Morris von Bart Moeyaert

Der Junge, der den Hund sucht!

MorrisBart Moeyaert beginnt sein Kinderbuch „Morris“ damit, dass der Leser direkt mit DU angesprochen wird und zwar in der Art, dass DU am Fenster stehst und siehst, wie es beginnt zu schneien. Sobald genug Schnee gefallen ist, kannst DU einen Schneemann bauen, wozu DU eine Karotte, zehn Knöpfe und einen Eimer benötigst. Das Ergebnis wird ein Riesenschneemann sein, der dreimal so groß ist wie DU. Deine Eltern bringen DIR gegen die kalten Hände Fäustlinge und stellen DIR einen heißen Kakao in Aussicht, womit DU fast so viel Glück wie Morris hast, der für eine Weile bei seiner Oma in den Bergen wohnt.

Morris Oma hat eine Hündin, die sie Houdini nach einem berühmten Mann nennt, der „ein Meister im Losreißen und Entkommen“ war. Wenn die Hündin ausreißt, ist es Morris Aufgabe, sie einzufangen. Die Suche nach Houdini endet erst mit dem Einfangen hinter dem höchsten Felsen. Als die ersten Schneeflocken fallen, friert Morris auf dem Berggipfel. Die zappelnde und jaulende Houdini überlistet Morris und reißt sich wieder los, womit sie im hohen Schnee verschwindet.

Plötzlich steht Morris einem Schafbock mit großen Hörnern gegenüber, dem die Augen hervorquellen. Kurz darauf sieht er einen Jungen, der auf einen Stock gestützt ist und ein bisschen aussieht wie ein wildes Tier. Er hat Hunger, droht und kränkt Morris, nennt ihn sogar einen Wicht. Als ein Sturm aufzieht, suchen die beiden Schutz und schließlich stapft der Junge davon. Morris erinnert sich an die Hündin, die allein in der Kälte ist. Im tiefen Schnee kommt er kaum vorwärts, sieht dann aber im Tal immer öfter Fackeln aufflackern, womit bestimmt Hilfe naht.

Noch bevor der Suchtrupp bei ihm ist, begegnet er Randy Peck, ein Mann, der seine Oma in letzter Zeit immer öfter besucht. Auch der nennt Morris einen Wicht. Auf seinem Rücken trägt er einen Kartoffelsack, in dem er Houdini gefangen hält. Doch da hat Randy Peck die Rechnung ohne Houdini gemacht, der sich aus dem Sack befreien kann. Der Mann versetzt Morris einen Rippenstoß, woraufhin dieser „ächzend vor Schmerzen mit dem Gesicht im Schnee“ landet. Zum Glück eilt der Junge Morris zu Hilfe. Mit ihm genießt er bei Oma „Pfannkuchen und Waffeln und Birnenkuchen“ und natürlich gibt es auch Kakao mit Zimt und Schlagsahne.

Der Verlag empfiehlt das Kinderbuch „Morris“, das aus dem Niederländischen von Bettina Bach übersetzt wurde und zu dem Sebastian Van Doninck farbige Illustrationen, die sämtliche Darstellungen nur andeutungsweise wiedergeben, schon für Sechsjährige. Einmal abgesehen davon, dass die Geschichte für diese Altersgruppe ziemlich lang ist, dürfte auch die zeitliche Abfolge des Plots für sie eine Herausforderung darstellen. Wenn gleich zu Beginn der Leser quasi direkt angesprochen wird, folgt darauf, wie Morris mit der knurrenden Hündin, weil sie lieber selbst laufen möchte, auf seinen Armen durch den winterlichen Wald nach Hause stapft. Direkt im Anschluss folgen Informationen zu Morris Oma und dass des öfteren Randy Pek zu ihr kommt und meistens lange bleibt, bevorzugt zum Mittagsessen. Weiter geht es damit, wie gut sich Morris schon im Wald auskennt und beispielsweise einem Felsen den Namen „Feuer“ gegeben hat. Unvermittelt geht es über mit der Suche von Morris nach der Hündin.

Dass es sich bei Randy Pek um den Vater des Jungen handelt, der von Morris im Wald Essen gefordert hat, sollen Kinder aus den kryptischen Zeilen schließen, dass der Junge, der zuvor einfach davonstapfte, plötzlich wieder aus dem Nichts auftaucht, ruft: „Genug, Papa. Schluss jetzt!“, während Morris „ächzend vor Schmerzen mit dem Gesicht im Schnee“ landet. Ist das von Kindern ab sechs Jahren nicht etwas zu viel verlangt? Und ist der gezielte Rippenstoß mit der Spitze eines seiner „Treter“ für ein Kinderbuch nicht auch etwas zu brutal? Unterstrichen wird die Dramatik noch durch eine Illustration, die den Mann im Verhältnis zum Kind fast als Riese darstellt.

Den Entfesselungs- und Zauberkünstler Harry Houdini konnte Anfang des 20. Jahrhunderts übrigens tatsächlich sein Publikum begeistern. Berühmt hat ihn das Verschwindenlassen eines Elefanten gemacht. Was die Kleinen aus der äußerst anspruchsvollen Geschichte mitnehmen ist das Gefühl des Alleinseins von Morris, denn „plötzlich war es, als wäre die Hündin noch mehr verschwunden als vorher“. Und kleine Kinder meinen manchmal wie Morris, der den Mund hält, weil „wenn man schweigt, ist man so gut wie weg“. Und schließlich kennt jedes Kind folgende Situation: „Wenn jemand versucht, so leise wie möglich zu weinen, darf man nicht fragen ob er weint. Und auch nicht, warum.“ Darauf reagieren schon die Kleinsten sensibel und können sich in dieser Situation gut mit dem Protagonisten identifizieren.

Morris von Bart Moeyaert

Morris
Übersetzung von Bettina Bach
Carl Hanser Verlag 2024
Hardcover
64 Seiten
ISBN 978-3-446-28117-2

Bildquelle: Carl Hanser Verlag
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