Der Nachsommer von Adalbert Stifter

Der NachsommerDie Wanderschaft eines jungen Mannes steht im Mittelpunkt des großen literarischen Werkes „Der Nachsommer“ von Adalbert Stifter. Der 18-jährige Heinrich Drendorf lebt mit seiner zwei Jahre jüngeren Schwester und seinen Eltern in begüterten Verhältnissen und wird von Hauslehrern unterrichtet. Nachdem er einen Teil aus seiner Erbschaft erhalten hat, begibt er sich auf seine erste Wanderschaft, die ihn später mit Steigeisen und Stricken bis an die Gletscher führen wird. Er entdeckt seine Leidenschaft für die Naturwissenschaften, betreibt Pflanzen- und Mineralkunde und übt sich im Zeichnen. Unterwegs führt ihn ein herannahendes Gewitter auf den Asperhof, der wegen seiner Rosenvielfalt auch Rosenhof genannt wird. Heinrich bittet um Einlass und ist von der augenblicklichen Gastfreundschaft hoch erfreut. In den zwei Tagen seines Aufenthaltes führt er lange, zum Teil philosophische Gespräche mit dem Hausherrn Freiherr von Risach. Er freundet sich mit dessen Ziehsohn Gustav an. Mit dem Versprechen, im nächsten Sommer wiederzukommen, verabschieden sie sich.

Den Winter verbringt Heinrich im Elternhaus, besucht Freunde und das Theater in Wien. Während einer Vorstellung des „König Lear“ fällt ihm ein junges Mädchen auf, dessen Angesicht er nicht mehr vergessen kann. Als er im darauf folgenden Jahr wieder auf den Asperhof kommt, lernt er Mathilde, die Mutter von Gustav kennen. Sie ist ebenfalls mit ihrer Tochter Natalie zu Besuch gekommen. Noch ahnt Heinrich nicht, dass es sich bei Natalie um eben das Mädchen handelt, das er im Theater gesehen hat. In den nächsten Jahren bereist Heinrich immer wieder seinen Freund Freiherr von Risach. Er nimmt aber auch Einladungen von Mathilde zum Sternenhof an. Heinrich und Natalie finden immer mehr zueinander. Sie ist für ihn das schönste weibliche Wesen und in ihrer Gegenwart bringt er kaum einen Ton heraus. Schließlich gestehen sie sich ihre Liebe und schwören sich unveränderliche Liebe, so lange das Leben währt. Doch noch ist die Erlaubnis der Eltern zur Heirat einzuholen. Was werden sie zu der Verbindung sagen?

Heinrich fährt zu seinen Eltern, um mit ihnen seine Pläne zu besprechen. Als er wieder auf dem Asperhof eintrifft, erzählt ihm der zum alten Greis gewordene Hausherr unter Tränen sein schicksalhaftes Leben. Wie er nicht nur die Eltern und die Schwester, später auch noch seine Liebe verloren hat. Wird sich nun das Schicksal der einst geschworenen Liebe, für die nun nur noch ein Nachsommer ohne vorhergegangenen Sommer bleibt, wiederholen?

„Der Nachsommer“ von Adalbert Stifter beschreibt durchweg eine heile Welt. Der Protagonist trifft stets alles heiter an, seine Reisen sind recht lieb und freundlich und immer findet ein vollkommenes Einverständnis aller statt. Anders als beispielsweise Emile Zola lässt Stifter den Leser nicht nur in ein sorgloses Leben blicken. Seine Figuren gehören dem gehobenen und gebildeten Stand an, in dem die Kinder Klavier und Harfe spielen und ebenso in den Genuss einer Reitschule kommen. Gegenüber den Eltern sind die Kinder überaus folgsam und fast noch wie ein Kind spricht der junge Heinrich von seinem Zimmerchen, einem Glöcklein und einem Bänklein. Das Patriarchat wird unterstrichen, als von der Furcht der Mutter vor dem Vater gesprochen wird. Erst zum Ende des Romans weicht der Autor einmal von der dauernden Vollkommenheit und dem ewigen Glück ab. Als nämlich der alte Freiherr von seiner traurigen Liebe und seinem Schicksal erzählt.

Adalbert Stifter drückt sich auch äußerst zurückhaltend aus, wenn es um Liebesbekundungen geht: „O Natalie, wie wallt mein Herz in Freude“ oder „Ihr Kleid fühlte ich sich neben mir regen, ihren Tritt fühlte ich im Gehen.“ An keiner Stelle wagt sich der Autor die Dinge beim Namen zu nennen. Dafür hat er genaueste Beschreibungen und seitenlange Ausführungen über das Wettergeschehen, die Pflanzenkunde und Malerei sowie die Naturwissenschaften im allgemeinen gemacht, wegen derer viele Kritiker sein Werk als zu langweilig eingestuft haben. Es ist schon so, dass es in dem vorliegenden Roman an einer Lebendigkeit mangelt, die üblicherweise durch den Gebrauch der wörtlichen Rede gegeben ist. Doch verhält es sich hier wie auch sonst bei vielen Dingen des Lebens: Man muss bereit sein, sich darauf einzulassen. Wenn es dem Leser gelingt, sich zunächst auf den veralteten Sprachstil einzulassen und wenn er sich auch nicht an der alten Rechtschreibung, die man bewusst beibehalten hat, stört, dann lässt er sich auch auf die Reise mitnehmen – auf die Wanderschaft des jungen Heinrich Drendorf. Er wird sich nach Jahren dann noch daran erinnern, wie dieser junge Mann mit seinem Ränzlein geschultert auf den Rosenhof zugeht. Auch das Schicksal der Liebenden wird dem Leser in Erinnerung bleiben, wodurch das wahrhaft grandiose Werk „Der Nachsommer“ von Adalbert Stifter als Lesevergnügen bezeichnet werden kann.

Der Nachsommer von Adalbert Stifter

Der Nachsommer
S. Fischer Verlag 2008
Taschenbuch
800 Seiten
ISBN 978-3-596-90107-4

Bildquelle: S. Fischer Verlag
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