Eine Liebe in der Bretagne!
Während die deutschen Truppen in die bretonische Küstenstadt Vannes im Juni 1940 heranrücken, liegt die junge Anne-Marie in den Wehen. Erst vor einem Jahr hat sie ihr Elternhaus verlassen, um eine Abendschule zu besuchen und Lehrerin zu werden. Zu spät musste sie sich eingestehen, dass sich Maurice, entgegen seiner Versprechen, nicht von seiner Frau trennen würde. Im Gegenteil: Mit der Schwangerschaft will er nichts zu tun haben. Inzwischen wird Anne-Marie von der Nonne Bernadette in der Krankenstation versorgt, die jedoch mit der ins Stocken geratenen Geburt überfordert ist. In ihrer Not bittet diese den mit der Wehrmacht herangerückten jungen Arzt Helmut Wagner um Hilfe. Der nicht aus einer Akademikerfamilie stammende junge Mann hat es im Leben nicht leicht gehabt.
Obwohl Bernadette der jungen Mutter zur Adoptionsfreigabe des Kindes rät, zieht es Anne-Marie mit ihrem Töchterchen Marie-France zurück zu ihren Eltern. Von der Mutter barsch abgewiesen und lediglich mit etwas Geld wieder fortgeschickt, kehrt sie wieder in die Bretagne zurück und kommt bei Isabelle unter, die sie noch von der Abendschule kennt. Verzweifelt unternimmt die junge Mutter einen letzten Versuch und bittet Maurice um Unterstützung für sein Kind, der sie jedoch auch nur mit einer kleinen Geldsumme abspeist.
Helmut Wagner, der sich von Anfang an über alle Maßen um Anne-Marie gekümmert hat, zeigt sich über deren Rückkehr erfreut. Um seinen Kameraden keinen Anlass für Gerede zu geben und auch Anne-Marie vor übler Nachrede zu schützen, müssen die beiden für ein Treffen in der Öffentlichkeit Vorsicht walten lassen. Helmut kümmert sich mittlerweile um die enorm angestiegene Zahl von Syphiliskranken, wobei ihm zu seinem Leidwesen nicht mehr Ordensschwester Bernadette, sondern Fräulein Margot Zimmermann vom Truppenarzt des Militärkrankenhauses zur Hand geht. Eines Tages teilt dieser ihn einer neuen Einheit im gefürchteten Osten zu und Helmut ist sich sicher, dass Margot, die ihm offensichtlich hinterherspionierte und von seiner Zuneigung zu Anne-Marie weiß, die treibende Kraft für seine Versetzung ist. In den verbleibenden drei Tagen macht er seiner Angebeteten einen Heiratsantrag mit der Aussicht auf ein gemeinsames Leben nach Kriegsende.
Wie Astrid Lehmann in einem Nachwort betont, hat sie ihren Roman „Nur ein kurzer Sommer“ nach Erinnerungen und Aufzeichnungen ihrer Eltern geschrieben. An dieser Stelle geht sie auch noch auf weitere Details ihrer Vorfahren ein. In den Plot hat sie Kapitel eines zunächst eigenständigen Erzählstranges eingebaut, bei dem es um den sechsjährigen Emil Wagner geht, den jüngeren Bruder von Helmut, der auf dem elterlichen Bauernhof wegen der Erblindung des Vaters kräftig mit anpacken muss. Bei der Militärbehörde hat Markus Wagner polnische Gefangene beantragt, die sein Sohn täglich alleine durch den Wald führen soll. Anfangs von Angst getrieben, überwiegt für Emil später das Mitleid mit den Gefangenen, die ausgehungert sind und „todtraurige Gesichter“ zeigen. Obwohl der Familie unter Strafe versagt ist, den Gefangenen Essen zukommen zu lassen, liegt für diese immer rein zufällig etwas auf der Erde. Zudem hört Markus Wagner den verbotenen englischen Nachrichtensender, weshalb er eines Tages verhaftet wird.
In das Geschehen fließen Briefe zwischen Helmut und Laura Wagner, aus denen hervorgeht, dass die Mutter gegen die Verlobung ihres Sohnes mit einer „Ausländerin“ ist, die zu den „Erzfeinden“ gehört. Sie mahnt zu bedenken, „was die Leute tuscheln würden“ und sie fleht ihn an, eine „anständige deutsche Frau“ zu ehelichen. Die Autorin erinnert in ihrem, an einer wahren Geschichte angelehnten Roman „Nur ein kurzer Sommer“ daran, dass es üblich war, Zeitungspapier anstelle des heute erhältlichen Toilettenpapiers zu benutzen, Kinder in Ermangelung von Schuhen auf der Straße barfuß liefen und Haushalte nach dem Krieg verpflichtet waren, Flüchtlingsfamilien aufzunehmen. Zeitlich umfasst der Plot, der den Leser von Anfang an auf den weiteren Handlungsverlauf neugierig macht, die Zeit von Juni 1940 bis zum achtundzwanzigjährigen Emil im Jahr 1962, dem Vater von Astrid Lehmann. Ein einfühlsames Zeitzeugnis einer traurigen Epoche, die für so viele Menschen ihre Träume begraben hat.
Nur ein kurzer Sommer von Astrid Lehmann
Gmeiner Verlag 2025
Taschenbuch
288 Seiten
ISBN 978-3-8392-0810-6