Nach dem Tod ihrer Mutter hat sich Ettore Chiodo da Maniscalco seiner Nichte Cristina angenommen. Er tritt mit seiner Sippe, deren Oberhaupt er ist, als Gaukler auf Jahrmärkten auf. Da Cristina unehelich zur Welt kam, hat sie besonders unter Alfonsina, der Ehefrau des Patrons, zu leiden. Denn diese trägt ihre Abneigung gegen das „Hurenbalg“ offen aus und neidet dieser besonders die Gabe, auf der Mandoline spielen zu können und dazu mit ihrem Gesang das Publikum zu erfreuen. Ihre ausgesprochenen Beleidigungen gegen das Mädchen und ihre verstorbene Mutter führen zu immer neuen Streitereien innerhalb der Sippe, weil sich Ettore dem nicht widersetzen kann.
Herzog Georg von Sachsen-Meiningen erteilt seinem Höfling Irmbert von Lauenstein den Auftrag, die Sängerin Belle Légendaire zu suchen und für ein Engagement an seinen Hof zu holen. Mit der Hofdame und Chorleiterin Elisabeth Karau macht er sich auf den Weg. Die Enttäuschung ist groß, als die Mademoiselle ein Vielfaches von dem verlangt, was Irmbert von seinem Landesherrn zur Verfügung gestellt wurde. Stattdessen empfiehlt ihm Belle, nach einem Gauklermädchen Ausschau zu halten, das wegen ihrer besonderen Stimme ihrem Agenten François Metteur auffiel.
Während des großen Gauklerfestes in Friedrichsthal eskaliert der Streit innerhalb der Sippe, und da sich zwei Frauen, die Cristina gegenüber stets wohlgesonnen waren, durch Eheschließung anderen Sippen angeschlossen haben, steht Cristina plötzlich ohne Verbündete da. Irmbert und Elisabeth, die inzwischen auch das Gauklerfest erreicht haben, kommen mit der geldgierigen Alfonsina trotz des Protestes ihres Ehemannes Ettore und seines Bruders Olindo darin überein, dass sie ihnen Cristina verkauft. Dem Mädchen bleibt keine andere Wahl. Unter Tränen verabschiedet sie sich von ihren Verwandten und besteigt die Kutsche der fremden Menschen in eine ungewisse Zukunft.
Der im Jahr 1796 angesiedelte Roman Die verkaufte Sängerin* von Iny Lorentz ist Auftakt einer Trilogie, wobei Johann Wolfgang von Goethe neben weiteren historisch belegten Personen eine Rolle zukommt. Cristina, deren genaues Alter nicht zur Sprache kommt, aber von ihren Betreuern auf vierzehn geschätzt wird, quält nach dem Verkauf die Sehnsucht nach ihrer Sippe, obwohl Alfonsina alle Mitglieder kommandiert hat, sie schikanierte und ihre Mutter fortwährend eine Hure nannte. Das an Freiheit gewöhnte Mädchen muss damit leben, von der Magd Tilda eingesperrt zu werden, ihre Notdurft darf sie nicht mehr im Freien verrichten, muss andere Kleidung tragen und sich angewöhnen, mit einem Besteck zu essen. Sie wird nicht nur im Gesang unterrichtet, sondern muss neben gutem Benehmen auch schreiben lernen und Musikinstrumente spielen können. Da sie dafür keine Taler bekommt, wie sie es von ihren Auftritten bei der Gauklertruppe gewöhnt war, kommt sie sich wie ein dressiertes Äffchen vor.
Natürlich geht es in dem historischen Roman nicht ohne Intrigen weiter, denn in dem von Elisabeth geleiteten Chor neidet besonders Juliane dem neu bei Hofe angekommenen Mädchen ihre schöne Stimme. Da auch ihre Mutter vom Erfolg ihrer Tochter träumt, bedient diese sich zum Erreichen ihres Zieles der Hofdame Auguste von Fabisch und deren Vetters Balduin von Vollendorf, der bei seinen schändlichen Taten auch noch auf Lauensteins Kammerdiener Ginter bauen kann. Den Autoren Iny Klocke und Elmar Wohlrath ist es gelungen, dem Leser die Zeit des ausgehenden 18. Jahrhunderts anschaulich nahe zu bringen, indem sie beispielsweise die Unterwürfigkeit der Untergebenen gegenüber ihren Hoheiten herausgestellt haben. Denn für von Lauenstein und Karau hängt ihre Zukunft davon ab, ob der Herzog mit dem „Kind“, das sie ihm als zukünftige Sängerin präsentiert haben, einverstanden sein wird. Jedem Auftritt sehen sie mit Bangen entgegen. Der spannende und fesselnde Roman Die verkaufte Sängerin* hebt sich deutlich von vielen dieses Genres ab, in denen eine Liebschaft im Vordergrund steht, und macht neugierig auf die Fortsetzung Zwischen Liebe und Verrat*.
Die verkaufte Sängerin von Iny Lorentz
Knaur Verlag 2024
Klappenbroschur
464 Seiten
ISBN 978-3-426-52809-9