Die geliehene Schuld von Claire Winter

Die geliehene SchuldDie katholische Kirche trägt unter Mithilfe ihrer führenden Vertreter und in Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz die Verantwortung dafür, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges tausende Nazi-Verbrecher in Übersee ein unbescholtenes Leben führen konnten. Mit neuen Pässen der argentinischen Botschaften in Dänemark und Schweden ausgestattet, konnten sie über Schleswig-Holstein ihre Flucht antreten, auf der sogenannten Rattenlinie über den Hafen von Genua ausreisen oder, wie in dem Roman „Die geliehene Schuld“, die Klosterroute über Südtirol wählen, wo ihnen Mönche Unterschlupf gewährten. Um diese unfassbaren Hintergründe geht es in dem Roman von Claire Winter, dessen Handlung eingebettet ist in einen spannenden Plot mit realen sowie fiktiven Protagonisten.

Vera Lessing arbeitet nach dem Krieg bei einer Zeitung in Berlin und erhält von ihrem Kollegen Jonathan, der zu Recherchezwecken nach Italien fuhr, ein Päckchen mit Dokumenten nebst Brief. Er macht ihr unmissverständlich klar, dass er um sein Leben bangt und für den Fall, dass er nicht mehr zurückkommt, sie niemandem trauen darf. Anhand der ihr zugestellten Unterlagen soll sie weiter nachforschen und einen Artikel über die Ergebnisse schreiben. Zu ihrer Bestürzung erhält sie die Nachricht, dass ihr Freund aus Kindheitstagen durch einen Unfall ums Leben gekommen sein soll. Dieser Version schenkt sie allerdings keinen Glauben, da auch sie mittlerweile verfolgt wird.

Um die letzte Bitte Jonathans zu erfüllen, muss Vera zunächst seinen ehemaligen Kontaktmann ausfindig machen, wozu sie die Hilfe eines Barbesitzers benötigt. Sie erfährt, dass Jonathan zwei Männern auf die Spur gekommen ist, die jedoch aus dem Register eines Kriegsgefangenenlagers verschwunden sind. Von einem Herrn Hüttner findet sie ebenfalls Notizen und um ihn aufzuspüren, reist sie nach Südtirol, wo sie sich mit einem Bergführer trifft, der ehemalige Kriegsverbrecher über die Grenze nach Italien schleust. Hüttner, der die eifrige Journalistin längst beobachten lässt, gefällt das gar nicht. Obwohl Vera verfolgt wird, gibt sie nicht auf, so dass ihre Recherchen sie letztlich bis zu den höchsten Stellen der Geheimdienste führen.

Claire Winter erzählt die Geschehnisse in zwei Handlungssträngen. Zum einen sind es die Begebenheiten um Vera, die mit dem Tod ihres Kollegen Jonathan im Mai 1949 ihren Anfang nehmen, zum anderen die Ereignisse, die letztlich zu seiner Ermordung führen: Im August 1948 lernt er bei einer Eröffnungsfeier Marie Weißenburg kennen, die für Konrad Adenauer arbeitet und dessen verstorbener Vater im Reichssicherheitshauptamt tätig war. Marie will wissen, ob dieser auch für die Vernichtung der Juden verantwortlich war und trifft bei dem Wilhelmstraßen-Prozess, dem längsten der zwölf Nachfolgeprozesse gegen Kriegsverbrecher, wieder auf Jonathan, der ihr verspricht, Erkundigungen über ihren Vater einzuziehen, wobei ihn seine Forschungen zu Hüttner führen, dem das missfällt.

Die Autorin hat auf sehr eindrucksvolle Weise geschildert, wie es nach dem Krieg trotz aller Entnazifizierungsmaßnahmen möglich war, dass ein Netz von Seilschaften aus den alten Kameradschaften des Dritten Reiches entstehen konnte und wie die unterschiedlichen Interessen der Siegermächte dem auch im Roman agierenden und vorübergehend festgenommenen Reinhard Gehlen ermöglichten, viertausend verurteilte Kriegsverbrecher und ehemalige Getreue um sich zu versammeln, nachdem er sich bei den Amerikanern mit in wasserdichten Fässern vergrabenen Mikrofilmen freikaufte, obwohl er als Generalmajor beim Ostfeldzug Hitler treu ergeben war. In der Folge wurde die „Operation Gehlen“ der CIA unterstellt und Gehlen war nicht nur der Gründer des daraus hervorgegangenen Bundesnachrichtendienstes, sondern er wurde auch noch 1968 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Chapeau! Claire Winter hat in ihrem Roman „Die geliehene Schuld“ ein wichtiges Thema beeindruckend vielschichtig und spannend umgesetzt.

Die geliehene Schuld von Claire Winter

Die geliehene Schuld
Diana Verlag 2018
Hardcover mit Schutzumschlag
576 Seiten
ISBN 978-3-453-29194-2

Bildquelle: Diana Verlag
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