Persönliche Erfahrungen als literarischer Rohstoff
Thomas Biermann konnte für seine einunddreißig Gutenachtgeschichten für Manager zumindest teilweise auf eigene Erlebnisse aus seiner langjährigen Tätigkeit als Manager und später als Professor für Betriebswirtschaft zurückgreifen. Wie zu erwarten, kreisen viele seiner Geschichten um Seminare und Konferenzen. So erkrankt ein Abteilungsdirektor etwa an „Morbus Meeting“, weil er irrtümlich glaubt, überall und jederzeit gebraucht zu werden. Auch ein Controller, der keinerlei Verständnis für die Arbeit an der Basis zeigt, kann fatale Folgen haben.
Der Autor erzählt vom Aufstieg einer Schreibkraft zur Direktionsassistentin und eines Lehrlings zum Vorstandsvorsitzenden, während sich ein anderer mit der Rolle des ewigen Stellvertreters abfinden muss. Ein mittelmäßiger Schüler schafft es überraschend bis zum Oberverwaltungsgericht, „falsche“ Mitarbeiter erhalten trotz Sozialplan die Kündigung, und zwei Seminarteilnehmer freuen sich einzig darüber, dass ihr Chef den Schaden hat.
Skurrile Szenen und absurde Begegnungen
In einer Geschichte lässt der Bräutigam bei der Hochzeit auf sich warten, ein Hundertjähriger hofft weiterhin auf seinen Lottogewinn, ein anderer kämpft hartnäckig um die Verleihung eines Ordens, und ein Kindheitsfreund wird kurzerhand abgewimmelt. Biermann schreibt von verschüttetem Rotwein, einem Trinkspruch beim Bier, Silvesterböllern, der Bedeutung von Ohrringen und der Fehlinterpretation eines Radrennens.
Ein Mann wird am Flughafen nervös, weil seine Mutter bei der Sicherheitskontrolle aufgehalten wird, und ein USB-Stick wird einem Fluggast zum Verhängnis.
Zwischen Zahnstocher, Wirtschaftsbetrug und Hagebuttentee
Die Geschichten handeln von listigen und skrupellosen Wirtschaftsbetrügern, der Befehlsgewalt von Kapitänen und einem Streit zwischen zwei Referenten vor einem Bischof. Mal stehen Zahnstocher im Mittelpunkt, mal ein Autotelefon aus der Zeit vor dem Internet. Werbegeschenke sorgen für Verwunderung, wenn deren Empfang quittiert werden soll.
Ein Professor blamiert sich bei einem Referat, ein anderer spielt ein böses Spiel mit seinen Studenten, und ein Kollege schwärmt für Hagebuttentee. Ein trauriges Plüschtier bleibt unbeachtet, und die Geschichte über die Farben der Tiere könnte ebenso gut in einem Kinderbuch stehen.
Historische Anekdoten und satirische Spitzen
In Morbus Meeting* hat Biermann auch Fakten zur britischen Kriegsmarine zusammengetragen, deren Überlegenheit lange Zeit Bestand hatte. Besonders interessant sind seine Ausführungen zum in der DDR verbreiteten Schrottwichteln, das nicht jedem geläufig sein dürfte. Charles Ponzi, einer der größten Betrüger der US-Geschichte, wird in einer Geschichte quasi mit einem Denkmal bedacht.
Typografie und Humor: Licht und Schatten
Leider verzichtet der Verlag konsequent auf Silbentrennung, was zu auffälligen Lücken beim Zeilenumbruch führt – ein Manko, das durch das gewählte Buchformat noch verstärkt wird. Dennoch muss man kein Manager sein, um Gefallen an den hintergründigen, ironischen und mit bissigem Humor gezeichneten Geschichten zu finden. Die skurrilen Namen der Protagonisten – etwa Pökelböck, Bratenstiel, Unwurm, Käsehoch oder gar Kotzkacker – tragen ihren Teil zur satirischen Wirkung bei.
Morbus Meeting – Gutenachtgeschichten für Manager von Thomas Biermann
Wildau Verlag 2016
Hardcover
156 Seiten
ISBN 978-3-945560-07-5