Interview mit Meinrad Braun über seinen Roman „Gabun“

Meinrad Braun
Bildquelle: Meinrad Braun
Doktor Meinrad Braun wurde in Ulm geboren und hat nach seinem Abitur zunächst in Freiburg Völkerkunde und Paläanthropologie studiert, um im Anschluss noch ein Medizinstudium aufzunehmen. Von 1988 bis 2022 führte der in Mannheim lebende Psychotherapeut eine Praxis in Bad Dürkheim. Inzwischen ist er ehrenamtlich in der Krankenversorgung, in der Psychotherapeutenausbildung und als Gutachter tätig. Er hat Erzählungen und Romane geschrieben, zu denen auch der im Jahr 2013 erschienene Roman Gabun gehört.

Hallo und guten Tag Herr Braun,
auf Ihrer Webseite ist zu lesen, dass Sie dem Protagonisten des Romans folgten, bevor etwas Überraschendes geschah, was Sie aufgeschrieben haben. Ist mit dem Aufgeschriebenen der Plot gemeint? Hat die Person des Bernd Jesper vielleicht einen realen Hintergrund, der zumindest von einem ähnlichen Abenteuer berichtet hat?

    Ja, damit ist der Plot gemeint. Die Personen, also in diesem Fall Bernd Jesper, handeln oder erleben etwas und ich schreibe es dann auf. Meistens klappt das sehr gut, eine Voraussetzung dafür ist, dass die Person sich für mich lebendig anfühlt. Wie viel davon real ist, weiß ich nicht so genau, aber im Fall von Gabun habe ich mich Bernd Jesper oft sehr nahe gefühlt. Ich glaube, ich hätte oft selbst so gehandelt wie er.

Das ist ein interessanter Gesichtspunkt! Ich muss gestehen, dass mich beim Lesen wiederholt das Gefühl beschlich, der Ich-Erzähler wären Sie selbst, denn die Schilderungen sind so unglaublich realistisch. Dabei denke ich beispielsweise an die Warnung, dass Menschen, die sich zu nah ans Ufer wagen, von Krokodilen ins Wasser gezogen werden, die dann abwarten, bis der Mensch unter den Baumwurzeln richtig zart geworden ist. Oder dass sich Skorpione, wie es der Protagonist erst lernen sollte, nicht einfach aus Stiefeln schütteln lassen. Deshalb meine Frage: Waren Sie selbst schon in Afrika und haben diese Ratschläge von einem Insider bekommen?

    Ich war einige Male in tropischen Gebieten unterwegs, in Südamerika und in Indien, auch in Afrika, aber nicht in Gabun. Auf Skorpione musste ich gut aufpassen, aber so abenteuerlich wie Bernd Jespers Erlebnisse waren meine Reisen dann doch nicht. Die Sache mit den Krokodilen ist wohl eine von den Geschichten, die Scouts für Neulinge bereithalten, um sie zu beeindrucken. Ob sie wahr ist – wer weiß, könnte sein. Jedenfalls sollte man von Krokodilen Abstand halten.

Diesen Ratschlag dürfte so ziemlich jeder, dem sein Leben lieb ist, beherzigen. Wenn wir schon mal bei den Tieren sind: Während einer Fahrt mit dem Landrover hat Bernd Jasper erfahren, dass angeschossene Leoparden und Elefanten noch gefährlicher als Löwen sind. Haben Sie sich bezüglich dieser Infos von einem Jäger beraten lassen?

    Als Jugendlicher hatte ich eine Weile Kontakt mit einem Jagdführer, der in Afrika gearbeitet hat. Er war ein Freund meines Vaters und besuchte uns ein paar Mal zu Hause. Ich fand seine Berichte sehr spannend. Daher stammen die Angaben über die Gefährlichkeit angeschossener Tiere und auch die über bestimmte Jagdwaffen, die man dort einsetzt.

Nun, man lernt immer dazu! Sehr detailliert haben Sie die Rundhütten der Pygmäen beschrieben, wie sie gebaut und später, wenn die Pygmäen weiterziehen, einfach stehen gelassen werden. Haben Sie solche Rundhütten im Pygmäenstil selbst schon besichtigt, ob nur von außen oder besser noch von innen?

    Die kenne ich nur aus der Literatur. Es ist ein klassischer Baustil für Nomaden, den gab es wahrscheinlich auch bei uns in der Steinzeit. Man braucht keine Werkzeuge dafür und es geht schnell, jeder kann es selbst machen. Das finde ich genial.

Wirklich jeder? Also wenn ich mir vorstelle, dass ich… Aber das vertiefen wir besser nicht! Mich hat beeindruckt, wie der Pygmäe M’bale Feuer gemacht hat, nämlich mit einem kleinen Stück Bambus, ich zitiere, in dem ein kleiner Stöpsel aus Knochen steckte. Auch Bernd Jasper zeigte sich von dieser Methode überrascht, obwohl ihm die Kompressionszündung von einem Dieselmotor her bekannt war. Doch wie sind die Steinzeitmenschen auf diese Idee gekommen, fragt sich Bernd Jasper im Roman. Ist es realistisch, was M’bale geschafft hat? Oder ist diese Darstellung lediglich Ihrer schriftstellerischen Freiheit geschuldet? Schließlich muss ein Roman nicht auf Tatsachen beruhen.

    Den Anzünder gibt es tatsächlich. Ich habe ihn aus Indonesien, wo er aus Bambus gemacht wird, nach Afrika exportiert. Die Frage, wie man auf so etwas kommt, ist damit natürlich nicht beantwortet. Das ist mir selbst rätselhaft. Bei manchen Erfindungen, wie beim Rad oder beim Bogen, kann man sich schon vorstellen, wie die Menschen darauf kamen, aber bei diesem Anzünder nicht. Jemand hat ihn mir mal vorgeführt, er funktioniert perfekt. Die „primitive“ Technik ist nicht so primitiv wie man oft denkt.

Das ist ja echt interessant – was es nicht alles gibt! Besagter M’bale hat eine noch lebende Schildkröte mit dem Panzer ins offene Feuer gelegt, wo sie – um ihr Leben zappelnd – qualvoll zu Tode kam. Diese, in unseren Augen barbarische Methode, hat natürlich nicht nur Bernd Jasper zugesetzt, sondern auch mich als Leserin zusammenzucken lassen. Ist es von Naturvölkern überliefert, Schildkröten auf diese Art zuzubereiten?

    Das wird tatsächlich so gemacht und ist in unseren Augen sehr grausam. Auch das Verzehren von Affen, die so menschlich aussehen, lässt einen schaudern. Wir Europäer haben ein sehr problematisches, um nicht zu sagen verkorkstes Verhältnis zu Tieren. Mal behandeln wir sie mit größer Ignoranz als Fleischfarmen und quälen sie für ihr ganzes Dasein, mal verzärteln wir sie grenzenlos, als wären sie die besseren Menschen. Die Massentierhaltung ist in meinen Augen um vieles grausamer als solche Praktiken.

In Fernsehberichten wird ja immer wieder darauf hingewiesen, wie wenig artgerecht Schweine oder auch Hühner gehalten werden und oftmals verwundet sind. Aber der Mensch verdrängt zu gerne, dass diese armen Tiere etwas mit den sauber abgepackten Schnitzeln im Supermarkt gemein haben. Insofern kann ich Ihnen da nur zustimmen. Wir bleiben bei den Tieren, jedoch in einer ganz anderen Sache:
Tatsächlich, so ist im Internet nachzulesen, hat ein Ebola-Ausbruch bereits etwa ein Drittel der freilebenden Gorilla-Population ausgelöscht. Schimpansen wurden mittlerweile gegen diese Viruserkrankung geimpft. Allerdings nicht auf die Weise, wie Sie es in Ihrem Roman beschrieben haben, dass nämlich für die Affen ausgelegte Früchte mit dem Impfstoff versehen werden. Haben Sie als Völkerkundler und Mediziner da mehr Informationen?

    Ich glaube, ich hatte recherchiert, dass man das auf diese Weise mal versucht hat. Funktionieren könnte es. Ich vermute, dass diese Impfmethode ein Notbehelf gewesen ist. Wenn man an die Schimpansen herankommt, ist es natürlich wesentlich effektiver, sie direkt zu impfen. Noch besser wäre es, die „Bushmeat“ Praktiken zu unterbinden, bei denen das Fleisch aller möglichen Wildtiere in Umlauf kommt. Wildtiere sind Reservoire von Erregern, die für Menschen gefährlich werden können, wie wir es in den letzten Jahren erleben mussten.

Ja, leider! Eine Frage an den Mediziner: Ist es möglich, dass einem Menschen, wie es Sumire im Roman passiert ist, die Hand mit einer Machete abgeschlagen wird, der sich anschließend auf die Schlagader beißt, um nicht zu verbluten? Und erst nach einer gefühlten Zeit von einer oder zwei Stunden, so hat Sumire das Bernd gegenüber berichtet, hätte sie sich den Arm abbinden können. Was sagen Sie als Mediziner dazu?

    Das ist schon möglich, wenn es um die Hand geht. Wenn es der ganze Arm wäre, vermutlich nicht. Viele Menschen haben durch Gewalt in Afrika Gliedmaßen verloren und haben es überlebt. Man tut dann wohl alles, was möglich ist, um nicht zu verbluten. Überlebt man die erste Zeit, kann die Blutung zum Stehen kommen und man hat eine Chance für weitere Maßnahmen.

Robert Fox, der Leiter des Camps, erzählt Bernd Jasper, dass sie in der Lodge eine Gemeinschaftstrockentoilette gebaut haben. Er prangert die Wasserverschwendung von Toiletten an, mit der, ich zitiere wieder, ausgerechnet mit Trinkwasser die Scheiße weggespült wird, mit der hinterher dasselbe Wasser geklärt werden muss. Stimmen Sie in dem Punkt Robert Fox zu? Sollten andere Wege gefunden werden, um das immer kostbarer werdende Trinkwasser nicht für die Spülung von Toiletten zu verschwenden?

    Absolut. Man sollte überall Trockentoiletten einrichten. Dafür gibt es bereits Modelle, die jeder erwerben und einbauen könnte. Es wird nicht mehr lange dauern, dann ist Wasser eine der kostbarsten Ressourcen. Toiletten, die mit Trinkwasser betrieben werden, werden verschwinden, das hoffe ich jedenfalls.

Dieser Hoffnung kann ich mich nur anschließen, denn sonst wird es am Ende noch Kriege um das lebensnotwendige Wasser geben. Kommen wir zum Schluss zu Ihrer Person: Sie waren bis zum Jahr 2022 in Ihrer Praxis als Therapeut voll berufstätig, zudem noch in der Psychotherapeutenausbildung, Sie erstellen Gutachten und geben – jetzt übernehme ich mal Ihren ironischen Stil vom Plot – auch noch so ganz nebenbei Schmiedekurse, wo unter anderem Skulpturen und hübsche Knaufe für Stöcke geschmiedet werden. Ich unterstelle mal, dass Sie, wie jeder Mensch, auch nicht ohne Schlaf auskommen. Wann, um alles in der Welt, finden Sie noch die Zeit zum Schreiben?

    So viel Zeit beansprucht das alles nicht. Meine Praxistätigkeit habe ich inzwischen beendet. Ich bin noch in der Ausbildung tätig und mache ab und zu Handwerkskurse, außerdem ehrenamtliche Medizin mit Obdachlosen. Berge von Arbeit sehe ich nicht, die habe ich auch früher nicht gesehen. Was das Schreiben angeht, muss man allerdings zugeben, dass es eine – positive – Sucht ist. Ich schreibe meistens an irgend etwas und für Suchtverhalten hat man bekanntlich immer Zeit.

Für Obdachlose setzen Sie sich auch noch ein? Das ist sehr ehrenwert! Ich danke Ihnen, auch wenn Sie die Arbeit gar nicht als solche empfinden und darin eher eine positive Sucht sehen und wünsche Ihnen weiterhin Erfolg und alles Gute!

Gabun von Meinrad Braun

Gabun
Emons Verlag 2013
Broschur
462 Seiten
ISBN 978-3-9545-1137-2

Bildquelle: Emons Verlag
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