In der Nacht hör‘ ich die Sterne von Paola Peretti

In der Nacht hör‘ ich die SterneKaum jemand möchte sich vorstellen, wie es wäre, eines Tages zu erblinden, einfach nichts mehr sehen zu können, nur noch in völliger Dunkelheit zu leben. Doch mit diesem Gedanken muss sich die neunjährige Mafalda in dem Roman „In der Nacht hör‘ ich die Sterne“ von Paola Peretti anfreunden. Ohne ihre Brille sieht sie alles nur noch wie durch einen Nebel. Seit drei Jahren führt sie eine Liste, die ihr die Hausmeisterin Estella empfohlen hat. Darin notiert sie all die Dinge, die sie eines Tages nicht mehr machen kann. Wie in jedem Jahr begleiten ihre Eltern sie zum Sehtest, allerdings dieses Mal mit einer niederschmetternden Diagnose: Mafalda wird in höchstens sechs Monaten ihr Augenlicht eingebüßt haben. Sie bemüht sich, die Brailleschrift zu erlernen und ist fest entschlossen, eines Tages auf den Kirschbaum am Schulhof zu ziehen, wo ihrer Vorstellung nach auch der Geist ihrer verstorbenen Großmutter eingezogen ist. Außerdem ist ihr Lieblingsheld Cosimo auf Bäume gezogen. Zu ihrem Entsetzen beschließen ihre Eltern einen Umzug in eine andere, blindengerechte Wohnung, so dass Mafalda sich vorher in dem Kirschbaum einrichten will.

Auf den ersten Blick scheint es sich bei dem Roman um ein Kinderbuch zu handeln. Nicht nur, weil die Protagonistin, die in der Ich-Form berichtet, ein Kind ist, sondern weil sie auch alles recht naiv und kindgerecht beschreibt. Für eine Neunjährige fast schon ungewöhnlich, glaubt sie den Prophezeiungen der Fünftklässler, die ihr auf der Klassenfahrt berichten, dass eine Hochzeit und Kinder unmittelbar folgen, wenn sich ein Paar küsst oder miteinander geht. Sie stellt sich vor, wie der Geist ihrer Großmutter im Kirschbaum Einzug gehalten hat und sie verehrt den zwölfjährigen Helden Cosimo aus dem Lieblingsbuch ihres Vaters, das in dem Roman „Der Baron auf den Bäumen“ des italienischen Schriftstellers Italo Calvino einen realen Hintergrund hat. Doch der erste Eindruck täuscht und weicht einer gefühlvollen Geschichte.

Paola Peretti will mit ihrem Roman verständlich machen, welche Sorgen und Ängste Menschen plagen, die an Morbus Stargardt erkrankt sind. Mafalda hat im Internet recherchiert, dass der Name auf den Entdecker, einen Augenarzt, der vor einhundert Jahren gelebt hat, zurückzuführen ist und da sie alles nur wie durch Nebel sieht, nennt sie es Stargardt-Nebel, von dem jeder Zehntausendste betroffen ist. Die Autorin weiß nur zu gut, wie sich die Menschen fühlen, da sie selbst betroffen ist. Wie sie sagt, soll das Letzte, was sie sieht, etwas Schönes sein. Was könnte schöner als der Sternenhimmel sein, der sich möglichst tief in ihre Netzhaut brennen soll? Deshalb hat sie für ihren Roman, der autobiografische Züge aufweist, den Titel „In der Nacht hör‘ ich die Sterne“. Sie informiert über das Krankheitsbild, die Symptome und den Verlauf. Anschaulich lässt sie ihre Protagonistin die immer weniger werdenden Schritte zählen, die den Abstand zum Kirschbaum anzeigen, bis sie ihn sehen kann. Um nicht in Panik zu geraten, meditiert Mafalda und denkt an etwas Schönes, bis sie sich beruhigt hat. Sie fleht ihren Helden Cosimo um Hilfe an, klammert sich an ihren Kater Ottimo Turcaret und schämt sich vor ihren Eltern und Mitschülern, wenn sie kaum noch etwas erkennt. Über die Musik findet sie in Filippo unerwartet einen Freund, der sie seelisch aufbaut und dem sie umgekehrt ebenfalls eine Stütze ist. Estella ist für sie eine Vertraute geworden, und wie schon Filippo, so hat auch sie mit eigenen Sorgen zu kämpfen, mit denen sie Mafalda möglichst lange verschonen will. Das Buch sensibilisiert für das Schicksal der vom Morbus Stargardt Betroffenen auf sehr einfühlsame Weise, ohne auf die Tränendrüse zu drücken.

In der Nacht hör‘ ich die Sterne von Paola Peretti

In der Nacht hör‘ ich die Sterne
Übersetzung von Christiane Burkhardt
dtv 2018
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten
ISBN 978-3-423-28967-2

Bildquelle: dtv
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