Der Schatten von Tulum von J. R. Bechtle

Der Schatten von TulumMit fünfundfünfzig Jahren hat es Jake Friedman als Investmentbanker an der Wall Street weit gebracht. Mit Sharon führt er ein angenehmes Leben, sein Sohn Alex arbeitet mit ihm zusammen und Tochter Meredith hat ihm bereits zwei Enkelkinder geschenkt. Aktuell ist Jake, der auf Geschäfte mit Mexiko spezialisiert ist, mit dem Verkauf der größten mexikanischen Privatbank Bancogran betreut. Um das Projekt abzuschließen, muss Jake nach Mexico City fliegen, wo er sich mit Arturo Diego Sanchez treffen soll. Doch seit seiner Ankunft in Mexiko wird er hingehalten und seine Unzufriedenheit wächst. Als er endlich auf Sanchez trifft, eskaliert das Gespräch zunehmend und Jake beschuldigt den Mexikaner des Betrugs. Kurz darauf wird er entführt und im tiefsten Dschungel gefangen gehalten. In New York beauftragt der Managing Direktor Jerry Greene einen Privatdetektiv, der jedoch wie die mexikanische Polizei keine Spur entdeckt. Als Alex eine seit längerem geplante Reise nach Cancún antritt, bittet Sharon ihren Sohn, in Tulum nach seinem Vater zu forschen, denn als trampender Student war ihr Ehemann vor dreißig Jahren in dem einstigen Hippieparadies unterwegs.

Die Handlung des Romans „Der Schatten von Tulum“ von J. R. Bechtle bezieht sich zum einen auf das aktuelle Geschehen in New York, wo sich Jake Friedman um den geplanten Verkauf von Bancogran kümmert. Nach seinem Verschwinden ist immer wieder von den Sorgen seiner Familie die Rede, die kein Lebenszeichen von ihm erhält und irritiert ist, dass kein Lösegeld gefordert wird. Auch Jake selbst kann sich keinen Reim darauf machen, warum er entführt wurde. Vor allem stellt er sich die Frage, wer dahintersteckt. Erst allmählich dämmert es ihm, dass es mit seinem Aufenthalt im Jahr 1968 zusammenhängt, als er unter dem selbst gewählten Namen Harry Simms das Land der Maya bereist hat. Seine Erlebnisse werden in eigenen Abschnitten erzählt und sind am Wechsel vom Präsens ins Präteritum zu erkennen.

Handlungsort der dreißig Jahre zurückliegenden Reise von Harry Simms sowie die seiner Gefangenschaft als gut situierter Banker unter dem Namen Jake Friedman ist neben Yucatán der ärmliche Bundesstaat Chiapa mit der im Hochland gelegenen Stadt San Cristóbal in Mexiko, wo überwiegend die im Roman vielfach erwähnte sozialrevolutionäre Gruppe der Zapatistas lebt und agiert. Dank bester Recherchen schreibt J. R. Bechtle sehr anschaulich von der Kultur und den Sitten der Maya, den als Süßwasserquelle genutzten Cenoten und dem berühmten mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata wie auch von K’inich Janaab Pakal I, dem bedeutendsten Herrscher der Maya-Stadt Palenque. Dass die im Plot thematisierte Korruption in dem mittelamerikanischen Land an der Tagesordnung ist, dürfte niemanden überraschen.

Auf sehr eindrucksvolle und eindringliche Art hat der Autor den Leser mit auf die Reise durch den Dschungel genommen, womit dieser immer tiefer in die Geschichte eintaucht. Sehr gut sind bei der Lektüre die „Quelle, die aus einem Felsenbett sprudelt“, „aufragende Gipfel und steil abfallende Schluchten“ sowie „Indiofrauen, gebückt und barfuß in ihren einfachen Trachten“ vorstellbar. Der spannende und mit zahlreichen, nicht vorhersehbaren Wendungen verfasste Roman „Der Schatten von Tulum“ macht die völlig unterschiedlichen Welten der in ärmlichsten Verhältnissen im Dschungel lebenden Menschen von denen deutlich, die von der Hektik einer Großstadt wie New York umgeben sind. Letztlich verändern die Ereignisse im weiteren Handlungsverlauf auch Jake, der zwischen Realität und Illusion schwankt.

Der Schatten von Tulum von J. R. Bechtle

Der Schatten von Tulum
Frankfurter Verlagsanstalt 2021
Hardcover mit Schutzumschlag
360 Seiten
ISBN 978-3-627-00291-6

Bildquelle: Frankfurter Verlagsanstalt
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