Whisper Network von Chandler Baker

Whisper NetworkSexuelle Belästigung am Arbeitsplatz wird häufig aus Scham nicht zur Anzeige gebracht und nach einem Artikel auf Tagesschau.de ist in Deutschland jede achte Frau davon betroffen. In dem Roman „Whisper Network“ von Chandler Baker arbeiten Ardie Valdez, Grace Stanton und Sloane Glover als Justiziarinnen bei Truviv in Dallas, dem Weltmarktführer für Sportbekleidung. Als der Geschäftsführer Desmond Bankole plötzlich einen Herzinfarkt erleidet und stirbt, ist Chefjustiziar Ames Garrett für dessen Nachfolge im Gespräch. Die drei Frauen haben ihn auf ihre BAD-Liste gesetzt und konnten nicht ahnen, dass ihre „Begrapscher-aus-Dallas-Liste“ veröffentlicht wird. Sie müssen eine Entscheidung treffen: Entweder verklagen sie ihre Firma und den Chef, bevor er befördert wird, oder sie riskieren den finanziellen Ruin. Ihre Entscheidung setzt eine Tragödie in Gang.

Dass Chandler Baker im Zusammenhang von der neu zu besetzenden Stelle konsequent nur von einem CEO spricht, hätte vielleicht bei der deutschen Übersetzung mit Vorstandsvorsitzenden erklärt werden können. Im Plot erwähnte TV-Folgen werden einem deutschen Leser vermutlich genau so fremd sein wie „ein Dixi-Klo am dritten Tag von Coachella“. Erst eine Internetrecherche gibt Auskunft darüber, dass es sich um das Coachella Valley Music and Arts Festival in Kalifornien handelt. Befremdlich ist weiterhin eine Strafgebühr von einem Dollar pro Minute für das Zuspätkommen in der Kita, die Teilnahme an einem Bibelkreis oder dass die Personaltrainerin von Sloane verlangt, zwanzig Liegestützen im eng geschnittenen Kostüm zu absolvieren.

Die Autorin, die wie ihre weiblichen Handlungspersonen Juristin ist und wie diese bei einer großen Sportfirma in Dallas gearbeitet hat, führt dem Leser eine Welt vor Augen, die in Luxus schwelgt: So trägt die mit Derek verheiratete und sich um Schulprobleme ihrer Tochter Abigail sorgende Sloane um die zweitausend Euro teure Schuhe von Manolo Blahnik, extravagante Louboutins und macht eine Botox Kur. Grace, die mit Liam verheiratet ist, ein Baby stillt und postnatale Depressionen hat, leistet sich ein Kleid der sündhaft teuren Kollektion von Tory Burch. Im Gegensatz zu ihren beiden Kolleginnen ist Ardie geschieden, hat einen adoptierten Sohn und sucht über eine Dating-App einen Mann. Zu den drei Frauen gesellt sich noch Katherine Bell, eine neue Mitarbeiterin bei Truviv.

Einerseits scheint es einen Ich-Erzähler zu geben, weil dieser wiederholt von Unternehmungen in der WIR-Form spricht, was demnach nur eine der drei Justiziarinnen sein kann. Andererseits wird von jeder im Erzählstil berichtet. Das Handlungsgeschehen des Romans „Whisper Network“ wird durch Mitschriften der unter Eid befragten Zeugen unterbrochen. Zudem hat Chandler Baker immer wieder auch Kapitel von Rosalita, einer Putzfrau bei Truviv, mit ihrem Sohn Salomon eingefügt. Die Autorin thematisiert die Zwickmühle, in der Frauen stecken, wenn sie bei Ablehnung sexueller Übergriffe berufliche Vergeltungsmaßnahmen befürchten müssen. Auf der anderen Seite macht sie aber auch deutlich, wie schnell Männer in Misskredit geraten können, wenn ihnen eine Belästigung lediglich unterstellt wird. Leider wird das Interesse des Lesers am Fortgang der Handlung erst ab etwa der Hälfte des Romans geweckt. Aber dafür steigt die Spannung ab diesem Punkt stetig an, und der von der Autorin in flüssigem Schreibstil und intelligent umgesetzte Plot wandelt sich zu einem reißenden Thriller, der am Ende noch mit Überraschungen aufwartet.

Whisper Network von Chandler Baker

Whisper Network
Übersetzung von Astrid Finke
Heyne Verlag 2020
Hardcover mit Schutzumschlag
480 Seiten
ISBN 978-3-453-27288-0

Bildquelle: Heyne Verlag
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