Wie die Pränataldiagnostik unser Verhältnis zum Leben verändert!
Um ihre vor über zehn Jahren gemachten Erlebnisse einer Schwangerschaft und anschließenden Abtreibung zu verarbeiten, hat Monika Hey das Buch „Mein gläserner Bauch“ geschrieben. Ihr ist damit ein Balanceakt zwischen einem Erfahrungsbericht einerseits und einem wissenschaftlichen Ratgeber andererseits gelungen, der mit sachlichen Informationen und Fakten aufwartet.
Nachdem Monika Hey durch ihre berufliche Erfüllung lange gewollt kinderlos blieb, dann aber doch Mutter werden wollte, ist sie mit 46 Jahren endlich schwanger geworden. Von Anfang an hat sie deutlich gemacht, dass sie von der Möglichkeit einer Fruchtwasseruntersuchung zur Feststellung einer eventuellen Behinderung des Kindes keinen Gebrauch machen möchte. Sie ahnte jedoch nicht, dass schon die bei ihr durchgeführte Ultraschalluntersuchung darauf angelegt war, Missbildungen zu erkennen. So geriet sie in einen Kreislauf, dem sie nicht gewachsen war. Von den Ärzten wurde sie zu weiteren Untersuchungen und letztendlich zu einer Abtreibung gedrängt, weil man ihr Leben in Gefahr sah. Zehn Jahre später hat sie von ihrem Recht auf Akteneinsicht in die Befundberichte Gebrauch gemacht. Ihr Kind wäre mit dem Down-Syndrom, der Trisomie 21, geboren worden. Doch allein aufgrund dieser Tatsache wäre ihr Leben nicht in Gefahr gewesen, wie sie heute weiß.
„Mein gläserner Bauch“ greift das äußerst sensible Thema der Pränataldiagnostik auf. Die von der Patientin selbst zu zahlenden Zusatzleistungen werden mit falschen Versprechungen beworben, denn eine Garantie für ein gesundes Kind gibt es nie. Die Frauen nehmen gerne alle angebotenen Untersuchungen an, wobei sie kaum über Informationen darüber verfügen und im Grunde geben sie dabei die Verantwortung an die Ärzte ab. Diese wiederum betreiben viel Diagnostik, um bei einem missgebildeten Kind einer späteren Klage der Eltern zu entgehen, da die Beweislast bei ihnen liegt. Anders als zur Schwangerschaftszeit der Autorin hat der Arzt seit 2010 die Pflicht, auf die Konsequenz eines Schwangerschaftsabbruchs hinzuweisen, wenn keine Therapieangebote gemacht werden können, was im Falle des Down-Syndroms auch nicht möglich ist.
Monika Hey schließt beispielsweise bei einem angeborenen Herzfehler nicht die Augen vor den Vorteilen einer Pränataldiagnostik, wenn die Mutter in dem Fall zur Entbindung an eine Spezialklinik verwiesen wird. Aber sie macht auch deutlich und relativiert damit, dass mehr als 95% aller Behinderungen erst bei der Geburt oder durch spätere Unfälle geschehen. Die Autorin weist auf die Grenzen zwischen Gesundheit und Ökonomie hin, die sich verwischen und berücksichtigt auch die juristische Seite, indem sie Gesetzestexte zitiert. In den USA ist seit Herbst 2011 ein simpler Bluttest auf dem Markt, mit dem Anomalien festgestellt werden können. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird es nach Schätzungen möglich sein, neben dem Down-Syndrom damit bis zu 200 weitere Krankheiten wie Mukoviszidose oder Diabetes nachzuweisen. Werden diese Kinder dann auch als nicht lebenswert erachtet? Wird die Veranlagung zu einer Depression auch schon als Gendefekt gewertet, um nur noch emotional stabilen Menschen ein Recht auf Leben einzuräumen? Monika Hey hat das Thema in ihrer Eigenschaft als Journalistin gründlich aufgearbeitet und mit umfangreichen Anmerkungen und präzisen Quellenangaben versehen. Ein Sachregister hilft beim Auffinden eines Stichwortes und zum Ende gibt es noch eine übersichtliche Darstellung aller heutigen Untersuchungsmöglichkeiten mit den Vor- und Nachteilen. Die Autorin macht in ihrem Buch „Mein gläserner Bauch“ aber auch ihre ganz persönlich Verbitterung deutlich, spricht offen über ihre Gefühle und spart nicht mit Kritik. Eltern, die sich ein Kind wünschen, sollten sich schon jetzt mit dem Thema auseinandersetzen und nicht warten, bis sie von einem nicht mehr aufzuhaltenden Räderwerk überrollt werden.
Mein gläserner Bauch von Monika Hey
DVA 2012
Hardcover mit Schutzumschlag
224 Seiten
ISBN 978-3-421-04538-6