Die Schauspielerin von Anne Enright

Die SchauspielerinIn dem Roman von Anne Enright stellt sich Norah FitzMaurice die Frage, wer ihre Mutter war beziehungsweise welcher Mensch sie wirklich war. Für Norah ist schon unverständlich, dass ihre Mutter, die Schauspielerin Katherine O-Dell, ein Geheimnis aus ihrem Geburtsort London gemacht hat. In Irland konnte ihre Mutter erste Erfolge feiern, ein Sprungbrett für ihre Karriere, die sie ab Mai 1948 für dreiundzwanzig Jahre an den Broadway führte. Norah, die im Jahr 1952 in Brooklyn zur Welt kam, erinnert sich an die vielen Zigaretten, die ihre Mutter rauchte und deren übermäßigen Alkoholgenuss.

Schon frühzeitig berichtet die Ich-Erzählerin Norah von einem Angriff ihrer Mutter auf den Filmproduzenten Boyd O-Neill im Jahr 1980. Dafür, dass Katherine ihm in den Fuß geschossen hat, wurde sie in eine psychiatrische Anstalt eingeliefert, „mit Medikamenten vollgepumpt“ und als „unheilbar kranke Frau“ entlassen. Diese Begebenheit wird an anderen Stellen wiederholt aufgegriffen. Gleiches gilt auch für die Erzählungen der Bühnenauftritte und Rollen ihrer Mutter, die 1986 mit achtundfünfzig Jahren verstarb.

Doch Norahs Ausführungen beschränken sich nicht nur auf „Die Schauspielerin“, sondern ebenso auf ihr eigenes Leben, ihre erste Jungenbekanntschaft und wechselnde Verhältnisse, wobei sie insbesondere wiederholt auf die zwiespältige Beziehung zu ihrem Dozenten Niall Duggan eingeht, den sie häufig nur den „Ficker“ nennt. Außerdem gibt sie von sich preis, dass sie verheiratet ist und zwei Kinder hat. Allerdings treten ihr Ehemann und die Kinder nicht in Erscheinung. Norah redet ihren Mann mit DU an, als würde er ihr gegenübersitzen. Verwirrend ist, dass die Ich-Erzählerin ganz selbstverständlich bis ins Jahr 1899 zur Geburt ihres Großvaters, der späteren Kindheit ihrer Mutter und deren Ehen ausholt, obwohl sie diese Zeit nicht selbst erlebt hat.

Schon auf einer der ersten Seiten des Romans beschreibt Norah ihre Mutter als „eine begabte Hochstaplerin. Sie war auch eine Künstlerin, eine Rebellin und eine Romantikerin“. In chronologisch desaströser Reihenfolge werden die verschiedenen Stationen im Leben sowohl von Katherine O-Dell, wie auch von Norah FitzMaurice erzählt, was vom Leser erhöhte Konzentration erfordert. Zudem wird ein und dasselbe Geschehen wiederholt aufgegriffen. Immer wieder stellt sich Norah die Frage nach ihrem Vater, den sie nie kennengelernt und von dem sie, je nach Alter, unterschiedliche Vorstellungen hat.

Die in Dublin geborene Anne Enright hat in ihrem Roman „Die Schauspielerin“ an verschiedenen Stellen auch den Irland-Konflikt thematisiert, wobei sie insbesondere auf den am 30. Januar 1972 stattgefundenen „Blutsonntag“ eingeht, bei dem dreizehn Unbewaffnete von Soldaten erschossen wurden. Über die Nachkriegszeit schreibt sie in sarkastischem Ton, dass die Frauen „schlank vor Hunger waren“. Leider hält sich das Interesse des Lesers in Bezug auf den Fortgang der Handlung in Grenzen, da der Plot keine Erwartungen weckt. Zudem fällt es schwer, sich mit der Protagonistin zu identifizieren, die wie alle Handlungspersonen unnahbar bleibt. Die Autorin besitzt unzweifelhaft ein literarisches Talent, doch eine breite Leserschaft dürfte sie mit diesem wenig mitreißenden Werk nicht gewinnen.

Die Schauspielerin von Anne Enright

Die Schauspielerin
Übersetzung von Eva Bonné
Penguin Verlag 2020
Hardcover mit Schutzumschlag
304 Seiten
ISBN 978-3-328-60134-0

Bildquelle: Penguin Verlag
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