Die diesjährige Dürrekatastrophe in Südeuropa hat zur Folge, dass in Italien der Gardasee austrocknet und die Kleinbauern in Spanien um ihre Existenz bangen, da enorm viel Wasser für den Anbau von Erdbeeren benötigt wird. Mit diesem Problem wird auch die Protagonistin Marianne Holzrichter konfrontiert, die dem Aufsichtsrat einer Wasseraufbereitungsgesellschaft angehört, als sie eines Tages gebeten wird, unbedingt Herrn Obereke aus Südafrika kennenzulernen. Dort, so erfährt sie, vermischen sich die sauren Grubenwässer aus stillgelegten, überlaufenden Gruben mit dem Grundwasser, wobei giftiges Sulfat entsteht, das wiederum in den Flüssen landet. Für Südafrika sind die Folgen aufgrund des Abbaus nicht nur von Kohle, sondern auch von Diamanten, Erzen, Gold und Platin weitaus dramatischer als für Deutschland, so dass ganzen Landstrichen ein ökologisches Todesurteil droht. Für die Rettung Afrikas käme nur sie infrage.
Der mit Hans-Joachim, von allen nur Forscher genannt, verheirateten Marianne gehört Das Wasserhaus* sowie die seit Jahrhunderten in Familienbesitz befindliche Burg Gauchstein, von der seit 1945 allerdings nur noch eine Ruine übrig ist. Aus Anlass der Geburt eines Enkelkindes reisen ihre vier Kinder nach Apfeltrang ins Allgäu: Senta, die gerade Mutter von Ian wurde, der schwule Mies, seine Schwester Flocke sowie der adoptierte, schwarze Jeffrey.
Mies arbeitet bei einem Lebensmittelmulti, der Brachflächen für die Errichtung tiefer Brunnen aufkauft, womit den Kleinbauern das Wasser entzogen wird. Für sein neues Handy wird er von Flocke wegen der darin verbauten Erden und der Kinder, die dafür in den afrikanischen Minen arbeiten müssen, heftig kritisiert. Die studierte Politikwissenschaftlerin führt aus, dass die Arbeiter für die Herstellung von stonewashed Jeans keine Schutzkleidung tragen, blaue Arme bekommen und erblinden. Farbe und giftige Bleichmittel werden ungefiltert in den Fluss geleitet. Als Mutter Fisch aus dem Indischen Ozean serviert, erklärt Flocke zum Entsetzen aller, dass den Matrosen von den Reedereien die Pässe abgenommen werden und diese, sollten sie aufmucken, einfach über Bord geworfen werden.
Jeffrey, der auf Anraten seiner Mutter Jura studiert und mittlerweile mit Kristina liiert ist, steht vor der Frage, ob er nach dem 2. Staatsexamen noch in der Kanzlei bleiben soll, in der Geld alles Denken beherrscht. Senta gibt bei einem späteren Besuch der Expo zu denken, als sie Arbeiter mit blauen Armen sieht, die riesige Waschmaschinen mit Jeans befüllen. Zwischenzeitlich arbeitet Marianne in Kapstadt an der Umsetzung einer Biokläranlage und merkt erst, nachdem ihr Auto angezündet, in ihre Unterkunft eingebrochen wird und sie einen Drohbrief erhält, wie naiv sie war. Offensichtlich ist nicht allen an sauberem Wasser gelegen und sie braucht neue Kredite für umfangreichen Schutz. Doch die Bank verlangt als Sicherheit Das Wasserhaus*. Bei einem Wiedertreffen zum Geburtstag von Forscher müssen alle Familienmitglieder abstimmen: Für den Erhalt des Wasserhauses, das in ein Hotel umgebaut werden müsste, oder für den Zugang der afrikanischen Bevölkerung zu Wasser.
Reinhard Schultze hat für seinen extrem vielschichtigen Roman umfangreiche Recherchen betrieben, so dass es sich bei seinem Werk fast schon um ein Sachbuch handelt. Im Global Seed Vault in Svalbard auf Spitzbergen wird tatsächlich Saatgut eingelagert, und um über die spezifischen Probleme der südafrikanischen Acid Mine Drainage schreiben zu können, hat er sich mit Anton Earle, dem Director des African Regional Centers, in Verbindung gesetzt. Was diese sehr ausführlich beschriebenen sauren Grubenwässer anbelangt, hat er sich durch eine Dissertation gearbeitet, und seinem in der Physik bewanderten Vater verdankt er die philosophischen Betrachtungen zu den Elementarteilchen im Plot.
Der Schreibstil des Autors ist gekennzeichnet von unzähligen Vergleichen, die auf diversen Abwegen zu immer neuen Themen führen, wobei er aber stets zum Kern zurückfindet, nämlich zum lebensnotwendigen Wasser. Der Wasserverbrauch für die Aufzucht von Avocados oder Erdbeeren ist viel zu hoch und nicht zu verantworten, der virtuelle Wasserverbrauch einer Jeans beträgt rund achttausend! Liter Wasser. Es bleibt zu hoffen, dass der UN-Weltwasserbericht 2020 und auch der spannende Roman Das Wasserhaus*, in dessen Handlungsverlauf die Familienmitglieder eine nicht leichte Entscheidung treffen müssen, das Bewusstsein in der Bevölkerung für diese ernst zu nehmende Problematik schärfen können.
Das Wasserhaus von Reinhard Schultze
Grafit Verlag 2021
Klappenbroschur
448 Seiten
ISBN 978-3-89425-770-5