Die ungebrochene Macht der Taliban
Wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, ist es bis heute nicht gelungen, eine Kontrolle über die in Afghanistan regierenden Taliban zu erlangen. Bereits in der Vergangenheit scheiterten sowohl die Engländer als auch die Sowjets daran, dem Land Frieden zu bringen. Unter dem Pseudonym Wolf Gregis hat der Afghanistan-Experte Christian Taszarek, basierend auf seinen Erfahrungen als Bundeswehroffizier im Auslandseinsatz, den Roman Sandseele* geschrieben.
Ein Gesicht aus der Vergangenheit
Eines Abends – seine Ehefrau verbringt das Wochenende mit den Kindern bei seinen Eltern – erkennt Martin Küfer in der Tagesschau ein Gesicht, an das er zehn Jahre lang nicht mehr gedacht hat: Abdul Rahman. Plötzlich werden alte Erinnerungen an seine Zeit als Offizier in Afghanistan wach. Martin denkt an die Armeeeinrichtung in Mazar-e-Sharif und sieht immer wieder das Bild von Abdul vor sich, der als Dolmetscher bei den Unterredungen mit seinem einflussreichen Onkel Mohammed Sahib Khan fungierte. Seit seiner Einschreibung an der Universität hat Martin einen Karton im Keller seines Hauses unter Verschluss gehalten. Nun stellt er ihn in die Wohnung und beginnt, nach und nach Erinnerungsstücke herauszuholen.
Der Einsatz am Hindukusch
Bei seiner Ankunft in Afghanistan wird Martin Küfer, der zum neuen deutschen Einsatzkontingent am Hindukusch gehört, von einem Hauptmann empfangen, den er ablösen soll. Bereits auf der Fahrt ins Lager muss er feststellen, dass ihn seine Grundausbildung nicht auf die Realität vorbereitet hat. Sein Zimmer teilt er sich mit Wulf Sommer, der ihn eindringlich davor warnt, die Gefahr zu unterschätzen.
Mit dem Rang eines Oberleutnants ist Martin als Verbindungsoffizier zu den Afghanen für die Erstellung von Statistiken und Berichten zuständig – eine Aufgabe, die ihn jedoch nicht erfüllt. Er fühlt sich eingesperrt und meldet sich freiwillig für die höchst gefährliche Operation „Maiwand“. Aufgrund der Anschläge auf die Twin Towers, in London und Madrid glaubt er, dass seine Mission einen Sinn hat. In der geplanten Unternehmung sieht er „die Chance, die Taliban zu stellen“. Erste Zweifel kommen jedoch auf, als er Mohammed Sahib Khan einen Besuch abstattet.
Erinnerungen, die nicht verblassen
In Sandseele* zieht sich das aktuelle Geschehen wie ein roter Faden durch den Plot, während der Protagonist zu Hause alte Erinnerungsstücke aus dem Karton holt. Ganz automatisch denkt Martin Küfer an die Zeit zurück, in der er sich zwischen einem Eigenheim mit seiner späteren Ehefrau Greta und der Kaserne entscheiden musste. Er erinnert sich an den Abschied von Greta und die Telefonate, in denen sie ihn anflehte, zu ihr zurückzukehren.
Immer wieder erreichen ihn neue, schmerzhafte Erinnerungen. In dem Karton sieht er sein ganzes Leben – allerdings nur für ihn sichtbar – vor sich ausgebreitet. Die umfangreichen Vorbereitungen auf die Operation „Maiwand“ und sämtliche Unterredungen mit seinen Vorgesetzten werden wieder präsent. Martin spürt erneut die Zerrissenheit, nicht gewusst zu haben, auf welcher Seite er stehen sollte, nachdem sein Freund Abdul versuchte, ihm die Gedankenwelt seiner Landsleute näherzubringen.
Zwischen Kulturen und Konflikten
Wolf Gregis erklärt in seinem Roman die Bedeutung der afghanischen Familienbande. Zwischen den Völkern, so macht er deutlich, liegen himmelweite Unterschiede. Während unsere Truppenführer in maßstabsgerechte Karten schauen, blicken Afghanen direkt auf das Gelände. Und während wir detaillierte Operationspläne ausarbeiten, besprechen sie sich beim Tee.
Der Autor schreibt von der Heuchelei ranghoher Offiziere, die der lieben Ruhe wegen keine Skrupel haben zu lügen. Auch bei der Darstellung unserer Politiker nimmt er kein Blatt vor den Mund. Sandseele* ist ein Roman, der auf äußerst realistische Weise – und mit durchaus zynischen Bemerkungen – ein Bild der Probleme einer Region zeichnet, die zwar zeitweise von der internationalen Schutztruppe ISAF kontrolliert werden konnte, nach deren Abzug jedoch durch das Erstarken der Taliban erneut zu einem Krisenherd wurde.