Da Mina und Adam Holbrook kein eigenes Kind bekommen konnten, haben sie Sophia adoptiert. Ursprünglich wollte Mina Pilotin werden, hatte aber ihre Ausbildung wegen einer Panikattacke abbrechen müssen. Sie wurde Flugbegleiterin und hat mit einem Kollegen den für den 17. Dezember geplanten zwanzigstündigen Non-stop-Flug mit einer Boeing von London nach Sydney getauscht, der seit 1989 der erste Flug ohne Zwischenlandung sein wird und deshalb Journalisten und Prominente an Bord hat. Insgesamt wird Mina fünf Tage von ihrer Familie getrennt sein, was sie jedoch wegen der Eheprobleme begrüßt, die seit der Kündigung des letzten Au Pair Mädchens bestehen. Adam ist bereits ausgezogen und soll während ihrer Abwesenheit ins Gästezimmer ziehen. Einzig alleine die Trennung von ihrer erst fünfjährigen Tochter macht ihr zu schaffen. Mina ist froh, mit Becca eine neue Babysitterin gefunden zu haben und rechtzeitig zu Weihnachten zurück zu sein.
Während Mina mit 353 Passagieren, vier Piloten und der Kabinencrew in der Luft ist, macht sich Adam Sorgen wegen seiner Spielsucht und der daraus resultierenden Schulden. Zum Glück hat Becca seine Tochter schon aus dem Kindergarten geholt. Zu Hause wird Adam plötzlich von einem Mann überwältigt und niedergeschlagen, wobei es sich nur um einen Geldeintreiber handeln kann. Aber noch ahnt der Verletzte nichts von der schon greifbaren Gefahr für Sophia und ihn selbst.
Unterdessen gibt es an Bord einen Toten, der vermutlich einem Herzinfarkt erlegen ist. Doch ausgerechnet in seiner Geldbörse entdeckt Mina ein aktuelles Foto von Sophia und ihre Schuldgefühle, den Flug auf eigenen Wunsch getauscht zu haben, wachsen. Hat der Mann auch den Epi-Pen ihrer Tochter, den diese im Notfall gegen ihre Allergie benötigt, an Bord gebracht? Schließlich gelangt ein Briefumschlag in ihre Hände mit der klaren Anweisung, jemand ins Cockpit zu schleusen. Andernfalls wäre ihre Tochter tot. Soll sie den Piloten im Cockpit informieren, wie es ihre Pflicht wäre und damit Sophie opfern, oder das Leben von fast vierhundert Unschuldigen dagegensetzen?
Clare Mackintosh lässt in ihrem Thriller „Freier Fall“ im Wechsel Mina, Adam und auch Fluggäste in der Ich-Form zu Wort kommen. Der Plot beginnt noch vor dem Prolog mit einem eingegangenen Notruf eines Flugzeugabsturzes, womit die Autorin schon das Interesse des Lesers weckt. Die Folgen des Klimawandels sind ein prägendes Thema und ob die britische Regierung deshalb tatsächlich mit Gesetzen gegengesteuert hat, dürfte wie die Aussage, dass Adoptiveltern in England die biologische Familie kennen, nur von zweitrangiger Bedeutung sein. Den Tatsachen entsprechen dafür die erwähnten Anschläge im indischen Mumbai im November 2008 mit zahlreichen Toten und Verletzten sowie der am 24. März 2015 von einem Kopilot, der sich absichtlich im Cockpit eingeschlossen hat, gegen einen Berg gesteuerte Airbus, in dem alle 150 Insassen umkamen.
Es kann nur vermutet werden, dass sich die Autorin in vielerlei Hinsicht für ihren Thriller „Freier Fall“ beraten ließ, der von Sabine Schilasky aus dem Englischen übersetzt wurde. Detailliert beschreibt sie die Funktionsweise des Notfallcodes und den sicheren vollautomatischen Landeanflug mit Leit- und Gleitstrahl. Absolut interessant sind auch ihre Ausführungen zum ausgegangenen Treibstoff, was ein Flugzeug wegen seiner Gleitzahl, die mit den Wetterbedingungen, seiner Höhe und des Gewichtes variieren, nicht sofort abstützen lässt.
Eine letzte große Herausforderung in der Luftfahrt war es, die Distanz von London nach Sydney zu bewältigen, was erstmals im August 1989 mit einem für die nächsten dreißig Jahre unerreichten Rekordflug einer Boeing nonstop gelang. Nachvollziehbar ist auch der zur Sprache gebrachte Wettstreit, den es tatsächlich zwischen Airbus und Boeing gab. Clare Mackintosh macht die Gewissensbisse von Adam deutlich, der schwer an seinen Fehlern und Versäumnissen zu tragen hat und dessen Verzweiflung überhandnimmt. Auf der anderen Seite zeigt sie die Ängste der Passagiere und die ausweglose Situation von Mina auf, die einerseits noch nicht ihre abgebrochene Pilotenlaufbahn verarbeitet hat, andererseits um Schadenbegrenzung bemüht ist. Der Leser muss aufpassen, dass er vor lauter Anspannung das Atmen nicht vergisst und wenn er glaubt, dass der Epilog nichts Weltbewegendes mehr zu bieten hat, wird er auf den letzten Seiten noch eines Besseren belehrt!
Freier Fall von Clare Mackintosh
Übersetzung von Sabine Schilasky
Knaur Verlag 2024
Taschenbuch
432 Seiten
ISBN 978-3-426-52777-1