Interview mit Thomas Breuer über seinen neuen Thriller „Der letzte Prozess“

Thomas Breuer vor der Wewelsburg
Bildquelle: Thomas Breuer
Thomas Breuer wurde 1962 in Hamm geboren und hat nach dem Abitur in Münster die Fächer Germanistik, Sozialwissenschaften und Pädagogik studiert. Seit 1993 arbeitet er als Lehrer für Deutsch, Sozialwissenschaften und Zeitgeschichte an einem privaten Gymnasium in Kreis Paderborn. Er schreibt seit 2010 kriminelle Kurzgeschichten und Kriminalromane, wobei in der Reihe um seinen Ermittler Henning Leander bereits fünf Bücher erschienen sind. Sein neuestes Werk ist der Thriller Der letzte Prozess. Mit seiner Ehefrau Susanne, den Kindern Patrick und Sina sowie Katze Lisa wohnt er im westfälischen Büren. Die Insel Föhr ist für ihn zur zweiten Heimat geworden, denn er liebt die Nordseeinseln, den Darß und das Fotografieren.

Fast hätte ich dich jetzt schon mit Moin begrüßt, da du dich im hohen Norden offensichtlich mindestens so zu Hause fühlst wie in Westfalen.

    Moin geht absolut in Ordnung, Beatrix. Das funktioniert inzwischen auch in Westfalen.

Thomas, mich würde interessieren, was den Ausschlag für deinen Thriller Der letzte Prozess gegeben hat. War es das Verfahren gegen den früheren SS-Wachmann Reinhold Hanning vor dem Landgericht Detmold im Jahr 2016, das in dem Plot einen breiten Raum einnimmt?

    Stimmt, das war tatsächlich einer der Auslöser. Ich habe mich bis 2016 eigentlich immer davor gedrückt, in meinem Wohnumfeld zu morden, aber plötzlich ging das nicht mehr anders.

    In Detmold wurde Reinhold Hanning wegen der Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen der Prozess gemacht. Im Umfeld dieses Prozesses krochen überall die alten und neuen Nazis aus ihren Löchern. Die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck konnte nur mit Mühe aus dem Gerichtssaal gehalten werden, überall in Ostwestfalen machten die sogenannten „Reichsbürger“ zum Teil sogar mit Waffengewalt Stimmung, in Paderborn schwang sich die Identitäre Bewegung zu neuer Größe auf und die AfD veranstaltete regelmäßig Kundgebungen, bei denen sogar Björn Höcke als Stargast seine rassistische Hetze ablassen konnte.

    Wie gesagt, da konnte ich nicht anders und musste mich gerade vor dem Hintergrund der Geschichte in Ostwestfalen zu Wort melden. Zum Kreis Paderborn gehört das Städtchen Büren, in dem ich lebe, und zu Büren das Dorf Wewelsburg. Die gleichnamige Dreiecksburg ist von Heinrich Himmler zum ideologischen Zentrum der SS ausgebaut worden und galt in seiner kruden Weltsicht sogar als „Mittelpunkt der Welt“. Für die Ausbauarbeiten wurde eigens ein KZ gebaut, in dem über 1250 Menschen im Programm „Vernichtung durch Arbeit“ ermordet wurden.

    Mir ging es also darum, den Roten Faden in der Geschichte aufzuzeigen, daran zu erinnern, was die neuen Rechten vergessen machen wollen, und zu zeigen, wohin das alles führen kann, wenn wir uns den Höckes in Deutschland und in Europa jetzt nicht entschieden entgegenstellen.

Da bin ich ganz deiner Meinung: Wir müssen Flagge zeigen, verhindern, dass sich immer mehr den Rechten anschließen, den Anfängen wehren, wie es so schön heißt. In deinem Nachwort schreibst du, dass du dem Leser gerade durch die Briefebene im Roman viel abverlangst. Das ist tatsächlich so, denn auch mich haben die persönlichen Schilderungen über die Gräueltaten sehr mitgenommen. Es ist schon ein Unterschied, ob man von Millionen Toten liest, die auf grausame und unmenschliche Weise umgekommen sind, oder ob es um die Zeugenaussage eines Überlebenden geht, die richtig unter die Haut geht. Oder wenn von Überlebenden berichtet wird, was sie mit ansehen mussten und welche Bilder sie noch Jahrzehnte später nicht ausblenden können. Mir haben einzelne Passagen einen unruhigen Schlaf beschert. Wenn mir das schon als Leser so zusetzen konnte, du dich aber viel länger und intensiver mit diesem Thema auseinandersetzen musstest, wie hast du das verkraftet?

    Das war auch für mich tatsächlich die größte Herausforderung. Aber grundsätzlich gilt: Geschichte wird aus Geschichten gemacht – also aus individuellen Erlebnissen, die das Abstrakte ganz konkret werden lassen. Da streiten sich die Idioten, ob es tatsächlich sechs Millionen Juden waren, die von den Nazis ermordet wurden, oder nur fünfeinhalb. Was ist so eine unfassbare Zahl gegen ein Einzelschicksal, das ganz klar zeigt, was damals tatsächlich passiert ist?

    Es gibt im Roman zwei Ebenen, auf denen ich die Grausamkeiten schildere: Da sind zum einen die Zeugenaussagen im Prozess, die ich in sachlichem, journalistischem Stil so wortgetreu wie möglich wiedergebe, und zum anderen die Briefe, die du ansprichst.

    Dabei muss man wissen, dass im Giftschrank des Kreismuseums in Wewelsburg tatsächlich ein Briefwechsel zwischen dem Wachsturmführer des KZs und seiner Frau lagert. Ich habe während der ganzen Zeit, in der ich an dem Roman gearbeitet habe, engen Kontakt zu den Historikern dort gehalten und durfte diese Briefe lesen. Zitieren durfte ich sie schließlich aus Personenschutzgründen zwar nicht, aber ich durfte einen sehr eng angelehnten eigenen Briefwechsel in den Roman einbauen.

    Mein Wachsturmführer schildert darin die täglichen Grausamkeiten in einer Selbstverständlichkeit, als hätte er es nicht mit Menschen zu tun gehabt. Das geht unter die Haut. Aber fast noch unerträglicher fand ich die Antworten seiner Ehefrau, die sich zu Hause um die Kinder gekümmert und ihnen abends von Vatis Arbeit im KZ erzählt hat. Dabei wird auch überdeutlich, dass diese Leute, die heute von den neuen Nazis als Helden verehrt werden, in Wahrheit absolut kleingeistige und spießbürgerliche Wichte waren, denen es immer nur um den eigenen Vorteil ging. Dummerweise haben die damals Macht über das Leben anderer bekommen – und das dürfen wir nie wieder zulassen.

    Du fragst aber auch, wie ich das verkraftet habe. Ich beschäftige mich seit über vierzig Jahren mit dem Dritten Reich und kann mich zum Glück professionell abschotten, weil ich die fürchterlichen Bilder und Lebensgeschichten schon so oft gesehen und gelesen habe. Selbst bei so einem Thema stumpft man da ab – ohne allerdings gleichgültig zu werden. Also, mein Engagement gegen Rechts hat nichts an Fahrt und Emotionalität verloren und ist so etwas wie eine Lebensaufgabe für mich.

Das ehrt dich! Und um noch einmal auf den Schriftwechsel zwischen dem Wachsturmführer und seiner Frau zurück zu kommen: Es ist wirklich unfassbar, mit welcher Gelassenheit die Frau die Schilderungen ihres Mannes hinnahm und den Kindern stolz von ihrem Vater berichtet hat. Du sagst, dass dein Engagement gegen Rechts deine Lebensaufgabe geworden ist und es ist bekannt, dass du selbst zum Thema Zeitgeschichte unterrichtest. Dazu gehört natürlich auch der Zweite Weltkrieg und der Holocaust. Wie vermittelst du deinen Schülern das brutale und unmenschliche Vorrücken der deutschen Wehrmacht, das systematische Ausrotten der Juden sowie die Ermordung von „unwertem Leben“, wie die Nazis Menschen mit den unterschiedlichsten Behinderungen bezeichneten? Und vor allem, welche Reaktionen erhältst du von den Schülern?

    Das ist in der Tat eine Aufgabe. Ich bin selbst als Jugendlicher durch meine jungen Lehrer, die frisch aus der Achtundsechziger-Bewegung gekommen sind, mit dem Thema konfrontiert und regelrecht angesteckt worden. Deshalb weiß ich auch, welche Verantwortung ich in diesem Beruf habe.

    Zeitgeschichte wird bei uns in der Mittelstufe unterrichtet. Das Dritte Reich ist im 9. Schuljahr an der Reihe, da sind meine Schüler 14 bis 15 Jahre alt und in der Regel noch nicht mit so grausamen Bildern konfrontiert worden.

    Wir nähern uns dem Thema zunächst rein sachlich über Daten und Ereignisse und gehen dann vor Ort, also vor allem in Wewelsburg, auf Spurensuche. Dabei unterstützen mich die Museumspädagogen dort in sehr verantwortungsvoller Weise. Als ganz junger Lehrer vor fünfundzwanzig Jahren habe ich einmal den Fehler gemacht, Achtklässlern den Film „Nacht und Nebel“ zu zeigen. Das passiert mir nie wieder, weil alle – Jungen und Mädchen – anschließend heulend auf ihren Tischen gelegen haben. Man muss da schon sehr behutsam vorgehen, auch wenn man selbst inzwischen so etwas wie einen emotionalen Airbag entwickelt hat, denn die Schüler hatten ja noch gar nicht die Zeit dazu.

    Das Interesse der Schülerinnen und Schüler an dem Thema ist immens. Ich bin immer wieder erschrocken darüber, dass viele so gut wie gar nichts von den Vorgängen wissen, weil zu Hause in den meisten Familien nicht mehr darüber gesprochen wird. Die aktuelle Elterngeneration spricht zum einen weniger mit ihren Kindern über kritische Themen und hat zum anderen das Dritte Reich kaum noch auf dem Schirm. Was für mich noch so nah ist, auch wenn seitdem 80 Jahre vergangen sind, ist für meine Schüler so weit weg wie das Mittelalter. Die sind ja noch so jung, dass sie sogar den Fall der Mauer nicht mehr selbst erlebt haben. Das muss ich mir immer wieder bewusstmachen, um nicht zu viel von ihnen zu verlangen.

Wir könnten jetzt wahrscheinlich noch eine lange Diskussion darüber führen und die Ursachen dafür suchen, warum die heutige Elterngeneration weniger mit ihren Kindern über kritische Themen spricht. Aber das würde zu weit führen. Du hast die Gabe, ein ernstes Thema aufzulockern und den Leser tatsächlich auch noch zum Schmunzeln zu bewegen, ohne dabei ins Lächerliche abzudriften. Ich nennen mal als Beispiel das Verfahren gegen den früheren SS-Wachmann Reinhold Hanning, bei dem dieser über seinen Anwalt seinen Lebenslauf verlesen lässt. Es ist offensichtlich, dass die Verteidigung darauf abzielte, Mitleid für den Angeklagten zu erregen. Erst berichtet der Anwalt von einer harten Kindheit seines Mandanten, um dann noch eins draufzusetzen: Nach dem Tod der Mutter von Reinhold Hanning hat der Vater wieder geheiratet und die böse Stiefmutter hat den armen Stiefsohn aus dem Elternhaus gejagt. Das kommentierst du, indem der Journalisten Fabian Heller, der dem Prozess beiwohnt, in Gedanken „Hänsel und Gretel lassen grüßen“ formuliert. Zu den weiteren Ausführungen des Anwalts denkt sich Heller „wer’s glaubt, wird selig“ und „Klumpfüßchens Märchenstunde“. Das dürften wohl auch deine ersten Gedanken gewesen sein, als du in den Prozessakten recherchiert hast, oder liege ich mit der Annahme falsch?

    Haha, das hast du gut erkannt. Ich beschäftige mich zwar oft mit ernsten Themen, weil ich keinen Sinn darin sehe, reine Unterhaltungsliteratur zu produzieren. Rosamunde Pilcher reicht, finde ich, einmal am Sonntag für 90 Minuten. Meine Themen müssen relevant sein. Allerdings bin ich ein äußerst fröhlicher Mensch, der viel und gerne Spaß hat. Ich hoffe, dass das in meinen Büchern gut zusammenpasst.

    Aber natürlich haben die eher lustigen Passagen in all meinen Romanen auch eine konkrete Funktion (sorry, ohne Ernsthaftigkeit und Relevanz geht bei mir wirklich gar nichts): Die heftigen Passagen zum Beispiel im „letzten Prozess“ brauchen als Gegengewicht meiner Ansicht nach entlastende Passagen, um sie erträglich zu machen.

    Ich habe das selbst einmal von einem Großmeister in dieser Disziplin vorgemacht bekommen: Wolf Biermann war mit Jizchak Katzenelsons „Großem Gesang vom Leiden des jüdischen Volkes“ auf Tour. Das ist ein Endlos-Epos in Gedichtform, das die Grausamkeiten im KZ schildert – fast nicht zu ertragen. Auf der Bühne stand nur ein Stuhl und Biermann hat aus losen Blättern vorgelesen, die er nach und nach um sich geworfen hat. Am Ende ist er aufgestanden, hat auf den leeren Stuhl gezeigt und gesagt „Der Dichter“ und dann mit Verweis auf die Blätter „und sein Werk.“ Danach ist er von der Bühne gestiegen und hat sich ins Publikum gesetzt. Wir alle sind eine gefühlte Viertelstunde schweigend und mit mühsam zurückgehaltenen Tränen sitzen geblieben, weil das alles so furchtbar war. Dann ist Biermann wieder auf die Bühne geklettert, hat in seiner unnachahmlichen Art in die Runde gegrinst und gesagt: „So lasse ich euch nicht nach Hause gehen. Ich erzähle euch jetzt ein paar jüdische Witze.“ Da er selber Jude ist, durfte er das natürlich, zumal es keine judenfeindlichen Witze waren. Als wir später alle lachend den Theatersaal verlassen haben, waren wir nicht von dem eigentlichen Thema belastet – aber der Abend hatte von seiner Intensität auch nichts eingebüßt. Das war für mich ein Schlüsselerlebnis.

Die richtige Mischung finden, den Balanceakt genau austarieren, darin besteht die Kunst, und die beherrschst du uneingeschränkt! Kommen wir auf die Handlungsorte zu sprechen, die du ungewöhnlich detailliert beschrieben hast. Damit meine ich, dass du dich nicht nur darauf beschränkt hast, markante Punkte zu benennen, die sich jeder Autor aus dem Internet holen kann, sondern du nennst Farbe der Häuser, schreibst von einem umgebenden Zaun, lauter Dinge, bei denen der Leser das Gefühl hat, mit auf die Reise deiner Handlungsperson genommen zu werden. Es wirkt in dem Moment so anschaulich und echt, als würde das Geschehen quasi live passieren. Hast du das alles aus deiner Erinnerung niederschreiben können, oder bist du die Strecken womöglich entlanggefahren und hast dir Notizen gemacht?

    Ich recherchiere für jeden Roman vor Ort, mache Fotos und Notizen und versuche, mich in die Atmosphäre einzufühlen. Die Korrekturen für meinen Helgolandkrimi habe ich zum Beispiel innerhalb einer Urlaubs- und Arbeits-Woche auf dem Felsen und der Düne gemacht und dabei immer in mich hineingehorcht und -gefühlt. Da Wewelsburg direkt vor meiner Tür liegt und auch Paderborn und Detmold in kurzer Zeit für mich erreichbar sind, war das diesmal leicht.

    Häufig bekomme ich von Föhr-Urlaubern Mails, in denen genau das gelobt wird, was du auch festgestellt hast. Einmal hat mich jemand angerufen, um mir mitzuteilen, dass er nicht nur anhand einer Fahrradkarte versucht habe, mir Fehler nachzuweisen, sondern er sei alle Strecken auf der Insel selbst noch einmal abgeradelt und wolle mir nun mitteilen, dass er keine Fehler in der Beschreibung gefunden habe. Witzig, oder?

Verzeih mir mein Schmunzeln 😊

    Aber Spaß beiseite. Was mich an vielen sogenannten Regionalkrimis ärgert, ist genau die oberflächliche Darstellung der Handlungsorte. Das wirkt immer, als sei es reiner Zufall, dass der Roman in einem bestimmten Dorf in der Eifel oder auf einer bestimmten Nordseeinsel spielt. Das wollte ich von Anfang an anders machen, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich in Details verlieren könnte. Meine Bücher sollen für die Leser eine Verlängerung ihres Urlaubs sein; so wie ein Fotobuch, nur intensiver. Und wer noch nicht auf Föhr war, soll ein Bild von der Insel bekommen und vielleicht sogar einen Urlaubswunsch.

    Außerdem habe ich ja eine ganz tolle Lektorin und eine sehr engagierte Verlegerin, die mich zügeln und zurückpfeifen, wenn ich über das Ziel hinausschieße. Herzliche Grüße an Maeve Carels und Heike Gerdes an dieser Stelle. Was wären meine Bücher ohne euch?

An einer Stelle erinnert sich dein Protagonist Stefan Lenz an seine Schulzeit in Hamm, als in der Stadt die nordrheinwestfälische Hauptstelle gegen Suchtgefahren wegen der günstigen Infrastruktur durch die zahlreichen Autobahnen im Ruhrgebiet eingerichtet wurde. War das so zu deiner Schulzeit? Hast du von dem regen Handel mit Drogen damals auch etwas mitbekommen?

    Ja, das war zu meiner Schulzeit so. Die Zeitungen in Hamm waren damals voll davon. Und nein, ich habe persönlich fast gar nichts davon mitbekommen. An meinem Gymnasium muss, wie an jeder Schule damals, ein reger Handel stattgefunden haben, aber mich hat nie jemand angesprochen. Keine Ahnung, warum. Vielleicht habe ich damals schon sehr intensiv ausgestrahlt, dass ich gegen jede Form von Sucht bin. Vielleicht hat man mich in den Kreisen aber auch einfach nicht ernst genug genommen, um in mir einen potentiellen Kunden zu sehen.

    Cannabis habe ich zum ersten Mal bewusst gerochen, als ich schon selbst Lehrer war und in unserer Aula eine Info-Veranstaltung der Polizei für Eltern stattgefunden hat. Der Hauptkommissar hat damals einen Joint angezündet und ist damit durch die Reihen gegangen, damit Eltern verdächtige Gerüche auch einordnen können. Mir kam der Geruch allerdings seltsam bekannt vor – wahrscheinlich von den Toiletten aus meiner eigenen Schülerzeit.

Lenz äußert an einer Stelle, dass GEZ-finanzierte Fernsehsender eine „öffentlich-rechtliche Gehirnwäsche“ betreiben, und meint, in seinem Leben „zu viel ARD und ZDF“ gesehen zu haben. Spiegelt das auch deine Meinung wider?

    Holla, nein! Da sieht man mal wieder, wie gefährlich Ironie ist. Lenz bedient sich an der Stelle der sogenannten „Dissimulatio“. Das ist eine Form von Ironie, bei der man die Sprache des Gegners verwendet, um ihn damit vorzuführen. 2016 war das Wort von der „Lügenpresse“ in aller Munde. AfD-Politiker wie Höcke und Gauland haben damals keine Interviews gegeben, weil sie die Zeitungen und Öffentlich Rechtlichen Rundfunkstationen der bewussten Gehirnwäsche bezichtigten. Stattdessen haben sie über die Sozialen Medien ihre Fake News verbreitet. Das machen sie ja bis heute. Lenz macht sich mit seiner Bemerkung genau darüber lustig und will sagen, was für Hohlköpfe oder gefährliche Demagogen diese Leute sind.

    Ich bin dir sehr dankbar für die Frage, denn gerade bei der Dissimulatio besteht die Gefahr, missverstanden zu werden, wenn der Gegenüber einen nicht genau kennt und weiß, wie er das einzuordnen hat. Für mich sind die Öffentlich Rechtlichen die letzten Garanten für guten Journalismus, auch wenn ich natürlich weiß, dass man nicht alles glauben darf, was in der Zeitung steht.

Und genau dieser wirklich gute Journalismus kommt heute leider fast überall zu kurz. Wenden wir uns deinem Protagonist zu, der gerne in das nahe zur Innenstadt von Büren gelegene Restaurant „Zur Schanze“ einkehrt. Gehört das Lokal auch zu deinen Favoriten? Denn immerhin wohnst du in Büren, wenn du nicht gerade auf Föhr weilst.

    Das Restaurant „Zur Schanze“ wird von einem meiner ehemaligen Schüler und seiner Lebensgefährtin geführt und hat nicht nur eine sehr gemütliche Atmosphäre, sondern auch eine Speisekarte mit traditionellen Gerichten in moderner Interpretation. Meine Frau und ich gehen sehr gerne dorthin. Allerdings ist das kein Geheimtipp, man muss schon vorher reservieren.

Ich muss gestehen, dass ich nicht nur das Lokal selbst, sondern auch die Speisekarte im Internet angesehen habe. Alles wirkte sehr einladend auf mich und ich kann mir gut vorstellen, dass man sich als Gast dort wohlfühlt. Bleiben wir beim Kulinarischen: Stefan Lenz isst für sein Leben gern Fleisch und noch einmal Fleisch. Anstelle eines edlen Tropfens Wein zieht er Bier vor. Spricht daraus auch deine persönliche Vorliebe?

    Haha, und schon wieder hast du mich erwischt! Du bist wirklich eine verdammt aufmerksame Leserin, Beatrix.

    Es stimmt, ich trinke lieber Bier als Wein. Das ist ja schon Thema in meinen Leander-Krimis. Zum Beispiel versucht sich eine meiner Hauptfiguren, der ehemalige Priester und aktuelle Gastwirt Mephisto, in dem Helgoland-Krimi in Braukünsten, die seine Skatbrüder fast hinwegraffen.
    Da ist es sicher auch kein Zufall, dass ich gerade vor ein paar Tagen gebeten worden bin, einen Kurzkrimi für eine Bier-Anthologie zu schreiben.

    Und was das Fleisch angeht: gute Qualität in nicht zu geringer Größe! Wie heißt es doch so schön: „Fleisch ist mein Gemüse“.

Da befindest du dich in guter Gesellschaft von Millionen Männern! Welche Projekte planst du für die Zukunft? Wird es weitere Bände in der Reihe um Henning Leander geben oder vielleicht etwas ganz Neues?

    Als ich meinen „Prozess“ auf Föhr vorgestellt habe, bin ich dazu verpflichtet worden, auch etwas über den nächsten „Leander“ zu verraten. Du siehst, aus der Nummer komme ich nicht mehr raus. Aber unabhängig davon bereite ich schon seit einigen Monaten einen Roman über den Klimawandel und den Küstenschutz vor – ein Thema, das natürlich ideal auf den Inseln umgesetzt werden kann. Arbeitstitel: „Leander und der Blanke Hans“.

    Hintergrundmaterial dazu ist mir von einem anonymen Informanten auf Sylt angeboten worden – das ist kein Scherz. Natürlich muss ich das Thema erst einmal ausgiebig und gründlich recherchieren, bevor ich es umsetzen kann. Außerdem brauche ich Zeit zum Schreiben. Hauptberuflich bin ich ja nun mal Lehrer und wälze so einige Korrekturstapel. Momentan bin ich auch noch Mitglied in der Jury für den Kurzkrimi-Glauser und muss bis Anfang Januar ca. 250 Kurzkrimis lesen und bewerten. Und dann sind da noch die eigenen Kurzkrimis in diversen Anthologien, die Lesungen und und und …

    Der nächste „Leander“ erscheint sicher nicht vor 2020. Es sei denn, mich überfällt vorher ein dringlicheres Thema für einen neuen Thriller.

Ich merke schon, da bleibt nicht mehr viel Zeit für die Familie. Trotzdem wünsche ich dir etwas Ruhe in der Vorweihnachtszeit, danke dir für das Interview und wünsche dir weiterhin viel Erfolg und alles Gute!

    Vielen Dank für dein Interesse, Beatrix, und herzliche Grüße an meine Leserinnen und Leser. Ihr hört von mir – versprochen!

Der letzte Prozess von Thomas Breuer

Der letzte Prozess
Leda Verlag 2018
Broschur
516 Seiten
ISBN 978-3-86412-214-9

Bildquelle: Leda Verlag
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