehende Chirurgin, die lange mit einer ihrer Patientinnen diskutiert hat, ohne zu ahnen, was der eigentliche Grund für deren gewünschte Korrekturen an ihrem Körper ist. Weiter geht es mit einer von ihrem Ehemann getrenntlebenden Mikrobiologin, die ihn nach einem Motorradunfall auf der Intensivstation aufsucht und feststellen muss, wie wenig sie ihren Mann kannte. Einer Oberärztin wird von einer anonymen Person eine Flasche Champagner geschenkt. Doch das allein ist noch nicht genug der Ehre, denn als sie obendrein die französische Originalausgabe La Peste* von Albert Camus erhält und schließlich noch eine begehrte Theaterkarte, ist das Rätsel um den Verehrer, ob Patient oder Kollege, groß, bis dieser sich zu erkennen gibt.

Während eine Anästhesistin ihren Vater in einer Seniorenresidenz besucht, nimmt sie mit Verwunderung zur Kenntnis, was sich in seinem Badschrank befindet. Mit seiner Familie und einer aus der Ukraine stammenden Hilfe diskutiert ein Hausarzt beim Essen über die Situation von Flüchtlingen. Nach einem One-Night-Stand tauscht sich eine Onkologin mit einem Molekularbiologen beruflich per Mail aus, wobei sich der Mann Hoffnungen auf mehr macht. Eine Onkologin trifft der Schlag, als eine ihrer Patientinnen, ausgerechnet ihre frühere Hausärztin, ganz plötzlich verstirbt. Erst ein Brief kann die quälende Ungewissheit, etwas übersehen zu haben, beenden.

Ein Mann, der seinen Berufswunsch wegen der Schwangerschaft seiner Ehefrau nicht verwirklichen konnte, erholt sich Jahre später nach einem Schlaganfall im Krankenhaus, wo ihn seine Ehefrau mit Sohn und Tochter besucht. Doch anstatt ihm die nötige Ruhe zu gönnen, wie seine Frau als Krankenschwester weiß, führt das Aufeinandertreffen zu einem aus dem Ruder laufenden Schlagabtausch. Zu Prosecco und Crostini fachsimpeln geladene Gäste bei einem Literaturdinner. Für eine Anästhesistin und ihre Kollegen entwickelt sich die Teilnahme zu einer angeregten Diskussion über den Roman Vernichten* von Michel Houellebecq, die bei einem Absacker ein abruptes Ende findet.

Wie Lou Bihl in einem Nachwort klarstellt, sind ihre Ausführungen in den Kurzgeschichten, was den medizinischen Sachverhalt anbelangt, auf dem aktuellen Stand. So darf davon ausgegangen werden, dass die erwähnte Studie im Zusammenhang mit relevanten Herz-Kreislauf-Ereignissen bei Einnahme von Viagra, die vom Weltwirtschaftsforum gemachte vergleichende Studie zur Gleichberechtigung, wie auch das „flammende Plädoyer“ eines Zellbiologen zur „German Angst“ den Tatsachen entsprechen.

Jede Kurzgeschichte mit Sachverhalt wird mit einer Illustration von Daniel Horowitz eingeleitet, während jeweils am Ende ein Glossar samt Quellenverzeichnis zu finden ist. Die Autorin gibt unter anderem ausführliche Informationen zur Leihmutterschaft, Organspende und Epigenetik, zu Viagra und die auf die Brust wirkenden Hormone. Thematisiert wird unter anderem der Krieg in der Ukraine, die Situation der Flüchtlinge, die Rolle der Taliban, Auswirkungen von Depressionen, Sinnhaftigkeit von Obduktionen sowie die Möglichkeit eines Medizin-Studiums bei der Bundeswehr. Kritisch bemerkt sie, dass im Zusammenhang mit Corona „nur gemeldet und damit offiziell erfasst wird, wer mit PCR untersucht wurde…“, seit diese nur noch in Ausnahmefällen bezahlt wurden.

Lou Bihl, selbst Ärztin, schreibt allein schon aufgrund ihrer Wortwahl auf hohem Niveau. Obwohl sich in erster Linie Leser, die ein Interesse an medizinischen Themen haben, von den Kurzgeschichten angesprochen fühlen werden, ist das jedoch keine Voraussetzung für das Verständnis von Laien auf diesem Gebiet. Die allesamt interessanten Geschichten können traurigen oder amüsanten Charakter haben und machen zuweilen nachdenklich. Jeder einzelne Text facht das Interesse des Lesers am Fortgang der Handlung an, der schließlich mit einem überraschenden Ende punktet.

Ohne Befund von Lou Bihl

Ohne Befund
Unken Verlag 2024
Hardcover mit Schutzumschlag
228 Seiten
ISBN 978-3-949286-11-7

Bildquelle: Amazon
PGltZyBsb2FkaW5nPSJlYWdlciIgc3JjPSJodHRwczovL3ZnMDIubWV0LnZnd29ydC5kZS9uYS9hNWRiZGFlYTg2MGY0ZDZiYjRjOTgzY2RjN2VhYzIwMyIgd2lkdGg9IjEiIGhlaWdodD0iMSIgYWx0PSIiPg==

Teile diesen Beitrag
PGltZyBzcmM9Imh0dHBzOi8vYnVjaGF2aXNvLmRlL3dlcmJ1bmcuZ2lmIiBhbHQ9IiI+PGJyPgo8aW5zIGNsYXNzPSJhZHNieWdvb2dsZSIgc3R5bGU9ImRpc3BsYXk6aW5saW5lLWJsb2NrO21pbi13aWR0aDozMjBweDttYXgtd2lkdGg6MTIwMHB4O3dpZHRoOjEwMCU7aGVpZ2h0OjI1MHB4IiBkYXRhLWFkLWNsaWVudD0icHViLTE0NjM1ODE3NzA2MTMwOTUiPjwvaW5zPjxzY3JpcHQ+KGFkc2J5Z29vZ2xlID0gd2luZG93LmFkc2J5Z29vZ2xlIHx8IFtdKS5wdXNoKHt9KTs8L3NjcmlwdD4=