Der letzte Wunsch einer Großmutter
Die Journalistin Marisol Ferrara begibt sich von Miami nach Kuba, um den letzten Wunsch ihrer verstorbenen Großmutter Elisa zu erfüllen. Sie soll deren Asche in das Land zurückbringen, das Elisa liebte und das die Familie Pérez vor fast sechzig Jahren verlassen musste. Elisa war die Tochter eines Zuckerbarons, der mit Präsident Batista sympathisierte. Die Familie gehörte zur wohlhabenden Oberschicht der Gesellschaft und führte ein privilegiertes Leben, das für Elisa und ihre drei Schwestern aus Einladungen zum Dinner und Besuchen auf Partys bestand.
Über die Ausbeutung der Bevölkerung und die politische Lage des Landes machte sich Elisa keine Gedanken – bis sie Pablo kennenlernte, einen jungen Rechtsanwalt, der sich der Revolution von Fidel Castro verschrieben hatte. Pablo wurde Elisas große Liebe. Nach einigen heimlichen Treffen schloss er sich Che Guevaras Kämpfern an, und die beiden Verliebten hielten durch Briefe Kontakt. Doch eines Tages erreichte Elisa die Nachricht, dass Pablo in der Schlacht um Santa Clara gefallen sei. Während des politischen Umbruchs im Jahr 1959, als Fidel Castro die Macht übernahm, floh die Familie ins Exil nach Miami – in der Hoffnung, bald zurückkehren zu können.
Eine Reise in die Vergangenheit
Als Marisol, die Kuba nur aus den Erzählungen ihrer Großmutter kennt, am Flughafen in Havanna ankommt, wird sie bereits von Luis erwartet. Er ist der Enkel von Ana Rodríguez, einer Jugendfreundin Elisas, die ein privates Restaurant in Miramar betreibt. Ana hat Marisol eingeladen, während ihres Aufenthalts bei ihr zu wohnen. Das Haus der Familie Rodríguez steht direkt neben dem ehemaligen Anwesen der Familie Pérez, das heute von einem russischen Diplomaten bewohnt wird.
Um den richtigen Ort für die Asche ihrer Großmutter zu finden, besucht Marisol gemeinsam mit Luis verschiedene Stationen, die im Leben Elisas eine bedeutende Rolle gespielt haben. Auf dieser Reise entdeckt sie vieles, das ihr bislang verborgen geblieben war – und lernt ihre Großmutter aus einer neuen Perspektive kennen.
Zwei Frauen, zwei Generationen, ein Kuba
Der Roman Nächstes Jahr in Havanna* von Chanel Cleeton erzählt die Geschichte in zwei miteinander verwobenen Handlungssträngen: Die Erlebnisse der neunzehnjährigen Elisa in den Jahren 1958/59 und die Reise ihrer Enkelin Marisol im Jahr 2017. Während sich Elisa, die zur besseren Gesellschaft gehört, in den Widerstandskämpfer Pedro verliebt, wandelt Marisol im heutigen Kuba auf den Spuren ihrer Großmutter und verliebt sich in Luis – einen kubanischen Geschichtsprofessor, der sein Land niemals verlassen würde.
Mehr als nur eine Liebesgeschichte
Obwohl die beiden Liebesgeschichten einen zentralen Raum einnehmen, handelt es sich bei Nächstes Jahr in Havanna* nicht um einen seichten Liebesroman. Vielmehr nutzt die Autorin die persönlichen Beziehungen, um dem Leser sowohl die damaligen als auch die heutigen politischen Verhältnisse in Kuba näherzubringen. Die Ursachen und Beweggründe der Revolution unter Fidel Castro und Che Guevara werden zwar nur am Rande erwähnt, doch die gesellschaftskritischen Anspielungen und die Beschreibung des heutigen Kuba spiegeln eine Realität wider, die von Unterdrückung und Armut geprägt ist.
Allerdings entsteht der Eindruck, dass die bewegende Familiengeschichte – erzählt aus der Perspektive wohlhabender Exil-Kubaner – die Missstände im heutigen Kuba einseitig darstellt. Errungenschaften wie kostenlose Schulbildung und medizinische Versorgung bleiben unerwähnt. Ebenso fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit der Diktatur unter Batista, die Plantagenbesitzern wie der Familie Pérez einst zu großem Reichtum verholfen hat.
Nächstes Jahr in Havanna von Chanel Cleeton
Übersetzung von Stefanie Fahrner
Heyne Verlag 2019
Klappenbroschur
464 Seiten
ISBN 978-3-453-42278-0