1965 – Rue de Grenelle von J. R. Bechtle

1965 – Rue de GrenelleUm die Aufnahmeprüfung an einer französischen Eliteuniversität zu bestehen, verbringt der aus München stammende Steffen einige Tage in Paris. Auch wenn seinem langjährigen Freund André der Zeitpunkt ungelegen kommt, nimmt er ihn bei sich auf. André stellt Steffen seinem neuen Freund Aaron und seiner Tochter Sarah vor. Im Gegensatz zu ihrem Vater, der auf Steffen einen abweisenden Eindruck macht, ist er von Sarah fasziniert, obwohl in München Claudia auf ihn wartet.

Als Jacques Kahn und Bernard Fournier zu Besuch kommen, erfährt Steffen, dass sie mit André bereits seit fünf Jahren den Pariser Untergrund erforschen, den die Juden zur Flucht vor den Nazis genutzt haben sollen. Zu viert begeben sie sich in die verbotene Unterwelt, um die Richtigkeit der bisher fertig gestellten Karten des unterirdischen Systems zu überprüfen. Steffen gefallen die charakterliche Veränderung von André und seine merkwürdigen Telefonate überhaupt nicht. Er fragt sich, wer der Auftraggeber für diese Karten ist, um die so viel Geheimnistuerei gemacht wird.

Bei den Treffen mit Sarah ist Steffen von der jungen Frau immer mehr verblüfft, und er wird aus ihr einfach nicht schlau. Sie will in Genf mit dem Filmemacher Mehdi Ben Barka über ihre Arbeit sprechen, ohne darüber eine weitere Erklärungen abzugeben. Um sie besser verstehen zu können, spioniert Steffen ihr heimlich nach. Einer ihrer Bekannten ist Figon, dessen Rolle er nur schwer einschätzen kann. Aber auch André wirkt auf ihn zusehends mysteriöser, da er den Verdacht nicht loswird, dass sein Freund ihm etwas verheimlicht. Steffen wird von Aaron bedroht, da dieser ihn der Bespitzelung verdächtigt. Schließlich erhält er von ihm den gut gemeinten Rat, aus der Stadt zu verschwinden, doch schlägt er die Warnungen in den Wind. Aus Neugier verzögert er seine Heimfahrt immer wieder und will über die geheimnisvolle Sarah mehr in Erfahrung bringen. Zu spät merkt Steffen, völlig auf sich allein gestellt, dass er sich in falscher Sicherheit wähnt.

Der politische Roman „1965 – Rue de Grenelle“ von J. R. Brechtle orientiert sich an der Ermordung des marokkanischen Oppositionellen Mehdi Ben Barka im Jahr 1965. Die Hintergründe des Mordes an dem Gründer einer Linkspartei konnten bis heute nicht aufgeklärt werden. Allerdings soll der ebenfalls im Roman erwähnte marokkanische Innenminister General Mohamed Oufkir maßgeblich an der Ermordung beteiligt gewesen sein, und ebenso ist Georges Figon eine historische Person, die in den Komplott verwickelt gewesen sein soll. Der Autor spricht auch das unbeliebte Thema an, wonach viele Menschen von den Vernichtungslagern der Nazis nichts gewusst haben wollen und die Endlösung eher als eine „Umsiedlung irgendwohin ins Ausland“ verstanden haben.

Neben den Hintergründen der jüngsten Geschichte Marokkos entführt der Autor den Leser nicht nur durch die tatsächlich existierenden, sich über viele Kilometer erstreckenden unterirdischen Gänge, sondern auch durch Straßenbezirke und Stadtteile von Paris. Damit spricht er vor allem Leser an, die Paris kennen. Vielleicht ist der ein oder andere sogar, wie die Handlungspersonen des Romans, in die Brasserie Lipp eingekehrt, wo sich Prominente und Politiker getroffen haben. Für die damalige Zeit mag die Darstellung der ungezügelten Liebe vor dem Hintergrund einer möglichen Schwangerschaft ungewöhnlich erscheinen, wie auch der Konsum von kostspieligem Champagner unter Studenten. Der aufkommenden Spannung in dem Roman „1965 – Rue de Grenelle“ tut das allerdings keinen Abbruch, und J. R. Brechtle ist mit dem Buch die Aufarbeitung eines schwierigen Themas gelungen.

1965 – Rue de Grenelle von J. R. Bechtle

1965 – Rue de Grenelle
Frankfurter Verlagsanstalt 2015
Hardcover mit Schutzumschlag
350 Seiten
ISBN 978-3-627-00217-6

Bildquelle: Frankfurter Verlagsanstalt
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